"Babymanagement" "Babymanagement": Wenn das Kind zum Projekt wird
Ins Elternsein stolpert man heute nicht einfach so rein. Moderne Mütter und Väter wollen vorbereitet sein. Schließlich gibt es genug, was man planen kann. Dabei helfen Ratgeberbücher, Kurse und selbstverständlich andere versierte Eltern-Experten, die gerne mahnen und demonstrieren, wie das so läuft rund ums Baby. Noch bevor sie auf dem Ultraschall-Bild irgendwas erkennen können, wissen werdende Eltern meist genau, welche Dos und Don'ts zu beachten sind, damit es erfolgreich läuft, mit dem „Projekt Kind“.
Optimierung des Babyalltags mit BWL-Methoden
Der Perfektionsdrang rund ums Kinderhaben wird nun von einem neuen Buch auf die Spitze getrieben. Marketing-Professor Marko Sarstedt gibt in seinem ironischen und amüsanten Ratgeber „Optimiertes Babymanagement“ Tipps, um den Elternalltag mit betriebswirtschaftlichen Methoden zu verbessern. Und das fange schon bei der Nachwuchsproduktion an: Weil „das zeugungsrelevante Zeitfenster sehr beschränkt ist“, müsse jenes mit einem „rigiden Just-in-Time-Management“ realisiert werden. Gut zu wissen.
In kurzen Kapiteln geht der Autor „Probleme“ an, die Eltern rund um das neue Kind lösen müssen. Mithilfe einer so genannten „Name Concept Map“ ermittelt er den richtigen Namen fürs Kind, „der sich nicht nur mit einem Doktortitel kombinieren lassen muss, sondern der auch maximale soziale Akzeptanz garantiert“. Um einen passenden Kinderwagen zu finden, den „Inbegriff väterlicher Männlichkeit“, nutzt er die „Choice-based Conjoint Analyse“. Kurz erklärt: Er untersucht, welche Kinderwagen-Eigenschaften den größten Nutzen stiften, erhebt dann die Daten von Freunden, um so das beste Modell heraus zu analysieren.
Einfach berechnen: Kita-Auswahl und Aufstehplan
Bei der Suche nach der besten Kita entscheidet er sich für ein ausgeklügeltes „Scoring-Modell“ mit dem Titel „PUPS-K“ (Punktwertbasierte Priorisierung städtischer Krippen). Auch bei der Kinderzimmereinrichtung, dem Windelbestandsmanagement, dem nächtlichen Aufstehverhalten der Eltern und der Kinderwagen-Routenplanung setzt Sarstedt auf bewährte Methoden aus der Betriebswirtschaft.
Es ist schwer vorstellbar, dass jemand wirklich so seine Entscheidungen trifft. Trotzdem sind die komplexen Konzepte für den Laien beeindruckend, wenngleich auch etwas zu kompliziert. Dass man zu den Lösungen auch durch einfache Recherchen und Diskussionen kommen könnte, sei hier mal dahingestellt.
Immer ehrgeizig und strukturiert – auch beim Kind
Die Vorschläge im Buch mögen dem einen lächerlich, dem anderen sogar genial vorkommen. Was all diese Ideen auf jeden Fall parodieren, ist die Art und Weise, wie heutige Mütter und Väter das Elternsein praktizieren. Eins ist klar: dem Zufall überlassen wird kaum mehr etwas, außer vielleicht das Geschlecht des Kindes – zumindest noch.
Dass der Nachwuchs wie auch Berufsweg oder Freizeitgestaltung zum Projekt wird und gezielt mit Ehrgeiz und Zielen angegangen wird, überrascht im Grunde nicht. Schließlich haben heutige Eltern schon früh gelernt, dass Optimieren und Planen oberstes Gebot ist, wenn man erfolgreich sein will. Wer könnte ihnen verdenken, dass sie nun auch das Kinderkriegen genau mit jenen Methoden angehen, die sie schon wie die Muttermilch aufgesogen haben.
Eltern planen gegen die eigene Unsicherheit an
Die Frage ist nur: Warum wollen Eltern das eigentlich, auch noch rund ums Baby planen und berechnen, wo man doch im Privaten endlich keinem Arbeitgeber mehr verpflichtet ist, keinem Firmenplan unterliegt? Wahrscheinlich weil der Dschungel aus Erziehungsfragen heute alles andere als ein lichtes Wäldchen ist. Mütter und Väter haben viele Freiheiten bei der Erziehung, wie schön. Aber genau das macht sie unsicher. Jeden Tag müssen sie viele Entscheidungen treffen – und das hört nie wirklich auf. Ein paar Dinge vorher zu strukturieren und zu entscheiden, kann da schon helfen. Zumindest gibt es mentale Ruhe.
Sind alle anderen Eltern besser vorbereitet? Wie das Umfeld subtil Druck macht. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
Andere Eltern kennen keine Gnade
Auf der anderen Seite schweben Eltern eben nicht im luftleeren Raum der eigenen Familie. Sie sind Teil eines Umfelds, das ganz genau darauf achtet, was man mit dem Kind so anstellt. Auch Selbstbewusste kommen da mal ins Schlingern und ertappen sich dabei, wie sie sich mit anderen vergleichen, nicht mehr einfach machen, sondern eigene Methoden überdenken und sogar anpassen. Vielleicht sogar Dinge nur tun, um andere zu beeindrucken.
„Menschliche Prozesse“ sind nicht planbar
Was die Sache mit dem Planen betrifft, so macht das Kind freilich meist andere Pläne. Auch wenn man was Kosten und Zeit betrifft alles akribisch strukturiert, bleibt der Alltag mit Sprössling, sagen wir mal, überraschend. Das Kind hält sich weder an Entwicklungskurven aus Büchern, noch favorisiert es genau jenen Brei, der bei der Bestandsberechnung ganz oben rangiert. Es spuckt auf den sorgfältig ausgesuchten Kinderwagen, findet die perfekte Kita doof oder will nachts Mama, wenn eigentlich Papa im Aufstehplan an der Reihe ist. Und da findet die schöne Planerei ihr realistisches Ende. Denn anders als wirtschaftliche Abläufe lassen sich „menschliche Prozesse“ einfach nicht planen. Man kann sie nur erleben. Jeder Tag mit Kind ist anders.
Einfach mal gucken, was so passiert
Grenzwertig wird es, wenn Eltern darauf mit nur noch starrerer Planung reagieren. Und dabei Bedürfnisse und Wünsche des Kindes im Optimierungswahn übergehen. Ehrgeizige Eltern, die ihr Kind trimmen und biegen, bis die Realität dem eigenen Entwurf entspricht, sind glücklicherweise selten. Und natürlich sind bewusste Erziehungsentscheidungen oft notwendig und sinnvoll. Solange man die Fähigkeit behält, flexibel zu sein, im Moment zu entscheiden und spontan umzuplanen. Auch wenn das unangenehm ist und kurzzeitig Chaos anrichten kann, gehört es eben zum Elternsein dazu.
Und ganz ehrlich, gerade berufstätige Eltern bemerken nach einem langen Arbeitstag voller Pläne und Strukturen, wie schön es doch sein kann, einfach mal aus jedwedem Konstrukt auszubrechen und zu schauen, was so passiert. Das Kind wird es lieben und seine eigenen Pläne machen, mit Mama und Papa – und das kann sich jede Minute ändern.
Buchtipp: