Probleme einer Großfamilie Chaos im Alltag: Vater einer 7-köpfigen Großfamilie packt aus
In Deutschland und speziell in Sachsen-Anhalt sind Großfamilien eine echte Seltenheit. Doch es gibt sie. Ein siebenfacher Vater aus Halle erzählt, wie es sich anfühlt, in einer Großfamilie zu leben.
Halle (Saale)/MZ. - Die überraschten Blicke kennt Stefan Heeren de Bosé bereits: „Wenn ich irgendwo neu bin und erzähle, dass ich sieben Jungs habe, gucken viele erstmal“, erzählt er. Zwischen sieben und 21 Jahren sind seine Söhne, zwei sind bereits ausgezogen.
Der Alltag ist nach wie vor straff organisiert, um das Pensum zu schaffen: „Unser Tag beginnt morgens um halb sechs, meist übernimmt meine Frau den ersten Part, kümmert sich ums Frühstück und schickt die Kinder in die Schule“, erzählt er.
So funktioniert Alltagsorganisation in der Großfamilie
Dann ist Arbeitszeit: Beide sind selbstständig, Heeren de Bosés Frau Kirstin als Landschaftsarchitektin, er selbst als Produktdesigner, „überwiegend für Spielplatzgestaltung, Spielideen und Accessoires“ – was nahe liegt, da seine Jungs die besten Tester und Kritiker sind. Daneben bewirtschaftet die Familie einen Hof in Thüringen, wohnt unter der Woche aber im Designstudio in Halle mit Einliegerwohnung.
Das könnte Sie auch interessieren: Hallescher Soziologe Oliver Arránz Becker erklärt, welche Bedeutung Großfamilien hatten und welcher Trend heute spürbar ist.
Wenn die Söhne von der Schule zurückkommen, arbeitet derjenige weiter, der gerade mehr auf dem Schreibtisch hat. „Währenddessen kümmert sich der andere um die Kinder und erledigt nebenbei alles, was anfällt: Einkaufen, Schwimmen, American Football, Freunde, Musikschule, Wäsche waschen und alles drumherum“, berichtet Heeren de Bosé. „Abends um elf Uhr macht der Letzte den Trockner aus und legt die Kleidung für den nächsten Tag bereit.“
Zwei-Kind-Norm überall - Herausforderung mit 7 Kindern
Großfamilien sind in Deutschland und gerade in Sachsen-Anhalt selten geworden: Zuletzt lebten nicht einmal in jeder zehnten Familie drei oder mehr Kinder – und das, obwohl Modelle wie Patchworkfamilien hier inbegriffen sind.
„Wenn wir nur auf kinderreiche Frauen schauen, also aktuell Frauen der Jahrgänge 1965 bis 1974, die ihre Fertilitätsphase beendet haben, ist Sachsen-Anhalt im Bundesländervergleich sogar das Schlusslicht“, sagt die Soziologin Sabine Böttcher vom Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH) an der Universität Halle-Wittenberg.
Verantwortlich für die niedrige Quote sind ihr zufolge nicht nur individuelle Gründe, sondern auch gesellschaftliche: „Dazu gehört, dass junge Paare im Vergleich zu früher erst sehr spät in eine wirtschaftlich sichere Situation kommen“, sagt Böttcher.
Wohnen und Mobilität: Mit mehr als 2 Kindern wird es in Deutschland schwer
„Gleichzeitig äußert sich die Kindzentrierung in unserer Gesellschaft in einer sogenannten verantworteten Elternschaft.“ Durch dieses Leitbild sind sowohl die Erwartungen von außen als auch Ansprüche von Eltern an sich selbst gestiegen – etwa hinsichtlich der materiellen Versorgung der Kinder, der zeitlichen Verfügbarkeit der Eltern und der Erziehungskompetenz.
Dazu kommen ungünstige Rahmenbedingungen, wie Böttcher sagt: „Wir haben in Deutschland ein Zwei-Kind-Normalbild, durch das viele Strukturen primär auf vierköpfige Familien ausgerichtet sind.“ Als Beispiel dafür nennt sie den Wohnungsbau.
Oder das Thema Mobilität: „Viele Familienkarten oder auch Familientickets im öffentlichen Nahverkehr, die eine Vergünstigung bieten sollen, sind auf zwei, maximal drei Kinder begrenzt“, sagt Böttcher. „Und wer mehr als zwei Kinder hat, braucht ein größeres Auto.“
Finanzielle und logistische Planung mit 7 Kindern
Häufig besuchten die Kinder verschiedene Betreuungseinrichtungen, Schulen oder Hobbys. Damit verbunden seien unterschiedliche Wege und Zeitstrukturen, die sich schwer unter einen Hut bekommen ließen.
Und natürlich eine herausfordernde finanzielle Situation: Denn am Ende des Monats landen maximal zwei Gehälter auf dem Konto, egal, wie viele Kinder im Haushalt leben. All das führe häufig dazu, dass schon der Wunsch nach einem dritten oder vierten Kind mit den zeitlichen und finanziellen Ressourcen der Eltern konkurriere – und häufig nicht umgesetzt werde.
Warum sich manche Menschen trotzdem für so viele Kinder entscheiden und wie sie sich organisieren, ist sehr verschieden. „Dahinter stecken völlig unterschiedliche Lebensbilder und Entscheidungen“, sagt die Soziologin Böttcher.
Persönliche Erfahrungen und Entscheidungen zur Großfamilie
Bei Kirstin und Stefan Heeren de Bosé waren die sieben Kinder nicht von Anfang an geplant. Aber die entspannten Geburten und die kinderfreundliche Umgebung in Berlin, wo die Familie anfangs wohnte, spielten eine große Rolle. So habe sich das ergeben, erzählt der siebenfache Vater, „für mich als Einzelkind nach wie vor ein krasses Experiment. Aber wir waren überzeugt, wenn wir das mit den ersten zweien gut hinkriegen, laufen die anderen einfach mit. Und ab einem gewissen Alter konnten die Großen tatsächlich den Kleinen helfen.“
Fest steht für ihn dennoch: „Eine Großfamilie ist ein Fulltime-Job – der von der Gesellschaft wenig gewürdigt wird – und man muss natürlich Abstriche machen.“
Etwa bei Freizeitaktivitäten: „Da potenziert sich alles!“, beschreibt er. „Essen gehen, eine Veranstaltung besuchen oder mit allen in den Urlaub fahren, ist sehr kostenintensiv. Wir haben es so probiert, dass wir in einem Jahr mit zwei Söhnen nach Mailand gefahren sind und die anderen im Jahr darauf dran waren, während die Schwester meiner Frau aufgepasst hat.“
Kinder, Haushalt und Arbeit - so läuft es mit 7 Söhnen
Zum Thema Finanzen sagt er: „Das zu stemmen, ist absolut nicht einfach, schon gar nicht bei Corona oder einem längeren Krankenhausaufenthalt“ – was die Familie jetzt alles schon hinter sich hat. „Letztlich ist viel Kreativität, Durchhaltevermögen, Humor und eine Prise Gelassenheit gefragt und die Überzeugung, dass es immer irgendwie funktioniert. Ist ja auch alternativlos“, sagt Heeren de Bosé.
Das Stressigste ist für das Paar die Schule und wenn etwas schief läuft: etwa wenn ein Elternteil ausfällt oder die Kinder der Reihe nach krank sind und eines unter Umständen am Ende wieder ein Familienmitglied zur zweiten Runde ansteckt.
Stolz und Zusammenhalt in der Familie
Ansonsten empfindet das Paar sein Leben aber nicht als anstrengend. Sondern eher bereichernd: „Bei uns gibt es einen großen Zusammenhalt“, sagt Heeren de Bosé. „Wann immer Not am Mann ist, stehen genug familieninterne Helfer bereit.“
Dazu kommt die Gewissheit der Eltern, viel geleistet zu haben: „Je älter der Spross wird, desto mannigfaltiger werden die Anforderungen“, sagen sie. Sie selbst sind gewissermaßen mitgewachsen, von Erziehenden zu Behütenden zu Ratgebenden.
„Der Stolz auf das Erreichte kommt dann spätestens mit dem Auszug der Kinder.“ Und wenn dennoch einmal alles zu viel wird, geht es auf Berlintour: Dann schlafen die Jungs nach kürzester Fahrzeit, während die Eltern sich auf das Lichtermeer der Großstadt freuen.