1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Auto
  6. >
  7. Elektro-Mobile: Elektro-Mobile: Blinde und Sehbehinderte schlagen Alarm

Elektro-Mobile Elektro-Mobile: Blinde und Sehbehinderte schlagen Alarm

30.09.2011, 05:46
Ein Elektroauto steht in Kassel an einer Carsharing-Station mit Ladesäule. (FOTO: DPA)
Ein Elektroauto steht in Kassel an einer Carsharing-Station mit Ladesäule. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/Duisburg/dpa. - Es ist ein friedliches Szenario fürdie Zukunft: In deutschen Innenstädten rollen fast nur nochElektroautos über die Straßen. Die Wagen sind extrem leise, derVerkehrslärm ist Vergangenheit. Das klingt idyllisch - doch fürBlinde und Sehbehinderte werden die lautlosen E-Mobile zur Gefahr.Bei niedrigen Geschwindigkeiten sind sie kaum zu hören.

«Das ist für Blinde eine enorme Gefahr», sagt Hans-Karl Peter vomDeutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) in Berlin.Gefährlich seien Elektro-Mobile vor allem in verkehrsberuhigtenBereichen und Einmündungen, an Kreuzungen und Zebrastreifen oder aufParkplätzen. «Man sieht und hört die nicht kommen.»

Wie ist das Problem zu lösen? Nach Peters Ansicht müssen die Wagenein Geräusch von sich geben, das sich eindeutig zuordnen lässt. «Dazugibt es im Moment keine Alternative», erklärt der Verbandssprecher.Ob die Elektro-Autos in Zukunft wie ein Verbrennungsmotor brummensollen oder piepen, darüber sind sich die Hersteller noch nichteinig. «Wir brauchen Vorgaben, aber kein Vogelgezwitscher und auchkeine Klingeltöne», fordert Peter.

Eine andere Meinung vertritt Prof. Ferdinand Dudenhöffer von derUniversität Duisburg-Essen. Er wehrt sich gegen «überbordendeRegulierungswut». «Man sollte die Autos und damit auch die Städtenicht lauter machen.» Der Automobilexperte weist darauf hin, dassmanche Fahrzeuge bereits über Notbrems-Assistenten verfügen, die beieinem Tempo unter 30 Stundenkilometern automatisch auf Hindernissereagieren. «In absehbarer Zeit werden alle Autos solche Systemean Bord haben.» Volkswagen, Mercedes, Audi oder Volvo bieten schonheute Notfall-Assistenten an - einen Aufprall können sie aber oftnicht verhindern.

«Das sind wunderbare Geschichten, aber es ist nicht die Masse derAutos, die sich auf den Straßen befindet», sagt Peter über dieAssistenzsysteme. «Da muss noch viel geforscht und gebaut werden.»Dabei spielt auch eine Rolle, dass nicht nur Elektro- oderHybridautos eine Gefahr darstellen - sondern auch Segways, Pedelecsund alle anderen Fortbewegungsmittel, die ohne Motor auskommen. Dassei zwar kein neues Problem, ein normales Fahrrad höre ein Blinderschließlich auch kaum. «Aber das ist natürlich eine Gefahr.»

Eine Lösung für alle Fahrzeuge könnte eine Art «elektronischerBlindenstock» sein, erläutert Dudenhöffer. Damit ist ein Warnsystemgemeint, zum Beispiel als Handy-Applikation, das der Fußgänger immerbei sich trägt. E-Mobile erhalten im Gegenzug einen Sensor und sendeneine Warnung an Geräte in der Nähe. Mit dem Sensor ließen sich auchScooter und E-Bikes ausstatten. Für Blinde biete das «perfekteSicherheit», findet der Experte.

Der DBSV ist anderer Meinung: Es gebe in etwa 145 000 Blinde und1,2 Millionen Sehbehinderte in Deutschland, erklärt VerbandssprecherPeter. «Wie wollen sie die alle ausstatten?» Außerdem dürfe dieSicherheit eines beeinträchtigten Menschen nicht von einemtechnischen Gerät abhängig gemacht werden. Ohne dieses Gerät könneein Blinder überhaupt nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Und waspassiert, wenn der Sensor oder Empfänger einmal ausfällt?

Wie das Geräuschproblem mit den E-Mobilen am Ende zu lösen ist,darüber wird immer noch heftig gestritten. Im März 2011 sei von derWirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UN/ECE) eineEmpfehlung bezüglich Mindestgeräuschanforderungen für leiseStraßenfahrzeuge verabschiedet worden, erklärt dasBundesverkehrsministerium auf Anfrage. Sie richtet sich an dieAutohersteller und ist nicht verpflichtend. E-Fahrräder und Segwayssind außerdem davon ausgenommen.

Ministeriums-Sprecherin Julie Heinl weist auf die geringeLärmbelästigung durch Elektro-Fahrzeuge hin. Deshalb solltentechnische Lösungen gesucht werden werden, die sich nähernde Personendurch ein intelligentes System erkennen und nur dann warnen. Wann undwie reguliert wird, ist also noch vollkommen offen.

«Ein eindeutiges Geräusch ist im Moment alternativlos», sagtPeter. Ein nervtötendes Piepen möchte er aber auch nicht. DasGeräusch solle sich an einen Verbrennungsmotor anlehnen. «Piepenbelästigt alle.» Vor allem dürfe das Geräusch nicht abschaltbar sein.«Damit ist uns nicht geholfen.» Der Verband sucht im Moment gemeinsammit der Industrie nach einer Lösung. «Wir verschließen uns nicht, wirarbeiten mit.»

«Woche des Sehens» im Oktober

Um die Situation sehbehinderter Menschen dreht sich die «Woche desSehens» vom 8. bis 15. Oktober. Sie wird bundesweit zum zehnten Malveranstaltet. Augenärzte, Selbsthilfeorganisationen und Hilfswerkebieten in der Woche Aktionen unter dem Motto «Sehen, was geht!»,kündigt der Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) an.Dabei soll es zum Beispiel um die Frage gehen, wie die der Alltagsehbehinderter Menschen erleichtert werden kann.

Gefährliche Schleichfahrt: Blinde Menschen können Elektroautos bei niedrigem Fahrtempo kaum wahrnehmen. Eine Lösung für dieses Problem gibt es noch nicht. (FOTO: DPA)
Gefährliche Schleichfahrt: Blinde Menschen können Elektroautos bei niedrigem Fahrtempo kaum wahrnehmen. Eine Lösung für dieses Problem gibt es noch nicht. (FOTO: DPA)
dpa-tmn