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Markenzeichen Markenzeichen: Die Kühlerfigur feiert ihren 100. Geburtstag

Von Thomas Geiger 01.02.2011, 07:02
Kühlerfiguren waren einst groß in Mode, etwa bei Cadillac. Längst verzichten die meisten Hersteller darauf - um Aerodynamik und Fußgängerschutz zu verbessern. (FOTO: THOMAS GEIGER/DPA)
Kühlerfiguren waren einst groß in Mode, etwa bei Cadillac. Längst verzichten die meisten Hersteller darauf - um Aerodynamik und Fußgängerschutz zu verbessern. (FOTO: THOMAS GEIGER/DPA) dpa-tmn

Goodwood/Stuttgart/dpa. - Mit gebückter Haltung im Fahrtwind: Seit 100 Jahren verziertRolls-Royce seine Fahrzeuge mit der «Spirit of Ecstasy». AndereHersteller verzichten längst auf Kühlerfiguren - vor allem wegen desFußgängerschutzes.

«Spirit of Ecstasy» heißt sie -Geist der Ekstase. Was ein wenig verrucht klingt, ist in Wirklichkeitder Name der ersten serienmäßigen Kühlerfigur. Vor 100 Jahren, am 6.Februar 1911, montierte Rolls-Royce sie auf der Motorhaube. Derbritische Hersteller löste einen wahren Trend aus, als er das kleineWerk des Bildhauers Charles Sykes präsentierte. Während Rolls-Royceseine Fahrzeuge bis heute mit Kühlerfiguren schmückt und den Namendes historischen Vorbilds beibehielt, sind die Embleme im Windansonsten längst wieder aus der Mode - aus Sicherheitserwägungen.

«Jede Marke, die etwas auf sich hielt, hat ihre Fahrzeuge mitKühlerfiguren ausgestattet», sagt Ruth Schumacher. Die Stuttgarterinnimmt für sich in Anspruch, eine der größten Sammlungen vonMarkenzeichen und Kühlerfiguren zusammengetragen zu haben. EineAuswahl ist noch bis 31. März im «Auto & Technik Museum» in Sinsheim(Baden-Württemberg) zu bestaunen.

Für Erstaunen bei den Besuchern dürfte vor allem die Erkenntnissorgen, welche Fantasie die Hersteller bei der Verzierung derFahrzeugspitze entwickelten. Indianerhäuptlinge, Götter,wohlproportionierte Damen, Mickey Mouse und vor allem das Tierreichinspirierte die Unternehmen. «Dem Einfallsreichtum waren keineGrenzen gesetzt», sagt Schumacher: Schwäne, Pferde, Adler und Hasenhat sie schon auf den Hauben gesehen. Daneben erscheint «Spirit ofEcstasy» mit der im Fahrtwind wallenden Robe fast schon gewöhnlich.

Auch bei der Materialauswahl gab sich die Industrie viele Jahreflexibel. Die Figuren wurden aus Metall, aber auch aus Porzellan oderBleikristall gefertigt. Rolls-Royce experimentierte nicht. «Die rundein halbes Pfund schwere Skulptur, die binnen 14 Tagen komplett inHandarbeit gegossen wird, gibt es ausschließlich in Edelstahl, ausSilber oder vergoldet», sagt Pressesprecher Frank Tiemann. Auch ohneAuto könne sie erworben werden. Zum Preis von knapp 1600 Euro (1350Pfund) kann «Spirit of Ecstasy» aus dem Fahrtwind treten und alsBriefbeschwerer auf dem Schreibtisch landen.

Rolls-Royce war der erste Hersteller, der seine Fahrzeugeserienmäßig mit einer Kühlerfigur ausstattete. Doch gänzlich neu wardie Idee 1911 nicht: «Davor haben sich viele Adlige von Kunsthandwerkern, Juwelieren und Goldschmieden ganz individuelleSkulpturen entwerfen lassen.» Schumacher hat über Kühlerfiguren undMarkenzeichen den Bildband «Kunstwerke aus Chrom» veröffentlicht.Darin ist zu lesen, dass sich bereits 1899 der englische Lord Montaguof Beaulieu als Motorhauben-Schutzpatron einen Christopherus fürseinen Daimler anfertigen ließ. Eigentlich er müsse damit alsErfinder der Kühlerfigur gelten.

Bis weit in die Nachkriegszeit waren Kühlerfiguren verbreitet.Cadillac oder Bentley montierten sie. Auch vergleichsweisebürgerliche Fahrzeuge wie von Opel oder Ford ließen ihr Wappen in denWind ragen. Heute jedoch sind sie nahezu vollständig aus demStraßenbild verschwunden. Ein Grund: «Sie erhöhen den Luftwiderstandund damit den Verbrauch», erklärt ein Mercedes-Entwickler ihrAussterben. Vor allem aber stünden sie dem Schutz von Fußgängernentgegen.

Groß ist der Aufwand für den, der dennoch auf die umwehtenSkulpturen nicht verzichten will. Neben den Briten montieren sie etwaMercedes und Maybach. Der Mercedes-Stern ist nach Angaben derPresseabteilung in Stuttgart wie das Maybach-M so gelagert, dass ersich bei der geringsten Berührung umlegt, um einen möglichenUnfallgegner nicht zu verletzen. Theatralischer funktioniert derMechanismus der «Spirit of Ecstasy». Auf Knopfdruck verschwindet siein der Versenkung. Nicht nur Fußgänger sind bei einem Unfall sobesser geschützt. Das gilt auch für die fälschlicherweise oft als«Lady Emily» bezeichnete Statue selbst - nämlich vor Dieben undVandalen.

Gerade weil sich Kühlerfiguren allgemein rarmachen, hat RuthSchumacher nicht als einzige das Sammelfieber gepackt. Dasbegehrteste Stück der Szene ist allerdings nicht die Schönheit vonRolls-Royce, sondern ein aufgerichteter Elefant. Ihn hat derBildhauer Rembrand Bugatti als ironische Antwort auf die «Spirit ofEcstasy» für den legendären Bugatti Royale entworfen. Nur sechsOriginale existieren der Sammlerin zufolge. Für bis zu 50 000 Eurowerde die «Blaue Mauritius» unter den Kühlerfiguren heute gehandelt.

Dass Autos heute fast ausschließlich ohne diese plastischenMarkenzeichen auskommen, bedauern vor allem Sammler. Sie fürchten umNachschub für ihre Kollektionen. Ruth Schumacher findet aber auch,dass den Autos ein Stück ihrer Identität verloren gegangen ist: «ImWindkanal glatt geschliffen, sehen die Fahrzeuge von heute doch ohneMarkenzeichen und Kühlerfigur alle gleich aus.»