Ältester trinkbarer Wein der Welt lagert im Würzburger Bürgerspital
Würzburg/dpa. - Eine dünne Staubschicht überzieht die grüne Flasche mit dem flüssigen Schatz: Der älteste trinkbare Wein der Welt steht seit Jahren unberührt hinter Panzerglas in einem Mauereinlass im weit verzweigten Kellergewölbe des Würzburger Weinguts Bürgerspital.
Der uralte Wein aus der Würzburger Spitzenlage «Stein» stammt aus dem Jahr 1540. Der Botschafter eines heißen Sommers aus der Zeit Shakespeares, Martin Luthers und Kaiser Karl IV. gilt bis heute als so genannter Jahrtausendwein. Als der «allerrarste und kostbarste Wein in diesem Seculo» ging er in die Geschichte ein.
Die Kostbarkeit dieses legendären Weinjahres bleibt zwar hinter Schloss und Riegel, doch das Weingut Bürgerspital öffnet wie auch die beiden anderen großen Würzburger Weingüter - das Juliusspital und der Staatliche Hofkeller - an diesem Wochenende (15./16. Mai) seine Keller und Fässer für die Öffentlichkeit. Die drei Betriebe haben dazu ein Rahmenprogramm mit Ausstellungen, Vorträgen und Sensorik- Seminaren auf die Beine gestellt.
Der legendäre 1540er Steinwein indes ist tatsächlich schon einmal bei einer Raritätenprobe 1961 in London von Weinkenner Hugh Johnson verkostet worden. Zwar konnte er nur zwei Schluck von der damals noch vorhandenen zweiten Flasche des edlen Tropfens nehmen, ehe der Wein durch die Berührung mit der Luft verging und seinen Geist aufgab, dennoch schrieb der «Weinpapst» später begeistert: «Der 1540er Würzburger Stein war noch lebendig. Nichts hatte mir bis dahin so klar vor Augen geführt, dass Wein wahrhaftig ein lebendiger Organismus ist». Die nachweisbar letzte Flasche des 1540er Steinweines übergab Henry G. Simon, Spross einer alten Wiesbadener Weinfamilie, schließlich 1996 an das Würzburger Bürgerspital. Über verschlungene Wege war der Wein, einst im Besitz der bayerischen Könige, nach England gekommen. Im Guiness-Buch der Rekorde ist er als ältester datierter Jahrgang aller Weine vermerkt.
Das Bürgerspital zum Heiligen Geist, nur ein paar Schritte von der Würzburger Residenz entfernt, ist mit 140 Hektar Rebfläche heute das viertgrößte Weingut Deutschlands. Rund eine Million Flaschen werden im Jahr vermarktet, davon 80 Prozent Bocksbeutel. Das Bürgerspital ist auch so etwas wie das «Geburtshaus» der bauchigen Flasche: «Wir haben als erstes Weingut in Franken Wein in den Bocksbeutel abgefüllt und die Flaschen mit eingebranntem Siegel verkauft», erklärt Mitarbeiterin Denise Alsheimer bei ihrer Kellerführung den Gästen. 1726 hatte die Stadt die Flaschenform als Qualitätsmerkmal eingeführt.
«Der Bocksbeutel ist für Franken sehr wichtig, aber man muss ihn qualitativ füllen. Das, was drin ist, muss die Leute überzeugen», betont Sonja Höferlin, eine der beiden Weingutsdirektoren des Bürgerspitals. «Auch wenn es Billig-Bocksbeutel gibt, heißt das nicht, dass jeder sie haben will», meint die 40-Jährige. Für den Jahrgang 2003 stellt die Leiterin des Prädikatsweingutes eine außergewöhnliche Qualität in Aussicht. «Diese Intensität ist kaum zu fassen, alles ist potenziert - Aroma, Frucht, Alkohol». Auch die Säuere mache den Winzern laut Höferlin entgegen so mancher Befürchtung keinen Strich durch die Geschmacksrechnung. «Das sind Weine, an denen wir über Jahre hinweg unsere Freude haben werden».
Freude am Rebsaft und den Einnahmen aus der Weinherstellung hatten wohl auch über die Jahrhunderte hinweg die pflegebedürftigen Senioren, die in dem um 1316 gegründeten Spital umsorgt wurden und werden. «Den Kranken und Schwachen zur Lab' und Stärkung», soll der Würzburger Patrizier Johannes von Steren bestimmt haben, als er am Hauger Tor ein «Spital» stiftete und es mit 13 Morgen Weinbergen ausstattete. Heute unterhält das Bürgerspital Wohnheime und Stifte für rund 900 Senioren und eine Reha-Klinik für rund 450 Patienten. Doch nur an eine Handvoll Pfründer hat sich das Recht vererbt, täglich einen Schoppen und des Sonntags derer zwei kredenzt zu bekommen. «Allerdings wird der Schoppen heute anders definiert», betont Weingutsleiterin Höferlin mit einem Augenzwinkern. Waren es früher bis zu 1,2 Liter Rebsaft pro Tag, so gibt es heute nur noch einen Viertel Liter Wein.