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Unfallforschung Unfallforschung: Die Gefahr fährt mit

Von Heiko Haupt 14.06.2005, 11:29

Stuttgart/Essen/dpa. - Fröhliche junge Menschen, die durch die sommerliche Stadt zur Eisdiele fahren - das ist die eine Seite der Motorroller-Welt. Die andere Seite zeigt ein aktueller Crash-Test der Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) in Stuttgart.

Die Experten ließen einen 80 Stundenkilometer (km/h) schnellen Roller samt Versuchspuppe als Fahrerersatz gegen ein Auto prallen - mit dem Ergebnis, dass der Fahrer den Aufprall im realen Straßenverkehr nicht überlebt hätte. Denn obwohl Motorroller den Ruf des harmlosen Freizeitgefährts haben, verbirgt sich hinter den bunten Kunststoffverkleidungen ein nicht zu unterschätzendes Unfallrisiko, das in bestimmten Situationen höher als bei Motorrädern sein kann.

«Bei einer Kollision verhalten sich Motorroller teils noch schlechter als Motorräder», erklärt der Unfallforscher Johannes Priester aus Saarbrücken, der an dem Crashtest mitgewirkt hat. Grund dafür sind die unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien - vor allem die Tatsache, dass sich vor der Sitzbank eines Motorrades der Tank befindet. Er sorgt meist mit dafür, dass der Fahrer beim Aufprall über das Hindernis katapultiert wird, statt dagegen zu prallen.

Beim Roller besteht diese Chance kaum: «Rollerfahrer rutschen nach vorne, werden aber nicht nach oben gelenkt», sagt Priester. Vor der Sitzbank findet sich eben nur ein Freiraum für die Beine und kein Tank, was fatale Folgen haben kann, wie auch der Crashtest gezeigt hat. Laut der GTÜ schlug der Dummy mit dem Schutzhelm auf der Frontscheibe des Pkw auf, überschlug sich, landete dann auf dem Fahrzeugdach und stürzte danach seitlich auf die Fahrbahn - im Realfall wäre wohl ein tödlicher Genickbruch die Folge gewesen.

Doch die Gefahr lauert nicht erst beim gefährlichen Kontakt mit einer Autokarosserie: «Es kommt bei Rollerunfällen auch immer wieder zu schweren inneren Verletzungen», warnt Ruprecht Müller vom ADAC-Technikzentrum in Landsberg (Bayern). Grund dafür ist, dass der Fahrer zunächst gegen die vorderen Verkleidungen prallt. «Gefährdet sind vor allem Brustkorb und Bauch.»

Neben so genannten stumpfen Verletzungen durch den Aufprall zählen auch tiefe Schnittwunden zu den bekannten Folgen. Dies liegt laut Müller an dem Einsatz von Kunststoff bei der Konstruktion der Rollerkarosserien: Das Material wird mit der Zeit härter und spröde und splittert dann beim Unfall.

Zusätzlich verschärft werden die Unfallfolgen dadurch, dass Rollerfahrer gewöhnlich nicht mit dem gleichen Sicherheitsbewusstsein unterwegs sind wie Motorradfahrer. «Roller werden eher als Freizeitfahrzeug gesehen», bestätigt Matthias Haasper vom Institut für Zweiradsicherheit (ifz) in Essen. «Die Tragequote im Hinblick auf Schutzbekleidung ist eher schlecht.» Dabei wäre schon eine Lederjacke ein Fortschritt im Vergleich zum üblichen T-Shirt.

Alexander Sporner vom Europäischen Motorrad-Institut (EMI) in München erklärt in diesem Zusammenhang, dass es neben schwerer Schutzkleidung für schnelle Motorräder auch leichtere Ausführungen gibt, die sich für den Einsatz auf dem Roller eignen.

Sporner weist auch darauf hin, dass der Roller im Vergleich zum Motorrad zumindest einen sicherheitstechnischen Vorteil hat. Häufiger als der frontale Zusammenstoß ist demnach gerade bei den kleinen Motorrollern jener Unfalltyp, bei dem ein anderes Fahrzeug seitlich gegen den Roller stößt - und hier sind zumindest die Beine besser geschützt als bei einem Motorrad.

Dafür tauchen bei den eigentlich langsamen Mofa- und Moped-Rollern noch ganz andere Gefahren auf. Denn vor allem jugendliche Fahrer mögen sich nicht mit den gesetzlichen Höchstgeschwindigkeiten von 25 oder 45 km/h abfinden. Die Gefährte werden also schneller gemacht. Die GTÜ geht davon aus, dass in Deutschland etwa jeder zweite Roller «frisiert» ist.

Schon mit geringem technischen Aufwand lässt sich ein normaler Roller laut Priester auf eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h bringen. Den nötigen Materialeinsatz können selbst Jugendliche finanzieren: «Das kostet etwa 200 bis 300 Euro.» Auch Tempo 140 und mehr sind machbar, wenn auch etwas aufwendiger und teurer - 1000 bis 1500 Euro müssen nach Priesters Schätzung dafür angelegt werden.

Allerdings steigt damit nicht nur das Tempo, sondern auch das Risiko. «Das Fahrwerk der kleinen Roller kommt schnell an seine Grenzen», sagt Ruprecht Müller. «Die Reifen sind ebenfalls selten für höhere Geschwindigkeiten ausgelegt.» Damit nicht genug: Wie Johannes Priester erklärt, sind die Rahmen mancher Roller so labil gebaut, dass zwei Menschen sie schon von Hand ein Stück verbiegen können - die Kräfte, die bei hohem Tempo einwirken, sind aber ungleich größer.

Die größte Gefahr geht jedoch von den oft mickrigen Bremsen aus. Um dies zu verdeutlichen, wurde im Rahmen des GTÜ-Crashtests auch eine Vergleichsbremsung vorgenommen. Zunächst brachte ein Testfahrer einen 50 km/h schnellen Roller zum Stillstand - der Bremsweg wurde mit 13 Metern gemessen. Danach wurde der Versuch mit Tempo 75 wiederholt: Hier passierte der Roller die bisherige Stillstandsmarke nach 13 Metern noch mit 56 km/h. Da wird die Fahrt zur Eisdiele schnell zum Himmelfahrtskommando.