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Aufgesattelt: Der Bike-Check Sprunghaft teuer: Mit einem Edel-MTB durch den Winterwald

Der Vergleich hinkt: Ein Kleinwagen kann kein Fahrrad ersetzen und umgekehrt. Was nichts daran ändert, dass Mountainbikes auch in der Preisklasse von Autos fahren. Etwa das Scott Lumen eRide 900 SL.

Von Stefan Weißenborn, dpa 19.12.2023, 14:38
Der Rahmen ist aus Vollcarbon, auch andere Bauteile wie der Lenker sind auf leichtem CFK gefertigt. Der Zusatzakku im Look einer Trinkflasche versorgt das Bike mit zusätzlich 160 Wattstunden.
Der Rahmen ist aus Vollcarbon, auch andere Bauteile wie der Lenker sind auf leichtem CFK gefertigt. Der Zusatzakku im Look einer Trinkflasche versorgt das Bike mit zusätzlich 160 Wattstunden. Stefan Weißenborn/dpa-tmn

Berlin - Supersportwagen oder Boliden der Dakar-Rallye sieht man es an: Hier stehen sündhaft teure Gefährte auf den Rädern. Dem E-Mountainbike, das sich im hügeligen Winterwald bei Berlin auf Spritztouren bewähren soll, eher nicht.

Es trägt die Insignien der aktuellen MTB-Mode: 29-Zoll-Laufräder, einen breiten Lenker, Federtechnik, nichts Ungewöhnliches soweit. Erst wer genauer hinsieht, ahnt: Das rund 16 000 Euro teure Scott Lumen eRide 900 SL treibt einen Trend auf die Spitze.

Noch vor drei, vier Jahren wogen die leichtesten E-Mountainbikes am Markt mehr als 18 Kilo. Marken wie Nox, Rotwild und Orbea spielten in der Leichtgewichtsliga mit Serienmodellen vorn mit. Aktuell wirbt Orbea mit 15,9 Kilo. Bei 15,5 Kilo ist das Scott angelangt. „Es ist eines der leichtesten vollgefederten Serien-E-MTBs der Welt“, sagt Marketingmanager Julian Oswald.

Einsatzzweck und Technik

Das Einsatzzweck: Der Hersteller weist das Edelmodell für hohe Ansprüche aus, „es ist schnell, wendig und superleicht“, sagt Oswald, der die Zielgruppe unter den technikaffinen Bikern ausmacht, die „das beste Material haben wollen und auch willens sind, das nötige Geld dafür hinzulegen.“ Als Trailbike zählt es zu den so etikettierten Alleskönnern, anders etwa als die auf krasse Abfahrten zugeschnittenen Downhill-Bikes.

Die Technik: Um das Gewicht des Topmodells zu drücken, haben die Entwickler viel mit Carbon hantiert. Es seien nur die „hochwertigsten und leichtesten Parts verbaut“, sagt Oswald. Der Carbonrahmen ist aus nochmals leichterer HMX-Faser gefertigt, in Größe M kommt er auf nur noch 1,96 Kilo. Ebenfalls aus CFK: Vorbau, Lenker, Kurbel und sogar die Sattelstreben.

Besonderes Augenmerk verdienen die Laufräder von Syncros: Es handelt sich um Kohlenstoff-Bauteile wie aus einem Guss - nicht nur deren Felgen sind aus Carbon, sondern auch Speichen und Naben. „Der Silverton-Laufradsatz kostet im Verkauf allein 4000 Euro.“ Gewicht: nur 1280 Gramm. Die Gewichtseinsparungen hier und da läppern sich und befördern das SL in die Gewichtsklasse von Mountainbikes ohne Motor.

Weitere Technik des SL findet sich auch in günstigeren Versionen der Lumen-Reihe: Im Sitzrohr verbirgt sich der Hinterbaudämpfer - aufwendige Lösung, aber eine saubere. Denn so bleibt das Bauteil mit 130 Millimeter Federweg auch bei Sau- oder Tauwetter vor Dreck geschützt. Weniger praktisch: Um ans Ventil und das Einstellrädchen für den Dämpfer zu gelangen, muss erst eine Klappe im Tretlagerbereich geöffnet werden.

Von außen als „E-Bike kaum erkennbar“ sei das Modell, sagt Oswald. Stimmt, denn nahezu unsichtbar sind auch der Mittelmotor vom deutschen Hersteller TQ und der Akku. Dieser sitzt im Unterrohr. Und ja, auch hier Leichtbau: Die Antriebseinheit namens HPR50 wiegt 1,85 Kilo, zusammen mit dem 360-Wattstunden-Akku sowie dem im Oberrohr integrierter 2-Zoll-Display sind es 3,9 Kilo.

Beim High-End-Modell kommt allerdings noch der als Trinkflasche getarnte abnehmbare Zweitakku mit 160 Wattstunden hinzu. Das steigert die Reichweite laut Hersteller zwar auf 80 Kilometer und mehr, macht das gewichtsoptimierte Bike aber wieder um 900 Gramm schwerer.

Der Fahreindruck

Der Fahreindruck: Es geht durch den Winterwald vor den Toren Berlins. Eiszeitlich geprägte Hügellandschaft ist das Terrain: Die Anstiege teils steil, die Abfahrten ebenso, aber alles kurz und knackig. Schon am ersten Buckel zeigt sich, wie steigfähig die Geometrie ist: Ohne dass das Vorderrad zu leicht oder mehr Körpergewicht auf dem Sattel die Traktion hinten merklich schmälern würden, geht es ohne vorn abhebende oder hinten durchdrehende Reifen den Hang hoch.

Selbst die Schneedecke, in die sich das Profil der Reifen gräbt, verursacht nur dort leichten Schlupf, wo Vereisung lauert. Dann geht's kurvig bergab: Die äußeren Stollen sorgen für weitreichenden Halt, während das Zusammenspiel von Federn und Dämpfer harmonisch wirkt. Weder federt die Gabel zu langsam aus noch ist der der Dämpfer am Hinterbau zu behäbig. Aber auch beim Teuer-Bikes wirkt die Physik, wenn die Reifen auf feuchten Wurzeln oder Steinplatten seitlich wegrutschen. Dafür rotieren die Carbon-Räder sehr leichtgängig.

50 Newtonmeter hat der Motor - nur, mag man meinen, da in Sachen Drehmoment die Top-Motoren am Markt doch schon auf 120 Nm und mehr kommen. Zum einen zwingt das Light-Weight-Konzept zu kleineren Einheiten. Zum anderen genügt auch die Hälfte der Rotationskraft, um auch solche Anstiege zu meistern, die allein viel Fahrtechnik erfordern. Und im Zweifel appellieren die Leichtgewichte eben zielgruppengerecht an Muskeleinsatz und Sportsgeist.

Entsprechend organisch fühlt sich der TQ-Motor an: Die Kraftspritze macht die Muskeln schlicht kräftiger, aber nicht fremdbestimmt. Dabei operiert der HPR50 mit seiner kompakten Bauweise sehr leise. Nur wenn man ihm bergauf etwas abverlangt, fängt er dezent an zu wimmern.

Schaltet man ihn ab, fährt sich das Scott wie ein normales Mountainbike, der pausierende Motor tritt sich ohne merkliche Reibung oder Widerstand. Und man vergisst ihn fast.

Das wirft die Frage auf: Benötigt man den Motor überhaupt oder wäre nicht ein noch leichteres MTB ohne „E“ die Alternative? Andererseits hebt schon die erste Unterstützungsstufe das Temponiveau und damit den Spaßfaktor im flowigen Terrain an. Und die Berge sind leichter zu erklimmen, womit mehr Abfahrten locken.

Kritik

Kritikpunkt bei der Bedienung: Links am Lenker herrscht ein Wirrwarr von insgesamt sechs Hebeln und Tasten. Statt die Federgabel zu sperren, erwischt man schon mal den Hebel für die versenkbare Sattelstütze und sitzt urplötzlich eine Etage tiefer. Und: Etwas kleinteilig und mit Handschuhen eher schlecht zu ertasten, ist der Wippknopf der Lenker-Fernbedienung, mit der man Unterstützungsstufen und Display steuert.

Weitere Bauteile, Zubehör, Peripherie: Auch das Lumen eRide 900 SL ist vernetzt. Über die TQ-App lässt sich die Motorkraft per virtuellem Schieberegler auf maximale 300 Watt oder die Unterstützung auf 200 Prozent hochschrauben.

Per Funkstandard Ant+ lassen sich Fahrradcomputer von Garmin, Hammerhead oder Wahoo einbinden, die man am Vorbau montieren kann. Praktisch: Im Trinkflaschenhalter ist ein Minitool versteckt. So kann man unterwegs jederzeit etwa den Negativ-Federweg einstellen.

Preis und Fazit

Der Preis: Mit 15 999 Euro wird das Scott Lumen eRide 900 SL angeboten, zum Facelift 2024 könnte es etwas günstiger werden. E-MTB der Lumen eRide-Reihe gibt es ab 6999 Euro. Was man dafür in Kauf nimmt: 800 Gramm Mehrgewicht und weniger High-End.

Das Fazit: Dieses E-MTB ist ein teures Spielzeug und zugleich eine Machbarkeits-Demonstration, die den Leichtgewichts-Trend gekonnt auf die Spitze treibt, was man im Sattel auch spürt. Das nötige Kleingeld dazu muss man übrig haben. Spaß ist dann garantiert.