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"Wutfänger" "Wutfänger": Silly wird mit neuem Album wieder politisch

Von Steffen Könau 24.05.2016, 17:14
Bei einer Autogrammstunde in Peißen konnten sich Jäcki Reznicek, Ritchie Barton, Anna Loos und Uwe Hassbecker vor Andrang kaum retten.
Bei einer Autogrammstunde in Peißen konnten sich Jäcki Reznicek, Ritchie Barton, Anna Loos und Uwe Hassbecker vor Andrang kaum retten. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Der einfache Weg war nie der, den diese Band gehen wollte. In einem anderen Leben hatte die Band Silly alles erreicht, Hits, die Verehrung der Fans, die Anerkennung der Mächtigen des Staates, der DDR hieß. Es war Zeit, etwas zu riskieren: Angeführt von Sängerin Tamara Danz, machten Ritchie Barton, Uwe Hassbecker, Jäcki Reznicek und Herbert Junck das Album „Februar“, das das Ende des selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaates vorwegnahm. Und den Ruf von Silly als Band mit politischem Standpunkt begründete.

Silly bleibt sich treu

Den hat die Gruppe immer noch, auch 20 Jahre nach dem Tod von Tamara Danz und fast zehn nach dem von Schlagzeuger Herbert Junck. „Ich will nicht mit dem Strom / mich zieht es auf’s Eis“, singt Anna Loos, die Danz nach einer langen, ratlosen Pause der Restband vor zehn Jahren am Mikrophon ersetzte, auf dem neuen Album „Wutfänger“. Das ist mehr als eine Absichtserklärung in Zeiten, in denen es sich die Jugendkultur Rock langsam auf dem Altenteil gemütlich macht. Als Silly neulich zur Aufstiegsfeier des frischgebackenen Leipziger Fußball-Erstligisten RB eingeladen wurden, kamen sie. Traten dann aber in den Trikots der ostdeutschen Traditionsvereine Dresden, Aue, Union Berlin und Magdeburg auf die Bühne.

Das Pfeifkonzert lächelte Anna Loos, im Hauptberuf immer noch Deutschlands vielleicht vielbeschäftigste Schauspielerin, routiniert weg. RB ist Strom. Die Trikotaktion Eis. Loos, zu Beginn ihrer Zeit bei Silly nur eine Sängerin, inzwischen aber echte Frontfrau der 1978 gegründeten Gruppe um den aus Halle stammenden Gitarristen Uwe Hassbecker, hat das Stammquartett mit dem dritten gemeinsamen Album „Wutfänger“ dorthin zurückgeführt, wo Silly am Todestag von Tamara Danz im heißen Sommer 1996 mit dem damals gerade erschienenen Album „Paradies“ standen: In die Charts. Und die gesellschaftliche Relevanz.

Balanceakt zwischen eigenem Willen und Fanwünschen

In den 14 neuen Stücken geht es um Liebe, Krieg, Neid und Schuld, aber auch um Lügen, Doppelmoral und den Versuch, selbst nicht in einen Abgrund aus Angst und verzweifelter Marktgängigkeit gezogen zu werden. Erfolg kann korrumpieren, jedes neue Album ist ein Kompromiss zwischen dem, was die Band will, und dem, was die Fans sich wünschen. Mehr balladeske Hits wie „Alles rot“ und „Deine Stärken“? Mehr Politik wie in „Vaterland“? Oder mehr Pop wie in „Blinder Passagier“?

„Wutfänger“ hat von allem etwas. Hinter dem mit heftigen Rockgitarren angemachten Auftakt „Zwischen den Zeilen“ wartet eine Achterbahnfahrt durch alle Spielarten des patentierten Silly-Sounds aus Rezniceks hier leider nicht oft zu hörendem Brummbass, Bartons virtuosem Tastenspiel und den Gitarren von Uwe „Hassbe“ Hassbecker, Sohn der halleschen Opernsängerin Eva Hassbecker und von Thomas Müller, einem Spezialisten für Neue Musik.

Anna Loos hat ihren Platz gefunden

Loos, in ihren ersten Gehversuchen mit Silly noch darauf bedacht, mit der Stimme nur ja nah an der Melodie zu bleiben, gibt sich hier mehr Freiheiten. Sie brummt ganz unten, geht spitz nach oben, lässt die Stimme wegkippen, flüstert in „Flügel“ und schreit in „Zwischen den Zeilen“. Eine Musikerin, die ihre Stimme gefunden hat, vielleicht auch, weil sie mittlerweile auch Tamara Danz’ Rolle als Texterin übernommen hat und nun singen kann, was sie selbst geschrieben hat.

Das Album sei „ein Blick auf unsere Welt geworden. Eine Welt voller Liebe und Hoffnung, aber auch eine Welt voller Zweifel und Krieg“, sagt Loos selbst. Voll schweren Gedanken in zumeist leichten Liedern. „Kampflos“ beschwört mit Klavier, Tambourine und Chor den Sieg der Liebe über den Hass, in „Wutfänger“ rappt Loos, „Die Anderen“ dann wirft einen scharfen Blick auf die Ellenbogengesellschaft. „An alle Dummschwätzer und Schleimer, Lügner, Tratscher, Idioten, Neider“, wendet sich Anna Loos da mit einer klaren Botschaft: „Ihr könnt mich mal“.

Diplomatie geht ganz anders. Aber Diplomatie wäre ja auch der einfache Weg. (mz)

Silly, Wutfänger, Island Records - Live am 23.10. im Haus Auensee in Leipzig

Mehr Tourtermine: www.silly.de