Erziehung: Zu starre Regeln machen unglaubwürdig
Groß-Gerau/dpa. - In jeder Familie gibt es Regeln, die ständig im Raum herumschwirren: Keine Schokocreme zum Frühstück, nach dem Essen Zähne putzen, pünktlich ins Bett gehen und keine Schuhe im Flur herumliegen lassen.
Und ob bei der Supernanny oder bei der Ratgeberlektüre: Immer wieder wird Eltern erklärt, wie wichtig Konsequenz in der Erziehung ist. Doch nicht immer lässt sich jede Regel durchsetzen. Das muss auch nicht sein, sagen Experten.
«Regeln sind wichtig, um den Familienalltag zu strukturieren», erklärt Klaus Fischer, Psychotherapeut bei der Familienberatungsstelle in Schmallenberg (Nordrhein-Westfalen). «Ohne Regeln und Grenzen entsteht Chaos.» Trotzdem kommt es immer wieder zu Situationen, in denen die Regeln nur schwer oder gar nicht umzusetzen sind. «Das ist ganz normal, Ausnahmen gehören dazu.»
Wenn der Kindergeburtstag länger dauert, geht es eben später ins Bett. Am Sonntag darf auch mal Nutella aufs Brötchen oder in den Ferien länger Fernsehen geschaut werden: «Eltern sollten ihrem Kind die Ausnahme natürlich erklären und den Hinweis geben, dass diese Veränderung nicht zum Dauerzustand wird», erklärt Fischer.
Obwohl allerorts zur Konsequenz gemahnt wird, sind Regelverstöße durchaus wichtig. «Eltern, die unter keinen Umständen eine Abweichung dulden, verlieren auf Dauer ihre Glaubwürdigkeit», erklärt der Ratgeberautor Peer Wüschner aus Wadersloh (Nordrhein-Westfalen). «Besonders, wenn die Regeln willkürlich durchgeboxt werden oder für die Kinder nicht nachvollziehbar sind.»
Denn Situationen ändern sich und damit auch der Sinn einer Regel. «Es passieren einfach immer wieder neue Dinge, die Ausnahmen automatisch einfordern», sagt auch Christoph Schmidt von der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Groß-Gerau.
Eltern sollten auch in der Lage sein, falsche Entscheidungen korrigieren zu können, ergänzt Fischer. Wer dem Sohn den Ausflug mit den Freunden verboten hat, weil der den Rasen nicht gemäht hat, sollte das Verbot sofort mit einer Entschuldigung aufheben, wenn der Einwand, dass der Mäher kaputt war, sich als richtig herausstellt.
«Regeln müssen gut durchdacht sein», rät Klaus Fischer. Und sie müssen dem Alter des Kindes entsprechen. «Das erfordert immer wieder Veränderungen.» Dennoch gebe es in jeder Familie grundsätzliche Grenzen, die eingehalten werden müssen. «Fernsehzeiten sollten klar geregelt sein, weil Kinder das selbst nicht regulieren können», nennt Fischer ein Beispiel.
Peer Wüschner empfiehlt, die wichtigsten Regeln mit den Kindern aufzuschreiben und zu gewichten: «Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber, warum manche Regeln für Sie besonders wichtig sind.» Im Idealfall gebe es in einer Familie wenige, aber wirklich wichtige Regeln und im Gegenzug viel Freiheit, erläutert Fischer.
«Darf ich Computer spielen?» Wenn Kinder diese Frage ein Dutzend Mal stellen, dabei immer fordernder werden, vielleicht sogar wütend oder die Eltern erpressen, sollten diese auf keinen Fall aus Resignation «Ja» sagen: «Wer nachgibt, weil er seine Ruhe haben will oder das Kind nicht leiden sehen mag, eröffnet einen Teufelskreis», warnt Fischer. Denn auf diese Weise lernten Kinder, dass sie nur hartnäckig genug sein müssen, um zu bekommen, was sie wollen. Die Folge sind Dauerdiskussionen und Streit.