Wolfgang Mattheuer Wolfgang Mattheuer in der Kunsthalle Rrostock: Der Horizont ist weit

Rostock - Wolfgang Mattheuers Großplastik „Jahrhundertschritt“ ist in ganz Deutschland im öffentlichen Raum präsent. Wie die Risse des Jahrhunderts, für das er steht. Ein Exemplar ist jetzt auch in Potsdam vor dem neuen Museum Barberini heimisch. Ein bemalter Eisenguss ist in (West-)Berlin vor der Volksbank und einer vorm Haus der Geschichte in Bonn zu finden. Bronzen auch in Oberhausen, im Hof des Kunstmuseums des Landes Sachsen-Anhalt in Halle und in Leipzig natürlich.
Eigentlich hätte die Ausstellung „Wolfgang Mattheuer - Bilder als Botschaft“ ins Bildermuseum nach Leipzig gehört, wo Mattheuer lebte und arbeitete. Dort hat man es bei der Rückbesinnung auf die großen Maler, die es bis zum Label der „Leipziger Schule“ gebracht haben, bislang „nur“ auf Retrospektiven für Bernhard Heisig (2005), Werner Tübke (2009) und vor kurzem für Sighard Gille gebracht.
Unter bunten Luftballons
Wie schon 2015 im Falle von Neo Rauchs Lehrer Arno Rink (76) ist es wieder die Kunsthalle in Rostock, die jetzt aus Anlass des 90. Geburtstags für Wolfgang Mattheuer eine große Retrospektive ausrichtet.
Der im April 1927 im vogtländischen Reichenbach geborene, vor 13 Jahren gestorbene Mattheuer nannte sich selbst gern einen Bildermacher. Im Westen Deutschlands wollte man in seinen Bildern - wenn man sie nicht als zu figürlich gleich ganz abtat - vor allem die Sehnsucht nach Freiheit, den Blick für das Verdämmern der Utopie sehen. Diese Botschaft sah man natürlich auch da, wo diese Bilder entstanden sind.
Trabis fahren auf einen Horizont
Wie auch anders, wenn auf dem Bild „Hinter den 7 Bergen“ von 1973 die Trabis auf einen Horizont zu fahren, über dem eine barbusige Liberté-Figur à la Eugène Delacroix schwebt und mit bunten Luftballons lockt. Oder, wenn ein Mann aus seiner engen Behausung flieht, die in Flammen steht (1982 „Aussteiger, oder: Fluchtweg“ und 1985 „Geh’ aus Deinem Kasten!“). Oder, wenn immer wieder der Ikarus abstürzt und der Sisyphos vergeblich den Stein bergan rollt. Oder die Menschen ihr Gesicht hinter einer Maske verstecken.
Mattheuer war ein hellsichtiger Kritiker, der das, was er sagen wollte, nie so weit verschlüsselte, dass man erst eine Erklärung brauchte, um sie zu verstehen. Er hatte seine Themen, blieb ihnen treu, griff sie immer wieder auf, erzählte sie weiter, blieb er selbst.
Fast 750 Werke, über 500 Landschaftsbilder und 60 Stillleben
Wenn man das Werkverzeichnis, das anlässlich der Rostocker Ausstellung verdienstvoller Weise erschien, durchblättert, dann stellt man gleichwohl fest, dass von fast 750 Werken über 500 Landschaftsbilder und 60 Stillleben sind.
Das erste ausgeprägt politische Bild ist sein machtvoll wuchtiger „Kain“ aus dem Jahr 1965 - Brudermord als Thema. Die Moritzburg in Halle hatte den Spürsinn, es zu erwerben; als erster Ankauf eines Museums überhaupt. Mit der malerischen Jahrhundertschritt-Studie „Verlorene Mitte“ (1982) und „Adam wartet“ (1966/67) verfügt das Haus über zwei weitere Schlüsselwerke. Man kann nur hoffen, dass diese Arbeiten bei der gerade anstehenden Neuprofilierung in der Dauerausstellung der Moritzburg ihren Platz finden werden.
Besuch in der Gegenwart
Mattheuer war mit manchen seiner Bilder auf den offiziellen Kunstausstellungen der DDR nicht, im Westen dafür umso prominenter vertreten. Ob 1977 auf der documenta 6 in Kassel oder auf der Biennale in Venedig.
In der exzellent bestückten Rostocker Schau mit über 80 Bildern fehlt ausgerechnet das 1970 entstandene „Schwebende Liebespaar“, das auf der Dresdner Kunstausstellung zwei Jahre später die Gemüter erhitzte und seinen Maler berühmt machte. Das ist aber zu verschmerzen, weil es zumindest im Osten fast jeder kennt, da es nahezu zu Tode reproduziert wurde. Dass Mattheuer dann zu den Künstlern gehörte, die einen Auftrag für den 1976 eingeweihten Palast der Republik erhielten, war wohl eine pure Selbstverständlichkeit („Guten Tag“, 1975).
Blicke übers heimatliche Vogtland
Diesem Auftrag entzog man sich nicht - doch es blieb (wie bei Heisig) das einzige „klassische“ Auftragswerk. Der als Zeitgenosse immer kantige Mattheuer machte ohnehin nur, was er wollte: Seine sagenhaften blauen Himmel, seine Blicke übers heimatliche Vogtland, die fernen Horizonte, seine archaischen Prototypen auf Besuch in der Gegenwart. Ob als Flüchtender, als (Ab-)Stürzender, als Maskierter oder als Einsamer. Oft auch gleich als Selbstbildnis eines Malers, der für Generationen zu ihrem Selbstverständnis gehört.
››Kunsthalle Rostock: bis 17. September. Di-So 11-18 Uhr. Anschließend vom 14. Oktober bis zum 7. Januar 2018 im Museum de Fundatie, Zwolle (Niederlande). Das Werkverzeichnis der Gemälde (Edition Galerie Schwind) kostet im Museum 29 Euro, im Handel 49 Euro. (mz)