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Zum Tode von Einar Schleef Zum Tode von Einar Schleef: Experte für Rausch und Ruhe

Von Andreas Hillger 01.08.2001, 13:04

Berlin/MZ. - Der Theaterregisseur und Schriftsteller EinarErst gestern wurde bekannt, dass der Theatermacherbereits am 21. Juli 57jährig an den Folgeneiner langen Erkrankung gestorben ist. Dasses Schleef nicht gut ging, wusste man bereitsseit seiner Verschiebung einer Elfriede-Jelinek-Uraufführungam Berliner Ensemble sowie nach den Absagenvon zwei Premieren für die Wiener Festwochen.Beim Berliner Theatertreffen, das Schleefseit seiner ersten Einladung mit Gerhart Hauptmanns"Vor Sonnenaufgang" 1988 immer wieder um Höhepunktebereicherte, kursierten Mitte Mai Gerüchteüber seinen nahen Tod. Dass es nun dennochzehn Tage dauerte, bis die Nachricht überden Verlust an die Öffentlichkeit kam, istauch ein finales Zeichen für Schleefs Eremiten-Leben.

Denn dieser wahre Künstler, der seinen unverwechselbarenTon in Text und Bild schon früh gefunden hatte,lebte in einer permanenten Krisis jenseitsder gutbürgerlichen Gesellschaft. Seine intimeKenntnis des dionysischen Prinzips, die insein offenes Bekenntnis zum Rausch mündete,artikulierte sich nicht allein in Buchtitelnwie "Zigaretten" oder "Droge Faust Parsifal".Es war wohl auch kein Zufall, dass der Regisseur1996 selbst die Rolle des trunksüchtigen HerrnPuntila in Brechts Stück am Berliner Ensembleübernahm.

Hier, am Schiffbauerdamm, hatte Anfang der70er Jahre Schleefs Theaterarbeit begonnen,nachdem der 1944 in Sangerhausen Geborenezunächst in Berlin-Weißensee Malerei und Bühnenbildstudiert und sich zwei Jahre als Meisterschülerbei Karl von Appen vervollkommnet hatte. Bereitsdie ersten Inszenierungen mit B. K. Tragelehn -Strittmatters "Katzgraben", Wedekinds "FrühlingsErwachen" und Strindbergs "Fräulein Julie" -sorgten für Aufsehen und offiziellen Einspruch,was Schleef 1976 schließlich zur Übersiedlungin den Westen veranlasste.

Hier fand er nach Jahren der freischaffendenTätigkeit als Autor und Regisseur von 1985bis 1990 am Frankfurter Schauspielhaus unterder Intendanz von Günther Rühle eine künstlerischeHeimat. Und hier entwickelte sich auch seineHandschrift, die ihm bald frenetische Fansund giftige Gegner eintrug. Denn Schleef,der aus dem Wissen um die Macht des Rauschesgesunde Skepsis gegen Verführungs-Versucheentwickelte, war selbst ein Meister der Massensuggestion.Seine mit mächtigen Chören aufgeladenen Inszenierungenwaren von geradezu beängstigender Wucht undfür ihre zeitliche wie personelle Maßlosigkeitberüchtigt. 1993 zerlegte er Rolf HochhuthsWende-Kolportage "Wessis in Weimar" in ihredüsteren Einzelteile, fünf Jahre später trugihm die Uraufführung von Elfriede Jelineks"Sportstück" am Burgtheater neben dem Kritiker-Lobals "Inszenierung des Jahres" auch den 3Sat-Innovationspreisund die Josef-Kainz-Medaille der Stadt Wienein.

Damit war Schleef, der Schwierige, auf demZenit. Dass ihm mit seiner "Totentrompeten"-Trilogieauch noch veritable Erfolge als Autor glückten,ließ ihn als vielseitig begabten Einzelkämpferim deutschsprachigen Theaterbetrieb erscheinen.Und tatsächlich rissen sich die Intendantenum seine Arbeitszeit, obwohl Schleef als Proben-Abbrecherberüchtigt war.

Doch es gab auch die andere Seite des EinarSchleef - den stillen, genauen Beobachterund unbestechlichen Chronisten jenes DDR-Alltags,den er etwa in seinem Roman "Gertrud" oderin der Erzählung "Die Bande" festgehaltenhat. Aus jener schrecklich gemütlichen Ruhekamen der Widerstand und die Verletzungendieses Mannes, der im Privatleben an schwerenSprachstörungen litt - und auf der Bühne souveränund flüssig artikulierte. Solche Texte werden -ebenso wie die noch unaufgeführte Nietzsche-Trilogie -in der Öffentlichkeit bleiben. Einar Schleefaber fehlt dem Theater schon jetzt.