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«Burg Wanzleben» «Burg Wanzleben»: Delikatessen statt Stroh

Von MICHAEL FALGOWSKI 10.06.2011, 16:30

Halle (Saale)/MZ. - So schön wie einst die Pferde auf der Burg Wanzleben möchte man wohnen! Große Räume, überdacht von einer kunstvoll gemauerten Schwalbenschwanz-Gewölbedecke aus rotem Backstein, gestützt von gusseisernen Säulen. Der damalige Pächter der Burg, Philipp August Kühne, erbaute 1869 den Stall, und nach ihm ist das dort untergebrachte Restaurant benannt. Statt Tränke und Stroh findet sich dezentes, stilvolles Mobiliar nebst Lobbybar des angrenzenden Hotels mit Kamin und Bibliothek. Um ehrlich zu sein: Wir ahnten vor unserem Besuch weder etwas von der Burg Wanzleben und schon gar nicht vom Restaurant, das bereits zum vierten Mal in Folge im Gault Millau bedacht wurde, dieses Jahr mit 13 Punkten. Und ja, sie hatten mal wieder recht mit ihrer Würdigung, die Herren Kritiker, so viel steht fest.

Wilder Spargel und Geflügelterrine

Es fing schon so vielversprechend an. Am Tisch erwarteten uns selbstgebackene Brötchenecken, kleine Kugeln aus Nuss-, Orangen- oder Olivenbutter standen daneben. Sofort Beschluss gefasst: nachmachen! Eben jenen Gedanken verwarfen wir sofort beim folgenden überraschenden und absolut köstlichen Gruß des Hauses: eine Scheibe Geflügelterrine, angerichtet auf wildem Spargel. Der gehört übrigens zur selben Familie, hat aber äußerlich und geschmacklich nicht sehr viel gemein mit dem herkömmlichen Gemüse.

An dieser Stelle sei ein kleines Bonmot untergebracht, weil es grad so gut passt: Es kursiert die Geschichte, dass ein Pärchen in einem Münchner Restaurant, das einem unserer vielen berühmten, nun ja, Fernsehköche gehört, Hausverbot bekam. Weil die beiden Genießer nämlich gegenseitig von ihren Gerichten kosteten, vielleicht sogar Gabeln austauschten! Da es im "Philipp August" zwar gesittet, aber nicht halb so streng zugeht, sind wir in den Genuss gekommen, auch mal vom anderen Tellerchen zu naschen. Was für ein Glück!

Es begann mit einer Essenz von Staudensellerie - ähnelt einer Brühe, ist aber sehr viel intensiver im Geschmack - mit zwei Trauben-Senfravioli (acht Euro). Sehr gut! Das Beef Tatar (elf Euro) warf uns dann wieder um, serviert mit einem rohen Wachtelei, einem Pesto und Zwiebelchen. Den Spargel-Erdbeer-Salat mit Champagnervinaigrette (acht Euro) verdanken wir einem kleinen Abstecher in die aktuelle Spargelkarte, eine erfrischende Vorspeise mit exotischer Note. Als einer von zwei Zwischengängen bietet die alle vier Wochen wechselnde Karte derzeit ein Spargelrisotto mit gebratener Red-Snapper-Schnitte (elf Euro) an. Das Risotto hatte die richtige Konsistenz, war aber vielleicht einen Hauch zu sehr vom Spargel dominiert. Und dann folgten die Höhepunkte Schlag auf Schlag: Das Lammragout mit Frühlingsgemüse und Kartoffelstrudel - in Teig eingewickelte und gebackene Kartoffelstückchen - (20 Euro): großartig! Das perfekt gebratene Entrecote vom Pommerschen Rind mit Altmärker Spargel, Kartoffeln und Sauce Hollandaise (23 Euro): unverbesserlich! Das Meeräschen-Kotelett (19,50 Euro) auf Schupfnudeln und einer Sauce mit Anishauch brachte wiederum eine - wenn man es doch nur könnte! - unbedingt nachahmenswerte Köstlichkeit mit sich: karamellisierten Frühlingslauch. Ach! Hier müssen wir übrigens bekennen, dass uns durchaus bewusst ist, dass in dieser Rubrik mit Superlativen nur so jongliert wird. Allein, auch im Bezug auf dieses Restaurant bleibt uns nichts anderes übrig!

Natürlich mussten wir auch von den Desserts noch probieren. Der Frischkäse "Milchschnitte" (neun Euro), serviert mit einem Passionsfrüchtesorbet, hatte glücklicherweise lediglich äußerlich Ähnlichkeit mit der gleichnamigen Nascherei; die Variationen von der Erdbeere (neun Euro), bestehend aus einer Crème brûlée, Sorbet und frischen Früchten, waren leicht und erfrischend. Die Wein- ist der Speisekarte ebenbürtig. Angeboten werden auch mehrere regionale Produkte, unter anderem vom Harzer Weingut Westerhausen. Wir entschieden uns auf Empfehlung der überaus netten, aber wohltuend zurückhaltenden Bedienung für einen Grauburgunder aus dem Badischen, der wunderbar mit dem Essen harmonierte. Und, wir geben es zu, auch das in Gardelegen unweit Magdeburg gebraute Bier "Garley" schmeckte.

Vegetarier und Kinder werden in der Speisekarte nicht mit einer extra Rubrik bedacht. Aber alles sei möglich, so versicherte man uns, außer Pommes und Kroketten. Nebenbei: In einem pädagogischen Ratgeber lasen wir neulich, dass Kinder in Gourmetrestaurants nichts verloren haben, zu anstrengend sei das manierliche Warten aufs Essen für die Kleinen, und zu absehbar seien Unruhe, Schimpfen, Tränen! Als Eltern glauben wir das sofort.

Wohnschloss der Bischöfe

Zurück zur Burg. Es ist ein Glück, dass im Pferdestall umgesattelt wurde auf die gehobene Küche. 2003 wurde das Restaurant eröffnet; der Koch, der sämtliche Gerichte selbst kreiert, stammt aus Thüringen und ist über mehrere Stationen, beispielsweise im Schloss Hardenberg oder auf einem Mittelmeer-Kreuzschiff, wieder zurückgekehrt in die Nähe seiner Heimat. Die gesamte Burg Wanzleben - um das Erlebnis kulturhistorisch abzuschließen - befindet sich seit 1993 in den Händen von Friedrich-Wilhelm Kühne. Seine Familie hatte die Anlage, die 896 erstmals Erwähnung findet und eine der größten Niederungsburgen Europas ist, schon ab dem Jahr 1778 gepachtet. 200 Jahre vorher hatten die Magdeburger Erzbischöfe das Anwesen zum Wohnschloss umbauen lassen.

Der über 30 Meter hohe Bergfried könnte einiges erzählen: Napoleon und seine Truppen rasteten schon in Wanzleben, und nach der Enteignung nach 1945 ging die Burg den Weg vieler ostdeutscher historischer Stätten. Sie wurde vernachlässigt, als LPG, Kindergarten oder Bank gebraucht und verfiel. Der neue Besitzer restaurierte die Anlage nach der Wende schrittweise, eröffnete zunächst ein hochklassiges Hotel und setzte Philipp August Kühne sein Denkmal.

Hotel Burg Wanzleben

Adresse:Hotel Burg Wanzleben, Am Amt 1, 39164 Wanzleben


Telefon: 039209/60140


E-Mail: [email protected]

Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag von 18 Uhr bis 1 Uhr, Küche von 18 Uhr bis 21.30 Uhr

Hauptgerichte kosten zwischen 19 bis 25 Euro, Offeneen Wein gibt es ab fünf Euro (0,15 Liter), der Flaschenpreis (0,75 Liter) liegt bei durchschnittlich 30 bis 35 Euro; die teuerste kostet 190 Euro