Xavier Naidoo Xavier Naidoo: Glaube, Liebe, Hoffnung
Halle/MZ. - Katja Riemann wartete vergeblich. Einen peinlich langen Augenblick passierte gar nichts auf der Bühne des Hamburger Kongresszentrums. Gerade war Xavier Naidoo ausgerufen worden, sich den "Echo" als bester Nachwuchskünstler 1999 abzuholen. Naidoo aber, ein schmaler Junge mit dunklen Augen, der gerade erst sein Debütalbum "Nicht von dieser Welt" herausgebracht hatte, rührte sich nicht aus dem Sessel.
Später hat er das immer wieder zu erklären versucht. Er hasse Preise, hat er gesagt. Und dass er nichts anfangen könne mit den Ritualen der Pop-Welt. Xavier Naidoo, sieben Jahre nach der verweigerten Krönung erfolgreichster Pop-Sänger im Lande, schaut in solchen Momenten streng in die Runde. Ein Star der anderen Art: Ist Musik seinen Kollegen der Weg, berühmt zu werden, nutzt der Sohn eines südafrikanischen Mechanikers seine Lieder, um Gott den Herrn zu preisen.
Am Erfolg des 34-Jährigen ändert das nichts. Auf seiner letzten Tour haben ihn eine viertel Million Fans gefeiert. Kein anderer Künstler verkauft derzeit mehr CDs und kann wie er auf ein Publikum aus Teenies, Twens und Älteren zählen.
Der Triumphzug aber war dem einstigen Messdiener aus Mannheim nicht vorbestimmt. Naidoo, aufgewachsen "mit sonntags brav in die Kirche, Kommunion, Firmung" (Naidoo), wollte nach der Schule ein Restaurant aufmachen. Nach ein paar Monaten in einer Kochlehre aber merkt er, "dass ich da nur putzen musste". Desillusioniert wirft Naidoo das Scheuertuch und schlägt sich als Türsteher, Model und Jingle-Sänger durch.
Die Fotos von damals versteckt er heute im Panzerschrank. Auch der erste Anlauf zur Pop-Karriere ist eine eher finstere Erinnerung. Zwar fabriziert eine Produzentin in Florida mit "Kobra", wie Naidoo sich nennen lassen muss, eine Handvoll hemdaufreißender Adaptionen von Evergreens wie "Stand By Me". Doch das Album geht sang- und klanglos unter.
Heute ist Xavier Naidoo nur für wenige andere Dinge dankbarer. "Ich war, was ich nie sein wollte: Eine Marionette." Und wegen eines gültigen Vertrages kann er nichts tun - obwohl er doch schon seit Silvester 1992 ein ganz anderer, ein ganz neuer, ein tief gläubiger Xavier Naidoo ist. "Ich hatte als Zivi Dienst in der Silvesternacht", erinnert er sich selbst an den Moment seiner großen Wandlung. In einer Pause habe er Bob Marley gehört, eine Bibel lag herum, er schlug sie auf, und ein Satz sprang ihn an: "Durch Silvanus, einen treuen Boten, überbringe ich Dir diese Nachricht". Silvanus! Silvester! Konnte das etwas anderes sein als eine Botschaft speziell für Xavier Naidoo?
Von jener Nacht bis zum "Anführer der Generation Gott" (Stern) braucht der Mann mit der streichelweichen Soul-Stimme, die mächtig an das Organ des Lift-Sängers Werther Lohse erinnert, sechs Jahre, einen Chor-Job bei Sabrina Setlur und die Hilfe des deutschen Hiphop-Paten Moses Pellberg.
Dann aber ist er da. Mit Zeilen wie "Aus Kriegern machst du Knechte / den Knecht führst du zum Sieg / und, Herr, deine Kämpfer / sind Gerechte" erstaunt Naidoo das weltliche Parolen gewohnte Publikum. Zwar ist seine Musik eine unspektakuläre Mischung aus Rock, Soul und Hiphop. Doch bietet sie das perfekte Parkett, um glaubenspralle Botschaften tanzen zu lassen.
Die unterscheiden ihn vom gemeinen Pop-Mob, ihretwegen lieben ihn die Menschen. Die Pumpgun Gottes ist ihren Getreuen Glaube, Liebe und Hoffnung in einem: Lieder wie "Zeilen aus Gold", musikalisch mehr später Sting als Otis Redding, zeigen ihren Schöpfer als Leidenden, der Trost spendet. Er singt vom Herrn, der alle Bäume knickt, und vom Kind, das man bleiben muss. Seine Fans hängen an seinen Lippen, als verkünde der Mannheimer Musik-Missionar mit der Brille das neue Evangelium.
Doch kaum angekommen im ersehnten Erfolg ereilten ihn erste Nackenschläge. Fahnder finden Marihuana in der Küche des Künstlers. Der Gottesfürchtige wird zu 20 Monaten Bewährung verurteilt. Dann muss sich Naidoo in einem quälenden Prozess aus den Verträgen mit Mentor Pelham kämpfen, von dem er sich gegängelt fühlt.
Für einige Monate ist er damals verschwunden aus den Hitparaden, präsent nur noch als der Christenkauz aus der Pop-Provinz, der in Interviews davon redet, dass seine Heimatstadt das neue Zion sei. Er glaube das nicht, versichert er, er wisse es ganz sicher.
Es ist dieses innere Glühen, das das Volk überzeugt. Naidoo, in seinen Videos ein Schmerzensmann, der selten lächelt, nimmt sie alle mit. Er spendet den Mühseligen Musik und den Beladenen Beistand, er verkündet "Dein Weg ist mein Weg, lass nicht zu, dass sie siegen / ich will vor dir stehen und nicht vor dir liegen". Mit ihm ist Gott im Rock nicht mehr Gegenstand zynischer Scherze, sondern Hoffnung auf bessere Musik.
Eine Hoffnung, die längst allgegenwärtig ist. Neben zwei Alben mit den Söhnen Mannheims sang Xavier Naidoo für Edo Zanki, BAP und Dutzende anderer. Er focht mit den Brothers Keepers gegen rechts, unterstützt ein Kinderhospiz und im Verein Söhne Mannheims soziale Projekte daheim. Nebenbei gründete er eine Plattenfirma, las für ein Rilke-Hörbuch Gedichte und spielte kleine Filmrollen.
Der gute Mensch aus Mannheim ist so zu einer Art Jürgen Fliege der deutschen Popmusik geworden. Wo immer einer zuhört, Xavier Naidoo ist schon da; wo immer jemand eine Hand sucht, reckt Naidoo ihm die seine entgegen: "Sieh es mir nach / wenn ich weine", singt er, "denn nichts ist wie es scheint / Auf meinem Weg liegen Steine / Mein Schmerz ist dort vereint."