Studie zu Unfallschwerpunkten Studie zu Unfallschwerpunkten: Alleen als unerkanntes Verkehrsrisiko

Berlin/dpa. - Fragt man Autofahrer, was sie auf Landstraßen als gefährlich einschätzen, werden als erstes enge Kurven genannt. Solche Streckenabschnitte haben 51 Prozent von 1650 Befragten schon einmal als gefährlich erlebt.
Dies ergab eine Studie des Verkehrstechnischen Instituts der Deutschen Versicherer (VTIV) in Berlin. Auf Rang zwei folgen schmale Straßen (42 Prozent) und Stellen mit Wildwechsel (39 Prozent). Vor Serpentinen, die es nur in bergigen Gegenden gibt, haben noch 23 Prozent aller Autofahrer Respekt. Alleen, in nahezu allen Regionen Deutschlands zu finden, werden dagegen nur von 4 Prozent als Gefahr empfunden - dabei stirbt jährlich rund ein Viertel aller im Straßenverkehr getöteten Menschen bei Baumunfällen.
Laut Institutsleiter Professor Volker Meewes kamen im Jahr 2002 nach Unfällen mit einem Fahrzeugaufprall auf Bäume 1577 Menschen ums Leben. 9636 Menschen wurden schwer verletzt. Bezogen auf die Schwere der Unfälle stellen Baumunfälle ein weitaus größeres Risiko dar als alle übrigen Landstraßen-typischen Unfallarten: Je 1000 Baumunfälle sterben 91 Menschen. Beim Aufprall auf Leitplanken kommen je 1000 Unfälle 60 Menschen ums Leben, beim Abkommen von der Fahrbahn auf die Wiese sind es nur 32.
«Natürlich sind die Bäume nicht schuld», sagt Meewes. Rund die Hälfte aller Baumunfälle auf Landstraßen mit Toten ereigne sich, weil die Fahrer die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlieren. «Das eigentliche Problem ist das Von-der-Straße-Abkommen», bestätigt Maximilian Maurer, Pressesprecher des ADAC in München. Die Gründe dafür seien nicht baumspezifisch: Unaufmerksamkeit, Fahrfehler oder auch Übermüdung, wodurch das Auto von der Fahrbahn gerät, sich nicht mehr abfangen lässt und unkontrolliert gegen die Bäume am Straßenrand schleudert. Was genau den Verlust der Fahrzeugkontrolle bewirkt, lässt sich laut Meewes in vielen Fällen nicht mehr rekonstruieren.
«Nicht angepasste Geschwindigkeit» - wie es die Polizei nach schweren Baumunfällen häufig knapp vermerkt - dürfte aber eine große Rolle spielen: «Alleeunfälle sind ein Geschwindigkeitsproblem», sagt Rainer Hessel von der Deutschen Verkehrswacht (DVW) in Meckenheim bei Bonn. Auf baumbewachsenen Strecken werde in aller Regel zu schnell gefahren. Der so genannte Tunneleffekt durch die eng stehenden Bäume verleite Autofahrer offenbar dazu. Außerdem werde durch das Gefühl der Enge in den «Röhren» oft der gebotene seitliche Sicherheitsabstand beim Überholen nicht eingehalten. Fahrfehler bei Ausweichmanövern wirkten sich in Alleen umso gravierender aus.
Warum sich die meisten Autofahrer der Gefahren auf baumgesäumten Strecken nicht bewusst sind, hat nach Einschätzung der Verkehrsexperten vor allem mit ihrer Wahrnehmung zu tun: «Alleen werden meist in erster Linie als schön empfunden», sagt ADAC-Sprecher Maximilian Maurer. «Schönes schätzt man nicht sofort als gefährlich ein.» DVW-Experte Rainer Hessel rät Autofahrern daher, in Alleen grundsätzlich mit der Geschwindigkeit herunter zu gehen: «Man sollte in Alleen noch einen Tick vorsichtiger fahren als man es sonst tut.»
Um die eigene Sichtbarkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu erhöhen, sollte laut Hessel auf baumbewachsenen Strecken auch am Tag das Fahrlicht eingeschaltet werden. Durch die Schlagschatten, die Bäume bei Sonnenschein auf die Fahrbahn werfen, könnten entgegenkommende Fahrzeuge leicht übersehen werden. Bei Überholmanövern gebe es dadurch immer wieder gefährliche Situationen - oder fatale Frontalzusammenstöße. Mit Fahrlicht könnten Überholer die Entfernung zum Gegenverkehr besser einschätzen.
Wer es bei der Fahrt durch Alleen etwas langsamer angehen lässt und generell aufmerksamer fährt, bekommt laut ADAC-Sprecher Maurer auch mehr von den meist landschaftlich reizvollen Strecken mit. Verkehrssicherheitsexperte Volker Meewes vom VTIV ist allerdings skeptisch, ob Appelle allein bei Autofahrern fruchten: «Autofahrer sind lernfähig, aber nicht einsichtsfähig», lautet seine Erfahrung.
Meewes plädiert daher auch für eine striktere Verkehrsüberwachung entlang bekannter unfallkritischer Alleestrecken. Untersuchungen hätten gezeigt, dass sowohl die durchschnittliche Geschwindigkeit als auch die Unfallhäufigkeit an solchen Unfallbrennpunkten drastisch abnehmen, wenn dort «Starenkästen» montiert werden. Eine weitere Alternative sei, gefährliche Steckenabschnitte durch Leitplanken, eine Verbreiterung oder Verlegung der Fahrbahn zu entschärfen. «Man muss entweder das Umfeld der Geschwindigkeit anpassen oder die Geschwindigkeit dem Umfeld», so Meewes.