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Schauspiel Leipzig Zahn um Zahn: Enrico Lübbe inszeniert in Leipzig Yasmina Rezas Schauspiel "Gott des Gemetzels"

Von Joachim Lange 17.01.2017, 11:00
Bürgerliche Eskalation: „Gott des Gemetzels“ in Leipzig
Bürgerliche Eskalation: „Gott des Gemetzels“ in Leipzig Rolf Arnold

Leipzig - Dass dieses Drama ein Renner werden würde, war schon bei der Uraufführung 2006 in Zürich klar. Yasmina Reza zelebriert in ihrem perfekt gebauten Stück den Blick in den Spiegel. Und zwar so, dass sich jeder selbst erkennen kann, aber sich niemand vor Schreck abwenden, sondern lachen muss. Wenn aber auf der Bühne die dünne Decke einer zivilisierten Konfliktregelung reißt, weiß jeder, wie modellhaft diese Entgleisung mittlerweile für den Diskurs in der Gesellschaft geworden ist.

Zwei Elternpaare treffen sich, weil der Sohn von Annette und Alain dem Jungen von Michel und Véronique mit einem Stock zwei Schneidezähne ausgeschlagen hat. Darüber will man in aller Ruhe reden. Doch allzu lange hält dieser Vorsatz nicht. Formulierungsvorschläge fürs „Protokoll“ wie „bewaffnet“ werden zu einem ersten Misston. Dann klingelt Alains Handy. Er ist Anwalt und die Pharmafirma, die er vertritt, ist in Bedrängnis wegen Nebenwirkungen eines neuen Medikamentes. Es wird noch unzählige Male klingeln bis die geplagte Ehefrau es in einem akuten Handy-Allergie-Anfall in der Tulpenvase zum Schweigen bringt, was mit kollektiver Zustimmung im Saal quittiert wird.

Reza liefert eine Steilvorlage für vier Virtuosen, die ihrem Komödiantenaffen Zucker geben dürfen. Ein helles, knapp möbliertes, modernes, halbrundes Wohnzimmer von Etienne Pluss reicht als Rahmen dafür völlig aus.

Als gastgebende „Opfer“-Eltern Véronique und Michel spielen sie zunächst die Gutmenschen. Bettina Schmidt gibt sie als ehrgeizige Schriftstellerin, die sich auf die Seite Afrikas und des Hamsters ihrer Tochter geschlagen hat. Ihr gelingt das ebenso überzeugend wie Michael Pempelforth den davon genervten, auch im Leben mittelmäßigen, selbständigen Vertreter an ihrer Seite. Bei den „Täter“-Eltern wahrt Anne Cathrin Buhtz als Annette in ihrem kleinen Schwarzen nur kurze Zeit die Contenance, um dann in einer ausführliche Slapstick-Einlage im wahrsten Wortsinn das Zimmer vollzukotzen. An ihrer Seite Dirk Lange. Er macht aus Alain einen zynischen, aber nicht unsympathischen Pragmatiker im korrekten Anwalts-Anzug. Ihm ist das Wort vom titelgebenden „Gott des Gemetzels“, an den er glaubt, vorbehalten.

Am Anfang braucht die Truppe zwar ein paar Augenblicke, um zu sich zu kommen. Doch dann nimmt sie Fahrt auf und funktioniert. Gut, dass der regieführende Hausherr Enrico Lübbe einfach auf das augenzwinkernde Bündnis der Autorin mit ihrem Publikum baut.

Diese kurzweiligen 80  Minuten kommen ohne Mord und Totschlag oder das große Weltuntergangsmenetekel an der Wohnzimmerwand aus. Die auffallend vielen jungen Zuschauer werden wohl Szenen aus dem modernen Eheleben (ihrer Eltern) erkannt haben. Und die etwas reiferen Zuschauer ein bisschen sich selbst.

Nächste Vorstellungen: 29. Januar und 11. Februar, jeweils 19.30 Uhr

(mz)