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Zum Tod von Fritz J. Raddatz Zum Tod von Fritz J. Raddatz: Schreiben auf ganz großer Bühne

Von christian eger 26.02.2015, 19:17
Fritz J. Raddatz (1931-2015)
Fritz J. Raddatz (1931-2015) dpa Lizenz

halle (Saale) - Vor fünf Monaten erklärte Fritz J. Raddatz seinen Abschied vom Journalismus. „Ich habe mich überlebt“, schrieb der Mann, der in den 70er und 80er Jahren zu den glanzvollsten Autoren des westdeutschen Feuilletons gehörte, in der Tageszeitung „Die Welt“. „Meine ästhetischen Kriterien sind veraltet, das Besteck des Diagnostikers rostet“, klagte der Journalist, der einst als linker Libero auf einem Feld spielte mit konservativen Freigeistern wie Joachim Kaiser, Joachim Fest oder Marcel Reich-Ranicki, der seine eigene Partei war. „Ich bin nicht mehr zeitgemäß“, fasste Raddatz zusammen. „Time to say goodbye.“

Mit größtmöglicher Wirkung auf der größtmöglichen Bühne

Im Befund hatte der Wahl-Hamburger recht. Aber nicht in dessen Begründung. Dass der Journalist, der von 1977 bis 1985 das Feuilleton der Wochenzeitung „Die Zeit“ geleitet hatte, mithin das Flaggschiff linksliberaler Sinngebung, nicht mehr „zeitgemäß“ war, wurde davon bestätigt, dass kaum jemand Notiz nahm von seinem Abschied. Dass dieser Abschied aber doch öffentlich verkündet sein musste, das wiederum war typisch Raddatz: Er verstand sein journalistisches Leben nicht als eines, das in Distanz zum Betrieb, sondern mittendrin, mit größtmöglicher Wirkung auf der größtmöglichen Bühne geführt werden musste.

Was hieß: Literaturkritiker und zugleich Erzähler sein. Richter über die Künstler und deren innigster Freund. Akteur und Beobachter in einem. Eine Sortenvermengung, die letzthin heillos ist für beide Seiten. Aber das war Raddatz: Nicht nur einen teuren Kelch bis zur Neige leeren, sondern gleich eine Batterie von Flaschen.

Seine Ost-Perspektive interessierte im Westen nicht

Als Sohn einer Französin und eines Reichswehroffiziers 1931 in Berlin geboren, siedelte Raddatz als 18-Jähriger aus politischen Gründen aus dem West- in den Ostteil der Stadt. Er studierte Germanistik, wurde promoviert, stieg zum Vize-Chef des Verlages Volk & Welt auf. Die Seghers, Eisler, Hermlin: Alle liebten den offen bisexuellen „Effjott“, weil er so jung war, so frei schien und bedenkenlos, bis er 1959 in den Westen floh. Seine Karriere lief fort: Vize bei Rowohlt, Gründer der Tucholsky-Stiftung, Spitzen-Feuilletonist.

Die Ost-Perspektive hatte Raddatz nie verloren, aber diese Perspektive interessierte im Westen nicht. Bis zuletzt war Raddatz intellektuell kein lupenreiner Westdeutscher, aber er suchte den Applaus aus genau dieser Richtung. Dass er nach 1989 im Osten keine Wirkung entfaltete, keine Rolle spielte, darin ist auch eine nachwende-deutsche Tragik zu sehen. Freilich eine, die auch den Kulturbetrieb im Osten trifft. Gestern ist Fritz J. Raddatz, der von sich sagte, dass er ein Freund des begleiteten Suizids sei, mit 83 Jahren gestorben, teilt der Rowohlt Verlag mit. Ein Todesort wird nicht genannt. (mz)