Urteil Urteil: Auch wer dringend muss, darf nicht rasen
Darauf hat das Amtsgericht Lüdinghausen in einem Urteil hingewiesen (Az. 19 OWi-89 Js 155/14-21/14).Wie die Deutsche Anwaltshotline berichtet, wurde ein Mann mit 132 km/h auf einer Landstraße geblitzt. Zugelassen waren an dieser Stelle lediglich 70 km/h. Daraufhin bekam er ein einmonatiges Fahrverbot plus ein Bußgeld von 315 Euro aufgebrummt – zumal in seinem Verkehrsregister schon ein entsprechender Eintrag von früher zu finden war.
Der Betroffene weigerte sich allerdings, zu zahlen und seinen Führerschein abzugeben. Er sei vom Verkehrsgeschehen abgelenkt gewesen und habe das Beschränkungsschild übersehen, weil er bereits vor Erreichen der Geschwindigkeitsbegrenzungszone einen schmerzhaften Druck in seinem Darm verspürt habe, gab er an. Er wäre dabei zwar noch zu schnell an der Messstelle vorbeigefahren, hätte aber wenige Meter nach dem Ende des 70-km/h-Bereichs angehalten und ein Maisfeld aufgesucht.
Das Gericht urteilte allerdings, der Tempoverstoß sei in diesem Fall nicht mit einer „notstandsähnlichen Situation“ zu rechtfertigen. Der Fahrer hätte aufgrund seines bekannten Darmproblems von vorn herein einen anderen Fahrweg wählen sollen, in dessen Verlauf er jederzeit hätte anhalten können.
Überraschungseffekt und Schamgrenze
Anders sieht die Situation aus, wenn der Drang zur Toilette überraschend kommt. So urteilte das OLG Zweibrücken zu Gunsten eines Mannes, der während der Fahrt plötzlich einsetzenden Durchfall hatte. Er fuhr außerorts 50 km/h zu schnell, um den nächsten Rastplatz anzusteuern.
Das zuständige Amtsgericht hatte zunächst geurteilt, dass die Verkehrssicherheit vorgeht. Das OLG hingegen berücksichtigte in der Berufung die Not des Fahrers sowie die Tatsache, dass ein Beifahrer anwesend war. Es müsse abgewogen werden zwischen dem Schamgefühl des Betroffenen und der Sicherheit im Straßenverkehr. (OLG Zweibrücken; Az. 1 Ss 291/96).
Schwangere oder medizinischer Notfall
Der klassische Fall, in dem eine Notlage die Geschwindigkeitsüberschreitung rechtfertigen kann, ist die Fahrt zum Krankenhaus mit einer Hochschwangeren kurz vor der Geburt. In einem solchen Fall stellte das OLG Karlsruhe fest: „Überschreitet ein Ehemann aus Sorge um seine in den Wehen liegende Ehefrau die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h, kann eine grobe Pflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 StVG zu verneinen sein und von einem Fahrverbot abgesehen werden“ (OLG Karlsruhe 28.12.01, 2 Ss 33/01).
Die Formulierung „kann zu verneinen sein“, bedeutet aber letztlich: Gerichte entscheiden im Einzelfall. Dabei ist von großer Bedeutung, ob der Fahrer die Notlage anders hätte lösen können, als durch den Tritt aufs Gaspedal. Eine weitere klassische Kategorie solcher Fälle sind Geschwindigkeitsüberschreitungen von Ärzten auf dem Weg zu Notfallpatienten.
In einem solchen Fall hat das OLG Hamm festgestellt: „Will der Tatrichter davon ausgehen, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung wegen rechtfertigenden Notstandes nach § 16 OWiG gerechtfertigt ist, muss den Urteilsgründen u.a. hinreichend zu entnehmen sein, dass die angenommene Lebensgefahr nicht anders als durch die Geschwindigkeitsüberschreitung abwendbar war“ (OLG Hamm 30.10.01, 1 Ss OWi 824/01). (dmn, ampnet, qui)