60 Jahre Currywurst, 1000 Varianten
Zürich/München/dpa. - «Kinderköpfe» hat es geregnet, als Herta Heuwer nach dem sonntäglichen Reinemachen ohne Schirm in ihrem Berliner Kiosk festsaß und das Experimentieren begann.
Der Senf zur Brühwurst mit Pelle war aus. Nur Tomatenmark und Currypuder gab es noch, weiß Olaf Böhme aus Zürich, Ehemann von Heuwers Nichte Brigitte. Die gewagte Curry-Wurst-Kombination, die am 4. September 1949 über den nassgeregneten Charlottenburger Kiosktresen ging, begann als Experiment - und endete mit einem kulinarischen Siegeszug durch die Republik. Was einst skurril war, ist mittlerweile - 60 Jahre später - Kult.
Auf die Frage nach der klassischen Currywurst nennt Böhme die Ur-Version, den Archetyp unter den Originalen. Serviert hat Heuwer damals eine kross gebratene, halbierte Brühwurst. In beiden Enden steckte ein Holzstäbchen, die Soße war mit Curry gemischtes und anschließend überpudertes Tomatenmark. Dazu reichte sie ein Brötchen, vielmehr eine Schrippe. Die war weich und konnte die Soße besser aufsaugen - alles übrigens auf Porzellan.
Currywurst-Experte Werner Siegert lebt in einer Stadt, in der man eigentlich zuzelt und nicht piekst. Der Münchner Autor des «Currywurst-Knigge» behauptet in der heiklen Diskussion um die klassische Currywurst eisern: «Es gibt sie nicht! Die Currywurst wird in dem Moment zur Currywurst, in dem sie mit der Soße getauft wird.»
Hinter deutschen Imbisstresen ist die Vielfalt groß. Zwischen Halbieren und Häckseln, Pappe und Porzellan, Pelle und Darmlosigkeit liegen tausend Varianten - kulinarische Stationen auf dem Weg zur perfekten Currywurst. Ob die Wurst im oder ohne Darm brät, ist eine Ost-West-Frage, sagt Meike-Marie Thiele, künstlerische Leiterin des Deutschen Currywurst Museums in Berlin. Der Westen tendiere zur ummantelten, der Osten zur nackten Wurst. Die Berliner lassen die indische Gewürzmischung nur an Brühwürste, die mit roter Tomatensoße übergossen werden. Die Rheinländer verwenden Bratwürste und begießen sie mit dunkler Soße, in der das Pulver schon enthalten ist. «Die würde man in Berlin an den Kopf geworfen bekommen», sagt die Expertin.
«Mantaplatte», «Asischale», «Schimanskiteller» sind nur einige der zärtlichen Kosenamen für des Deutschen liebste Wurst-Menüs. Als eine «ganz wilde Kombination» ist Thiele der «Taxiteller» aus dem Ruhrgebiet in Erinnerung geblieben, auf dem die Currywurst neben Mayonnaise auch Gyros und Tsatsiki in ihr Revier lässt. Etwas edler ist dagegen die Luxusversion mit Schampus und 22 Karat Blattgold.
Den Boden, auf dem die Currywurst-Vielfalt gedeiht, wässert Brüssel. Ausnahmsweise sei keine Zutat - weder für die Soße, noch für die Wurst - in EU-Richtlinien gesetzlich festgelegt. Currywurst dürfe sich daher fast alles nennen. Eigenartig, findet das Knigge-Autor Siegert, aber durchaus erfreulich. Denn in gewisser Weise ist damit die Currywurst eine uneroberte Bastion und laut Siegert «das letzte Stück Freiheit, das wir haben. Ich hoffe, dass das so bleibt.»
Für die Soße - ein Rezept von Meike-Marie Thiele vom Currywurst Museum in Berlin - müssen eine kleine Zwiebel, 15 Gramm frischer Ingwer und eine Knoblauchzehe in Öl glasig gedünstet werden. Anschließend einen grobgeraspelten Apfel, zwei Teelöffel Tomatenmark, sechs Teelöffel mildes Currypulver und 200 Gramm passierte Tomaten zugeben, aufkochen, salzen, pfeffern und bei milder Hitze 20 Minuten kochen. Danach pürieren und 250 Gramm gewürfelte Ananas unterheben. Dazu empfiehlt Thiele Kalbsbratwürste und als Beilage gebackene Kartoffeln.