1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Entstehungsgeschichte: Entstehungsgeschichte: ... darauf einen Eierlikör

EIL

Entstehungsgeschichte Entstehungsgeschichte: ... darauf einen Eierlikör

Von IRIS STEIN Aktualisiert: 08.12.2021, 16:41

Halle (Saale)/MZ. - Wer nun aber denkt, die anregende Flüssigkeit ist exakt für diesen Anlass entstanden, der liegt falsch.

Denn eigentlich hat Eierlikör gar nichts mit Ostern zu tun. Genau genommen nicht einmal mit Eiern, obwohl die natürlich die Grundlage des aromatischen Getränks sind. Aber gedacht war das einst ganz anders. Herkunft und ursprüngliche Zusammensetzung des Eierlikörs sind so exotisch, das danach glatt die Millionenfrage bei Günter Jauch gestellt werden könnte. Wer soll darauf kommen, dass es sich um ein alkoholisches Getränk aus Südamerika handelt?

Was heute als Eierlikör über Theken und Ladentische geht, hat im Laufe der Geschichte eine wundersame Verwandlung durchgemacht. Denn nicht Eier waren das Ausgangsprodukt für die dickflüssige Leckerei, sondern Avocados. Keine Tierprodukte, sondern Pflanzenfrüchte. Nicht leuchtend gelb, sondern grün oder schwarz, von außen zumindest. Und beheimatet nicht etwa in Europa, sondern in weiter Ferne hinter dem Ozean.

Die Ureinwohner des Amazonasgebietes in der Kolonie Brasilien, die Tupo-Guarani-Indianer, die mischten einst ein alkoholhaltiges Getränk auf Basis der Avocadofrucht. "Abacate" hieß bei ihnen die Köstlichkeit, gemixt aus dem gelben, butterweichen Fruchtfleisch der Avocado. Die Kolonialfahrer verfeinerten das indianische Rezept mit Rohrzucker und Rum zu einem Avokadoschnaps, den sie "Advocaat" nannten und der die Urform des heutigen Eierlikörs darstellt. Als die Niederländer im 17. Jahrhundert aus dem heutigen Brasilien vertrieben wurden, nahmen sie Rezept und Avocados mit. Die Avocadobäume gediehen nun in ihren indonesischen Besitzungen und der "Advocaat" konnte weiter fließen.

Nur mit der Herstellung zu Hause haperte es. Die Sache hatte nämlich einen Haken: Die Bäume dachten gar nicht daran, in hiesigen Breiten Wurzeln zu schlagen. Woraus also sollte das nette Likörchen auch vor der Haustür entstehen? Die Lösung war schlicht - das Gelbe vom Ei! Eugen Verpoorten - wen wundert's? - hieß der pfiffige Genießer, der im Jahr 1876 die Avocados gegen Eigelbe tauschte und eine spezielle Rezeptur entwickelte. Er mischte Eidotter, Branntwein, Zucker und andere feine Beigaben zu einer Eierlikör-Komposition, die dem Avocadoschnaps an Wohlgeschmack, Würze, Wirkung und im Aussehen ebenbürtig war. Überflüssig zu betonen, dass das Rezept natürlich Familiengeheimnis ist und immer noch angewandt wird, denn das von ihm just vor 135 Jahren gegründete Unternehmen existiert auch heute noch.

Aber geheim hin oder her: Ob es nun exakt dasselbe ist oder abgewandelte Formen kursieren - Eierlikörrezepte gibt es wie Sand am Meer. Wer bei Google und Co. richtig gräbt, wird das flüssige Gold in zigfachen Variationen finden. An die 2 000 Herstellungs-Anleitungen dürften es sein, auf jeden Fall mehr, als man so zu einem durchschnittlichen Osterfest verkosten könnte.

Frische Eidotter gehören immer hinein, wenn sich das Ergebnis am Ende Eierlikör nennen soll. Dazu Brände, mehr oder weniger edel. Genannt wird nahezu alles, was Alkohol enthält: von Wodka über Korn, Weinbrand und Rum bis hin zu Weingeist und Primasprit. Für die nötige Exotik sorgen dann Vanille und Aromen, in manchen Empfehlungen gar Muskatnuss.

Wer an Eierlikör denkt, dem läuft aber nicht nur das Wasser im Mund zusammen, sondern in aller Regel klingt ihm auch eine unverwüstliche Melodie in den Ohren. Sie wissen schon: "Ei, Ei, Ei . . ." Das kleine Liedchen, das seit 1961 als Werbeslogan genutzt wird, ist allerdings mitnichten zu diesem Anlass entstanden. Mancher kennt ja vielleicht sogar noch den ursprünglichen Text. Der lautet nämlich "Ay, Ay, Ay, Maria, Maria aus Bahia". Ein heißer Sambatitel, komponiert vom Grandseigneur des französischen Chansons Paul Misraki (1908-1998). Danach tanzte man im Deutschland der Sechzigerjahre und das dürfte zum Siegeszug des Werbeliedchens gehörig beigetragen haben.

Oder sogar das Getränk selbst, denn Eierlikör-Schlürfen dürfte kaum jemals so verbreitet gewesen sein, wie in der damaligen Zeit. Doch wer weiß, vielleicht wird der Eierlikör ja gerade wieder entdeckt. Ein Hamburger Hersteller stilisiert seinen "Ostereierlikör" jedenfalls in den letzten Jahren als Kultgetränk, das es nur für eine begrenzte Zeit gibt. Der Absatzerfolg spricht Bände . . .