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Zum Tod von Hansgeorg Stengel Zum Tod von Hansgeorg Stengel: Lyrischer Weltreisender mit Goldwaage im Gepäck

Von Andreas Hillger 31.07.2003, 09:42
Der Humorist und Kinderbuchautor Hansgeorg Stengel, aufgenommen am 23. Februar 2001 in der MDR-Talksendung «Riverboat», ist am 30. Juli 2003 an seinem 81. Geburtstag gestorben. (Foto: dpa)
Der Humorist und Kinderbuchautor Hansgeorg Stengel, aufgenommen am 23. Februar 2001 in der MDR-Talksendung «Riverboat», ist am 30. Juli 2003 an seinem 81. Geburtstag gestorben. (Foto: dpa) ZB

Halle/MZ. - Die schönsten Schimpfworte für ostdeutsche Kinder hat ein Mann erfunden, dessen markantes Profil aus der Perspektive seiner jüngsten Fans eher angsteinflößend wirken musste: "Buckelkrumme Hexenmuhme, / ausgedörrte Butterblume, /Schleiereule, Haubenwachtel, / Gute Nacht, Du alte Schachtel!" reimte Hansgeorg Stengel, der Mann mit der hervorragenden Nase, einst in seinen neuen "Struwwelpeter"-Geschichten. Und wer diesen Spruch auswendig kannte, hatte bei Schulhof-Hänseleien seinerseits regelmäßig die Nase vorn. Was wiederum dem selbsternannten "Gebrauchsdichter" Stengel, der am Mittwoch an seinem 81. Geburtstag gestorben ist, gewiss gefallen hätte.

Für seine Bücher, die ihn zum mehrfachen Auflagenmillionär werden ließen und trotzdem gefragte Mangelware blieben, hat sich der im thüringischen Greiz geborene Autor stets selbst beim Wort genommen: "Stenglisch for you" oder "Der rettende Stengel", "Die feine stenglische Art" oder "Unschuldsstengel" hießen seine Bestseller, in denen auch die für den "Eulenspiegel" geschriebenen Verse erhöhte Haltbarkeit fanden. Bei der Satire-Zeitschrift hatte Stengel von 1954 bis 1959 als Redakteur gearbeitet, danach war er als Vortragskünstler seiner eigenen Texte rund 80000 Kilometer jährlich durch die DDR gefahren.

Eine doppelte Erdumrundung in den Grenzen der DDR - ein besseres Bild konnte man für Stengels weltzugewandte Haltung im ummauerten Ländchen kaum finden. Das SPD-Mitglied, das seine Partei bei der Zwangsvereinigung mit der KPD 1946 verließ und nach eigener Einschätzung fortan "mehr sagen durfte als mancher Genosse" blieb seiner Heimat verhaftet, ohne sich ihrer Ideologie zu ergeben. Dass er hier - laut Eulenspiegel-Verlag - als Instanz für Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung galt, hatte seinen Preis: Auch Stengel musste seine Pointen oft zwischen die Zeilen setzen und das Gewicht seiner Worte auf der Goldwaage ermitteln. Nicht umsonst war er auch Experte für verklausulierte Kreuzworträtsel im "Eulenspiegel" - und für Palindrome, wie man die vorwärts wie rückwärts lesbaren Worte und Sätze aus seinem Sammelband "AnnasusannA" nennt.

Das zusammen mit dem Illustrator Karl Schrader verfasste Kinderbuch "So ein Struwwelpeter" aber, das in mehr als 800000 Exemplaren veröffentlicht wurde, hat Stengel selbst als sein Lieblingsbuch bezeichnet - vielleicht, weil man darin unter dem Vorwand der Erziehung eben doch einen Hauch fröhlicher Anarchie auf die kindlichen Leser übertragen konnte. Sein lyrisches Vermächtnis schließlich ist genau vor einem Jahr erschienen: Der Band "Dicht an dicht" vereint alle Gedichte des Autors, der im Geist von Erich Kästner und Wilhelm Busch schrieb.