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Eine Rolle spielen Eine Rolle spielen: Was wir im Job von Angela Merkel lernen können

19.11.2014, 14:40
Ein wichtiges Element der Merkel-Rhetorik: Sie schaut Menschen an und deutet häufig zu ihnen hinüber. (im Bild mit Ehemann Joachim Sauer)
Ein wichtiges Element der Merkel-Rhetorik: Sie schaut Menschen an und deutet häufig zu ihnen hinüber. (im Bild mit Ehemann Joachim Sauer) dpa Lizenz

Was im Film gilt, gilt auch für die Arbeit: Von uns wird erwartet, dass wir unsere „Rolle“ gut beherrschen. „Der Topmanager wird nicht dafür bezahlt, dass er sich auf sein 'natürliches Talent' verlässt und bei der Bilanzpressekonferenz das sagt, was ihm gerade in den Sinn kommt. Und der Spitzenpolitiker sollte auch nicht reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, sagt Dr. Stefan Wachtel. Er hat jahrelange Erfahrung als Coach von Vorstandsvorsitzenden von DAX-Konzernen und Spitzenpolitikern gesammelt. Und er weiß: Vor allem wer authentisch zu sein scheint, hat beruflich Erfolg.

Wieso es besser für die Karriere ist, im Job nicht einfach nur „man selbst“ zu sein, erklärt Kommunikationsguru Wachtel in seinem neuen Ratgeber „Sei nicht authentisch! Warum klug manchmal besser ist als echt“ (Plassen Verlag). In dem Buch geht es unter anderem um die richtige Körpersprache und Kleidung - vor allem aber um Rhetorik.

„Die Kunst guter Fälschung besteht darin, den Betrachter nichts vermissen zu lassen. Wenn das gelingt, sind die Kopien gelegentlich besser als die Originale“, ist Wachtel überzeugt. Hingegen sei das Authentische, Echte oft genug problematisch im Arbeitsleben: „Der Chef, der schlecht über andere redet, derjenige, der sich nicht im Griff hat, wer in Gegenwart eines Kunden eine andere Abteilung madig macht: Sie alle sind nicht im Film; sie sind allzu authentisch, situativ oder habituell (gewohnheitsmäßig).“

Eine überzeugende Rolle spielten hingegen nicht nur gute Schauspieler, sondern auch viele Topmanager und Spitzenpolitiker. Als ein Beispiel nennt der Jobcoach Angela Merkel. Sie ist seit Jahren im Amt und nach wie vor sehr beliebt, wie Umfragewerte zeigen. Was aber ist das Erfolgsrezept der Bundeskanzlerin? „Angela Merkel ist immer in der Spur, fällt nie aus der Rolle, hat für jeden ein freundliches Wort übrig“, sagt Wachtel. Von ihr könnten sich Arbeitnehmer einiges abschauen:

1. Benutzen Sie Gleichnisse

Angela Merkel spricht konkret, genauer gesagt: pseudo-konkret. Was schon gesagt wurde, wiederholt sie mit einem Beispiel. „Sie spricht nicht einfach von Freuden, sondern zählt allerlei Arten von Freuden auf, sie spricht nicht nur von Begabungen und Temperamenten, sondern zählt auf, was es so gibt an Begabungen und Temperamenten“, beschreibt Wachtel.

Im TV-Duell gegen SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erzählte die Kanzlerin Geschichtchen wie: „Stellen Sie sich mal vor, ich würde Ihnen jetzt mal vorschreiben, dass Sie eine Schraubenfabrik aufmachen.“ Das seien Gleichnisse, erklärt Jobcoach Wachtel, und rät: „Benutzen Sie solche Gleichnisse: Wenn Sie Menschen zu besonderer Anstrengung bringen wollen, dann suchen Sie ein Bild dafür.“ Das könne zum Beispiel ein Gleichnis von einem Schiff in rauer See sein.

2. Verbergen Sie allzu authentische Regungen

Angela Merkel ist laut Wachtel die Meisterin des „Deadpan“ („tote Pfanne“): Wie ein Schauspieler sei sie imstande, überhaupt keine Regung zu zeigen. Niemand wisse was sie fühle - Merkels Kunst des Deadpan sei unübertroffen. Im entscheidenden Moment gelinge es ihr, einen Gesichtsausdruck darüberzulegen. „Das ist ganz großes Kino – das Nichts als Programm“, so Wachtel.

Eines der großen Geheimnisse der Merkel-Rhetorik sei zudem das Verbergen jedes Authentischen: Die Akteurin scheine – außerhalb der Rolle – vollkommen asexuell: Gelegentlich wird etwas gekocht oder sie geht spazieren in der Uckermark. Unvorstellbar sei eine Meldung wie beispielsweise, sie habe sich einmal zu viel vom Buffet genommen. Die Kanzlerin sei augenscheinlich nur für Deutschland da, sie passe perfekt zur Rolle und stelle somit einen authentischen Eindruck her.

3. Auch wenn Sie anderer Meinung sind: Nehmen Sie Kritik an!

„Ich hab ’ne Menge Ansporn, was zu lernen und zum Nachdenken“, erklärte Merkel, nachdem ihr sechs Kandidaten in einer TV-Sendung die Meinung sagten. Das nimmt für sie ein. Selbst hierin stand ihr der Herausforderer nach, der genau dies Wachtel zufolge nicht tat: Fehler zugeben. Peer Steinbrücks Replik auf die Frage nach Mängeln seines Wahlkampfes in einem morgendlichen TV-Interview lautete stattdessen: „Hätte, hätte, Fahrradkette.“

Kritik annehmen heiße: den anderen wertzuschätzen. Es sei die Chance auf Zugang, Merkels Wort dafür sei „gemeinsam“. Die SPD versuchte das mit dem Slogan „Das WIR entscheidet“. Leider war der Hauptdarsteller zu authentisch. „Jemand hätte ihm sagen sollen, dass er ein Parteidarsteller in einem Film ist“, sagt Wachtel.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, mit welcher rhetorischen Taktik Angela Merkel andere überzeugt - und wo die Gefahren der „Merkelisierung“ liegen.

4. Die sieben Elemente der Merkel-Rhetorik

1. Mindset: Sie spielt gut, sie scheint ganz dabei zu sein: „gemeinsam“.

2. Common Grounds: Allgemein anerkannte Sätze: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“: Alle nicken.

3. Appreciating: „Das finde ich eine gute Idee.“: Das sagt Merkel auch über die abwegigsten Ideen.

4. View: Sie schaut Menschen an und deutet zu ihnen hinüber.

5. Issues: Sie setzt die Themen, sie bestimmt, was sie sagt: In Wahlkampfzeiten kommt in jedem dritten Statement ihr Wahlkreis vor.

6. Avoiding: Sie vermeidet Reizwörter: Als in einer Talkshow von einem unangenehmen Thema – Betreuungsgeld – gesprochen wird, nimmt sie das böse Wort nicht in den Mund.

7. Inquire: Sie geht auf andere aktiv zu, sie fragt: „Wie ist das bei Ihnen genau?“

5. Die Grenzen des Merkel-around

In einem Hotel in Miami Beach sagte jemand einmal zu Stefan Wachtel (ohne zu wissen, dass er Deutscher ist): „Don’t merkel around all the time, give me a clear statement!“ („Merkel nicht rum, red Klartext.“) Die Kanzlerinnenmethode habe Grenzen, spätestens wenn sich die Inhalte noch mehr verabschiedeten, mahnt Kommunikationsexperte Wachtel.

Die Merkelisierung der politischen Rede sei sogar gefährlich: „Niemals konkret werden ist dann doch zu viel des Guten. Manipulation ist eine Droge, für Manipuliererinnen wie Manipulierte“, warnt er. Die Sucht nach dem Authentischen – nichts Neues lernen, man selbst sein, ganz nach innen gehen, nicht rausgehen, nichts riskieren –, in Bundeskanzlerin Merkel finde sie ihre Vollendung.

Je mehr die Menschen durch Merkel von der Schwere der Eurokrise und von härteren Zeiten hörten, desto mehr wünschten sie sich Merkel, schrieb eine Zeitung. „Es ist schlimm, aber wir schaffen das.“ Diese Methode infantilisiere und schließe Gehirne kurz, wenn sie sich weiter perfektioniere: „Merkel umarmt alle. Diese Taktik wird umkippen. Demokratie befördert Rhetorik. Aber tut das der Demokratie gut? Langfristig sicher nicht“, lautet Wachtels Fazit. Und wir sollten wissen: Am Ende der Rhetorik stehe fast immer die Diktatur. (gs)

„Sei nicht authentisch!“ - Eine Aufforderung, die auf den ersten Blick merkwürdig und falsch klingt.
„Sei nicht authentisch!“ - Eine Aufforderung, die auf den ersten Blick merkwürdig und falsch klingt.
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Typisches Erkennungsmerkmal der Bundeskanzlerin ist die „Merkel-Raute“. Ihre Hände unterstreichen ihre Außenwirkung: Angela Merkel ist immer in der Spur, fällt nie aus der Rolle.
Typisches Erkennungsmerkmal der Bundeskanzlerin ist die „Merkel-Raute“. Ihre Hände unterstreichen ihre Außenwirkung: Angela Merkel ist immer in der Spur, fällt nie aus der Rolle.
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Nie fällt die Kanzlerin aus der Rolle: Gelegentlich wird etwas gekocht, in der Uckermark spaziert - oder auch mal ein Kiwi-Vogel in Neuseeland gestreichelt.
Nie fällt die Kanzlerin aus der Rolle: Gelegentlich wird etwas gekocht, in der Uckermark spaziert - oder auch mal ein Kiwi-Vogel in Neuseeland gestreichelt.
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