Job weg – und jetzt? Drei Kinder und arbeitslos: Wie eine Mutter aus Sachsen-Anhalt ihren Alltag meistert
Verliert ein Elternteil seine Arbeit, hat das Folgen für die ganze Familie. Eine betroffene Mutter erzählt, welche Probleme nun Eltern und Kinder belasten.

Halle (Saale) - Zehn Jahre lang hatte Juliane M. als Lehrerin in einer sachsen-anhaltischen Justizvollzugsanstalt gearbeitet. „Es war mein Traumjob“, sagt die 44-Jährige. Doch während der Coronapandemie wurde daraus eher ein Albtraum: „Alle Maßnahmen wurden streng überwacht.
Es begann damit, dass ich das Gebäude als nicht geimpfte Mitarbeiterin durch den Besucher- statt durch den Personaleingang betreten musste. Damit war ich quasi abgestempelt“, erzählt M.
Arbeitslosigkeit in Zeiten der Corona-Pandemie
„Dann habe ich es meinen Schülern im Unterricht selbst überlassen, ob sie Masken tragen oder nicht.“ Sie selbst entschied sich gegen eine Maske und handelte somit gegen die zu der Zeit geltenden Richtlinien.
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„Es kam eine Abmahnung, bald darauf ein Betretungsverbot“, sagt M. „Dann sollte ich zwangsversetzt werden und auf einmal als Jobcoach arbeiten.“ Sie lehnte ab und kündigte stattdessen. „Die Zustände waren für mich so, dass ich dort nicht mehr länger bleiben konnte“, sagt sie.
Kinder im Fokus: Auswirkungen der Arbeitslosigkeit
Das war im Sommer 2022. Von Juli bis Dezember arbeitete M. dann in der Jugendhilfe, wo sie jedoch wieder gekündigt wurde. Seit Januar dieses Jahres ist M. auf der Suche nach einer Arbeit – so wie zehntausende andere Menschen in Sachsen-Anhalt auch.
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Wen genau es trifft, lässt sich so nicht vorhersagen. „Aber es gibt stärker gefährdete Gruppen, die durchschnittlich häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind als die gesamte lohnarbeitende Bevölkerung“, sagt der Soziologe Philipp Kahnert.

Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und forscht zu sozialer Ungleichheit, Armut und Arbeitslosigkeit.
Neustart: Chancen und Herausforderungen nach Arbeitslosigkeit
„Zu den gefährdeten Gruppen gehören Arbeitnehmende ab 55 Jahren, Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und Menschen aus den neuen Bundesländern“, sagt Kahnert. „Auch Menschen mit geringeren Qualifikationen sowie in befristeten oder schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen sind stärker dem Risiko der Arbeitslosigkeit ausgesetzt.“
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Keine Arbeit zu haben, bringt das Leben auf verschiedenen Ebenen aus dem Gleichgewicht. „Es bedeutet beinahe immer eine finanziell belastende oder sogar existenzbedrohende Situation“, sagt der Soziologe Kahnert.
Unterstützung durch das Jobcenter
Prekär sei Arbeitslosigkeit vor allem für Menschen ohne Ersparnisse oder Unterstützung aus dem sozialen Umfeld. „Gerade länger andauernde Arbeitslosigkeit erhöht signifikant die Gefahr, in Armut zu geraten oder sich zu überschulden.“
Trifft die Arbeitslosigkeit jemanden mit Kindern, können die Folgen noch gravierender sein. Gerade bei Alleinerziehenden oder in Familien, in denen nur ein Elternteil berufstätig war, macht sich das fehlende Einkommen schnell bemerkbar.
„Das Budget muss angepasst werden, Konsum- und Freizeitmöglichkeiten verschlechtern sich, unter Umständen muss die Familie umziehen“, sagt Kahnert. „Allgemein kommen verschiedene Entbehrungserfahrungen zusammen.“

Auch bei M. macht sich das fehlende Gehalt bemerkbar. Ihre drei Kinder, die sich im Grundschul- und Teenageralter befinden, zieht sie alleine groß.
Wege zur finanziellen Sicherheit: Bürgergeld und mehr
„Derzeit bekomme ich Arbeitslosengeld, auch nicht wenig“, sagt sie. So könne sie noch alles stemmen. „Aber ich muss trotzdem auch an mein Erspartes gehen, das eigentlich für andere Dinge gedacht war.“
Dazu kommt, dass sich die Jobsuche schwieriger gestaltet als gedacht: „Mittlerweile bin ich seit einem Dreivierteljahr zuhause und finde keine Stelle“, sagt M. „Worüber ich mich freue, ist dass ich jetzt mehr Zeit für meine kleine Tochter habe, die gerade eingeschult wurde.“
Trotzdem überwiegen negative Gefühle oft: „Ich bin verzweifelt, weil ich nicht weiß, wo ich mich noch bewerben soll, und wütend, dass ich nicht arbeiten kann, obwohl ich so gerne möchte und überall Lehrkräfte gesucht werden.“
Zu finanziellen Einbußen kommen gesundheitliche und soziale Folgen. „Betroffene erleben den Verlust ihrer Arbeit oft als persönliche Schwäche und Versagen“, sagt Kahnert. „Das bedroht das Selbstwertgefühl und verstärkt den Stress in der Situation.“

Arbeitslosigkeit und ihre sozialen Auswirkungen
Bei längerer Arbeitslosigkeit steigt das Risiko, an Depressionen zu erkranken. „Auch Suchterkrankungen, Krebserkrankungen und Kreislauf Probleme häufen sich. Insgesamt sinkt sogar die Lebenserwartung, und die Mortalität steigt kontinuierlich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit“, sagt Kahnert.
Und: „Arbeit ist einer der wichtigsten Faktoren für Integration und gesellschaftliche Teilhabe“, sagt der Soziologe Kahnert. Verliert jemand seine Anstelllung, steigt ihm zufolge das Risiko, isoliert zu werden, zu vereinsamen und auf diese Weise vom sozialen Leben ausgeschlossen zu sein.
Dazu tragen auch negative Stigmata bei: „Für viele Menschen sind Arbeitslose Faule, „Harzer“ oder Sozialschmarotzer – Sozialfiguren, die in unserer Gesellschaft verbreitet sind, aber nicht ansatzweise zutreffen“, sagt Kahnert.
Unterstützungsangebote und Dienstleistungen
„Aus der Sozialforschung wissen wir, dass die meisten Menschen sehr gerne arbeiten und ihrer Arbeit einen hohen Stellenwert im Leben zurechnen.“ Insofern bewertet er die Vorurteile als schädlich und menschenverachtend: „Die menschliche Würde kann nicht und muss auch nicht erarbeitet werden. Unser Wert als Person und das Recht auf soziale Teilhabe dürfen nicht daran bemessen werden, was wir zu leisten imstande sind.“

Auch an den Kindern geht eine solche Situation nicht spurlos vorbei: „Oft leiden sie stark unter den Belastungen, die auch die Eltern treffen“, sagt Kahnert.
„Emotionaler Stress, Unsicherheit und Zukunftsängste belasten Kinder schwer, wodurch auch bei ihnen häufiger gesundheitliche Probleme auftreten können. Ebenso können die Eltern überfordert und sehr mit der eigenen Situation beschäftigt sein, worunter die Eltern-Kind-Beziehung leidet.“
Trotzdem hält er nichts davon, Kindern die Problematik vorzuenthalten. „Ich denke, es ist enorm wichtig, ehrlich zu sein, aber den Kindern gleichzeitig immer Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit zu vermitteln. Ich halte es für sinnvoll, Kindern aller Altersstufen zu erklären, dass Arbeitslosigkeit kein Versagen bedeutet, dass es kein Grund ist, sich zu schämen und dass es falsch ist, andere Menschen herabzuwürdigen.“
Auch M. war von Anfang an ehrlich zu ihren Kindern. „Sie haben natürlich mitbekommen, was auf meiner Arbeit los war“, erzählt sie. „Sie finden das zwar nicht schön, gerade weil sie merken, dass es mir damit nicht gut geht.“
Umso wichtiger ist es ihr, besonders aufmerksam gegenüber den Gefühlen ihrer Kinder zu sein und sich zuversichtlich zu zeigen: „Für meine Kinder ist klar, dass ich nicht den Kopf in den Sand stecke, dass es nicht das Ende der Welt ist und es wieder bergauf gehen wird“, sagt sie.
Immerhin gilt: „Grundsätzlich ist die Chance, innerhalb von einem Jahr wieder Arbeit zu finden, für die Mehrheit der Betroffenen groß“, sagt Kahnert – nur jeder dritte Arbeitslose in Deutschland ist aktuell länger als ein Jahr ohne Job. Doch wie gelingt der Wiedereinstieg?
„Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort oder Anleitung“, sagt Kahnert. „Ich denke, dass eine individuell passende und breitgefächerte Stellensuche begünstigend wirkt, etwa über die Jobcenter, klassische Printmedien, Websites und sozialen Medien.“
Die freie Zeit für zusätzliche Weiterbildung und fachliche Qualifikation zu nutzen, erhöhe die Berufschancen. Und nicht zuletzt erachtet er es als wichtig, persönliche Ziele zu setzen und wertschätzende soziale Beziehungen zu Freunden und Familienangehörigen zu pflegen.
Auch M. hat einen Plan für die Zukunft: „Derzeit mache ich eine Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft“, erzählt sie. Damit könnte sie dann zum Beispiel als Erzieherin oder in einer Grundschule arbeiten – und so bald wieder im Berufsleben Fuß fassen.
Wer arbeitslos ist, aber noch kein Bürgergeld bezieht, kann bei der zuständigen Familienkasse einen Kinderzuschlag beantragen. Einkommensschwache Familien können zudem Wohngeld beziehen.
Nach Ablauf der jeweiligen Bezugsdauer erhalten Arbeitslose Bürgergeld und damit unter Umständen Anspruch auf weitere Leistungen, etwa einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein, Einstiegsgeld oder kommunale Eingliederungsleistungen.