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Geburt und Wochenbett „Eine Geburt kostet Energie“: Hebamme gibt Tipps zur Nachsorge

Tränen, Stress und Männerpsyche: Die Wochen nach der Geburt fordern viele Paare besonders. Was Eltern für das Wochenbett wissen sollten, verrät Hebamme und Autorin Kerstin Lüking im Interview.

Aktualisiert: 30.09.2024, 13:18
Große Vorfreude, große Ernüchterung: Die Wochen nach der Geburt werden von vielen Eltern unterschätzt.
Große Vorfreude, große Ernüchterung: Die Wochen nach der Geburt werden von vielen Eltern unterschätzt. Foto: Felix Heyder/dpa

Die allermeisten Eltern freuen sich auf ihr Baby und auf die Geburt. Aber dass es sich lohnt, sich auch auf die Zeit nach der Geburt – das Wochenbett – vorzubereiten, bedenken viele nicht. Hebamme Kerstin Lüking hat deshalb ein Buch geschrieben, „Königin im Wochenbett“ heißt es, und es soll werdenden Müttern und Vätern die wichtige Zeit des Wochenbetts näherbringen. Im Interview mit Lena Högemann gibt die Mutter von fünf Töchtern und zwei Söhnen Einblicke.

In den vergangenen 25 Jahren haben Sie mehr als 4.000 Frauen und Familien rund um die Geburt begleitet. Was machen die Familien falsch? Oder anders gefragt: Was sollten sie anders machen?

Kerstin Lüking: Was ich beobachtet habe, ist, dass Eltern sich sehr wenig Gedanken über die Zeit nach der Geburt machen. Sie fiebern auf die Geburt hin, gehen zu den Vorsorgeuntersuchungen und freuen sich natürlich sehr auf das Baby. Aber auf das, was nach der Geburt kommt, sind sie oft nicht so gut vorbereitet. Das würde ich mir anders wünschen. Hermann Hesse hat mal gesagt, dass allem Anfang ein Zauber innewohne. Dem stimme ich in Bezug auf das Wochenbett nicht wirklich zu. Denn häufig gibt es in dieser Zeit der Familienfindung Chaos, Enttäuschung und ganz viele Tränen. Es ist normal, dass Frauen nach der Geburt kraftlos und müde sind. Ich möchte Eltern dafür sensibilisieren, dass sie sich darauf vorbereiten können. Eine Geburt kostet ganz viel Energie. Der Körper und die Seele der Frauen brauchen danach unbedingt Ruhe und Aufmerksamkeit.

Sie erzählen in Ihrem Buch von einer Frau, die drei Tage nachdem sie ihr Kind zur Welt gebracht hatte, in High Heels in der Tür stand. Sie bereitete gerade ein Abendessen für Arbeitskollegen ihres Mannes vor. Warum ist vielen Männern – und auch Frauen – nicht klar, was das Wochenbett sein sollte?

Die Eltern wissen einfach nicht, was auf sie zukommt, gerade bei der ersten Geburt. Sowohl Frauen als auch Männer haben nicht begriffen, dass ein Körper nach einer Geburt einfach Zeit braucht, um regenerieren zu dürfen, um heilen zu dürfen. Und das funktioniert nicht innerhalb von zwei bis drei Tagen. Das dauert mehrere Wochen, wenn nicht sogar weit über ein Jahr hinaus.

Gibt es so etwas wie ein Mindestmaß an Tagen, die Frauen nach der Geburt wirklich liegen sollten?

Das Wochenbett umfasst nach der klassischen Definition die ersten sechs bis acht Lebenswochen des Kindes. Aber viele Frauen fühlen sich danach auch dann noch nicht richtig fit. Als Hebammen empfehlen wir: Eine Woche im Bett, eine Woche auf dem Bett und eine Woche um das Bett herum. Diese drei Wochen Ruhe sind eine gute Investition in die eigene Gesundheit, die einem wenigstens wieder ein bisschen Kraft gibt.

Kerstin Lüking arbeitete als Hebamme, Journalistin und Autorin. Sie ist selbst siebenfache Mutter. „Königin im Wochenbett - Warum Selbstfürsorge und Unterstützung so wichtig für Deine Gesundheit sind. Hebammentipps zur Regeneration“, 18 Euro, erschienen am 15. Mai 2024 im Südwest-Verlag
Kerstin Lüking arbeitete als Hebamme, Journalistin und Autorin. Sie ist selbst siebenfache Mutter. „Königin im Wochenbett - Warum Selbstfürsorge und Unterstützung so wichtig für Deine Gesundheit sind. Hebammentipps zur Regeneration“, 18 Euro, erschienen am 15. Mai 2024 im Südwest-Verlag
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Sie haben auch eine Frau begleitet, die drei Wochen nach der Geburt wieder arbeiten ging. Warum ist Ihnen wichtig, als Hebamme, Frauen für ihre Entscheidungen als Mütter nicht zu bewerten?

Als Hebammen sollten wir nicht dogmatisch sein. Meine Aufgabe ist es, zuzuhören und zu schauen, was jede einzelne Frau braucht. Ich möchte, dass jede Mutter weiß, dass sie nichts falsch macht. Ich sage den Frauen, die ich betreue: Pass auf, egal wie du dich entscheidest, ob du stillen willst oder nicht, ob du arbeiten gehen willst oder nicht, es ist und bleibt deine Entscheidung, die ich als Hebamme zu respektieren habe. Ich möchte, dass die Frauen wissen, dass ich sie unterstütze und begleite, egal welchen Weg sie gehen. Daraus ziehen die Frauen unglaublich viel Kraft.

Die meisten Frauen absolvieren nach der Geburt einen Rückbildungskurs. Viele dieser Kurse finden in Anwesenheit des Babys statt. Sie schreiben, dass das meist uneffektiv sei. Warum? Was empfehlen Sie stattdessen?

Ich rate Frauen ganz klar, sich einen Kurs zu suchen, bei dem die Babys einfach nicht mit dabei sind. Ich weiß natürlich, dass das manchmal aus organisatorischen Gründen nicht machbar ist. Aber ich finde, dass ich auch dem Partner verdeutlichen kann, worum es dabei geht. Ich sage den Vätern: Deine Frau hat ein Anrecht darauf, in Ruhe zum Sport gehen zu dürfen, um sich insbesondere um ihren Beckenboden zu kümmern. Es ist auch nicht im Interesse des Mannes, wenn die Frau ab ihrem 40. Geburtstag inkontinent wird und eine nasse Unterhose bekommt, wenn sie dem Bus hinterherrennt. Genau das kann dann eine Folge sein. Frauen sollten sich grundsätzlich einen Sport suchen, an dem sie Spaß haben und auch regelmäßig teilnehmen. Das kann auch eine Yogastunde oder Pilates sein, Hauptsache, sie machen etwas für sich.

Geburten können für die Paare auch eine Belastung sein. Woran erkennen Sie das als Hebamme, und was hilft Frauen nach belastenden Geburten?

Ich merke das meistens sofort, wenn ich zu den Eltern nach Hause komme. Da ist eine gedrückte Stimmung. Innerhalb weniger Minuten erfahre ich meist von den Partnerinnen oder Partnern, dass es der Wöchnerin psychisch nicht gut geht und die Geburt der Auslöser für diesen Zustand ist. Wir Hebammen können Paare dann erst einmal auffangen und Hilfe anbieten. Frauen können sich nach belastenden Geburten die Dokumentation zuschicken lassen, um nachzuvollziehen, was genau passiert ist. Viele Dinge passieren bei der Geburt, weil es an Kommunikation fehlt und Mütter nicht mit in die Entscheidungen einbezogen werden. Es wird also über ihren Kopf hinweg entschieden, was ihrer eigenen Vorstellung von Geburt nicht entsprochen hat. Dadurch kann unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung entstehen, die bestenfalls begleitet und verarbeitet werden sollte, da sie sonst spätestens bei einer weiteren Schwangerschaft wieder „aufploppen“ und zu Ängsten und großen Bedenken führen kann.

Gibt es auch Situationen, in denen Sie nicht weiterhelfen können?

Es gibt Situationen, in denen ich andere Fachfrauen mit ins Boot hole, beispielsweise Psychologinnen. Ich helfe dabei, passende Hilfe zu finden. Es ist oft nicht ganz einfach, weil Therapeutinnen und Therapeuten häufig lange Wartezeiten haben, was in diesem Fall leider schwierig ist, und wir nicht lange warten können. Erfreulicherweise gibt es mittlerweile Online-Angebote, die schnell Hilfe anbieten. Das ist sehr wichtig für die Frauen, denn: Reden hilft.

Die Geburt ist auch für Väter eine Grenzerfahrung. Was beobachten Sie in Ihrer Arbeit in der Wochenbettbetreuung in Bezug auf die Väter?

Ich biete als Hebamme immer an, auch schon vor der Geburt gemeinsam mit dem Paar zu sprechen, aber oft nehmen das die werdenden Väter nur eingeschränkt wahr – werdende Co-Mütter deutlich häufiger. Es gibt natürlich auch werdende Väter, die sich wirklich vorbildlich kümmern, sich informieren und zum Beispiel in einen Kurs für Väter investieren. Nach belastenden Geburten erlebe ich, dass Väter erst einmal gar nicht viel darüber reden. Viele Männer gehen dann auch sehr schnell wieder arbeiten und bleiben sehr lange weg von Zuhause. Wir dürfen nicht vergessen, dass pro Jahr 65.000 Männer in Deutschland an einer Wochenbettdepression erkranken. Diese zeigt sich meist durch einen Rückzug aus der eigenen Familie. Ich spreche Väter auch direkt darauf an, denn auch sie brauchen manchmal ganz dringend psychologische Hilfe.