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Erziehung Kleine Diebe: Warum Kinder klauen

Zwei Euro aus dem Portemonnaie der Mutter, ein Spiel beim Kumpel oder Lippenstift aus der Drogerie. Eine Jugendtherapeutin erklärt, was dahintersteckt und wie Eltern reagieren sollten.

Von Heidi Becker 30.12.2024, 10:00
Hinterrücks den Stift stibitzt. Zum Erwachsenwerden gehört das dazu.
Hinterrücks den Stift stibitzt. Zum Erwachsenwerden gehört das dazu. (Foto: Imago/westend 21)

Dass Kinder und Jugendliche Dinge entwenden, ist keine Seltenheit. In Deutschland wurden allein im Jahr 2023 laut Polizeilicher Kriminalprävention der Länder und des Bundes von 38.705 Kindern und 69.180 Jugendlichen Diebstähle verübt. Gerade wenn es um das eigene Kind geht, kann es Eltern sehr schwer fallen, richtig zu reagieren. Annika Marx, Diplom-Pädagogin und systemische Kinder- und Jugendlichentherapeutin, erklärt, was in so einer herausfordernden Situation wichtig ist.

1. Warum stehlen Kinder überhaupt?

Auch wenn es nicht selten ist, dass Kinder klauen, kann es Eltern doch schockieren. „Natürlich gehen bei den Eltern viele Alarmglocken an, weil sie sich Sorgen machen, dass die Zukunft des Kindes auf dem Spiel steht“, sagt Marx und gibt zumindest ein bisschen Entwarnung.

Klauen habe nichts damit zu tun, dass Kinder schlecht erzogen seien oder keine moralischen Werte hätten. „Beim Klauen geht es erst einmal ganz profan darum, etwas zu bekommen, was man haben möchte“, so die Pädagogin. Der Diebstahl sei für Kinder ein pragmatisches Mittel.

Aber: Es kann durchaus mehr dahinterstecken. „Wenn ein Kind klaut, kann es den Eltern damit etwas sagen wollen“, erklärt Marx. Das können ganz unterschiedliche Botschaften sein, angefangen damit, dass etwas in Schieflage geraten sei oder es einen Mangel an Aufmerksamkeit gebe. Aber auch der Freundeskreis kann dabei eine Rolle spielen. „Es kann durchaus sein, dass Kinder klauen, um sich damit in einer bestimmten Peergroup beliebt zu machen“, sagt Marx. Oft gebe es den Druck von Gleichaltrigen, sich mit dem Klauen zu beweisen.

2. Wie sollten Eltern auf den Diebstahl reagieren?

Wenn Eltern erfahren, dass ihr Kind geklaut hat, ist eines besonders wichtig: ruhig bleiben. Das kann schwer sein, da die Eltern Marx zufolge natürlich zu Recht geschockt und wütend sind. „Wenn man es dann aber schafft, die eigenen Gefühle hintanzustellen, ruhig zu bleiben und ins Gespräch zu gehen, kann man unheimlich viel lernen“, erklärt die Kinder- und Jugendlichentherapeutin.

3. Was ist im Gespräch mit dem Nachwuchs wichtig?

Bevor mit den Kindern ein Gespräch ansteht, sollten Eltern sich vor allem auf eines konzentrieren: Übermoralisierung bringt nichts, sagt Marx. „Beim Klauen erwischt zu werden, ist massiv beschämend für das Kind. Wenn es Eltern gelingt, auf dieses Schamgefühl nicht noch einen draufzusetzen, ist das sicherlich eine gute Ausgangslage.“ Im Gespräch sei es außerdem wichtig, dass die Eltern authentisch bleiben. Dabei sei es durchaus angebracht, dass man dem Kind mitteilt, dass man erschrocken, fassungslos und auch ein Stück weit enttäuscht sei.

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„So versteht das Kind auf der einen Seite die Ernsthaftigkeit, sieht aber auch, dass die Eltern in der Situation auch keine Idee haben, wie es dazu gekommen ist“, sagt Marx. Und das verbindet. Denn oft können Kinder selbst nicht beantworten, warum sie geklaut haben. Dann sei es wichtig, eine Einladung auszusprechen, sich gemeinsam auf die Lösungssuche zu begeben, so die Pädagogin. Eltern könnten dabei fragen, was das Kind braucht, was schiefgegangen ist oder was sie vielleicht auch übersehen haben.

„Dabei muss es gar nicht um Materielles gehen, sondern um Nähe, Zuwendung oder ein offenes Ohr“, so Marx. Und gerade das kann für die Eltern besonders herausfordernd sein. Wenn ein Kind mit einem problematischen Verhalten auf sich aufmerksam mache, werfe das die Frage auf, was dies mit dem gesamten Familiensystem zu tun habe.

Denn Kinder klauen in einigen Fällen sogar, obwohl sie Geld dabeihaben – und ihr Diebesgut bezahlen könnten. „Dabei geht es nicht um materielle Dinge – häufig stecken emotionale Bedürfnisse dahinter“, erklärt Marx.

4. Was passiert nach dem Gespräch?

So wichtig ein Gespräch nach dem Diebstahl des Kindes auch ist – damit sollte es nicht getan sein. „Wenn das Kind geklaut hat, ist es wichtig, auf eine Wiedergutmachung hinzuwirken“, erklärt Marx. Bei dem Diebstahl bei einem Freund könnte das sein, dass das Kind hingeht, sich entschuldigt, das Gestohlene zurückgibt und überlegt, was es dem Freund Gutes tun kann. Und das müsse nicht unbedingt etwas Materielles sein.

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„So wird der Situation noch einmal die gebührende Ernsthaftigkeit verliehen und das Kind lernt, dass seine Aktionen Konsequenzen haben“, erklärt die Pädagogin. Hausarrest als Bestrafung zu geben, sei hingegen nicht unbedingt sinnvoll, weil das eine wenig mit dem anderen zu tun habe.

5. Wie sollten Eltern reagieren, wenn sie Druck unter den Freunden vermuten?

Oft kommt es vor, dass Kinder nicht alleine, sondern in einer Gruppe klauen. Das bestätigt auch die Polizeiliche Kriminalprävention. „Häufig wird Diebstahl als eine Art Sport oder als Mutprobe verstanden oder dient als Aufnahmeritual in eine Gruppe“, heißt es dort. „Eltern, die vermuten, dass es diesen Druck vielleicht unter den Freunden des Kindes gibt, können auch ruhig einmal das Gespräch mit den Kindern gemeinsam suchen“, empfiehlt Marx.

6.Was sollten Eltern tun, wenn das Kind öfter klaut?

Viele Kinder und Jugendliche stehlen nur einmal. Der Schock und eventuelle Konsequenzen verhindern häufig einen weiteren Diebstahl. Aber das ist nicht immer so. „Wenn das Kind wiederholt klaut und es schon ein Gespräch gegeben hat, hat sich im Grunde schon ein Verhaltensmuster eingeschlichen“, warnt Marx. Dann kann es förderlich sein, jemand Außenstehenden auf die Situation blicken zu lassen.

„An dieser Stelle ist es besser, sich professionelle Hilfe zu suchen – etwa in Form einer Familienberatung.“ So schockierend ein Diebstahl auch sein kann, Eltern sind mit dem Thema oft nicht alleine. „Wer bei Freunden einmal nachfragt, wird merken, dass das Klauen nicht selten vorkommt und kein Weltuntergang ist“, so Marx.

Und: „Viele Erwachsene haben als Kind eigene Erfahrungen damit gemacht und sind schließlich auch nicht auf die schiefe Bahn geraten.“ Rat und Hilfe bekommen Eltern bei den örtlichen Erziehungsberatungsstellen sowie beim Jugendamt.