Wolfgang Amadeus Mozart Wolfgang Amadeus Mozart: Provokant, begabt und «Stolz wie ein Pavian»

Wien/dpa. - Seine«Zauberflöte» lockt die Menschen scharenweise in das Freihaustheaterin der Wiener Vorstadt. Dazu kommt die Ernennung zum Domkapellmeistervon St. Stephan. Doch einen möglichen neuen Triumph im kaiserlichenWien erlebt Mozart nicht mehr. Am 5. Dezember 1791 stirbt er amrheumatischen Fieber.
Da ist der Komponist, Musiker, Dirigent und Lebemann gerade knapp36 Jahre alt. Sein schnelles, wechselhaftes Leben, seine schillerndePersönlichkeit böten dabei Stoff für mindestens drei Leben, ebensodie gewaltige Liste von über 600 Werken. Er war Star derkunstfreundlichen höfischen Rokoko-Gesellschaft und provozierte durchsein, die Konventionen brechendes, Talent die etablierten Hofmusiker.Seines Könnens war er sich durchaus bewusst: «Wenn ich sehe, dassmich jemand verachtet und gering schätzet, so kann ich so stolz seinwie ein Pavian.» Er brüskierte mit vulgärem Auftreten, entwaffnetemit seinem oft kindlichen Humor - und hinterließ der Musikgeschichteein unlösbares Rätsel: das Rätsel des Genies.
Zwei seiner bekanntesten Werke aus den letzten beidenLebensjahren, die «Zauberflöte» und das unvollendet gebliebene«Requiem», spannen die gewaltige Bandbreite seiner musikalischenVirtuosität auf: das bunte Märchen für die Vorstadt, das bis heuteMusiker und Regisseure über geistige Tiefe und Unergründlichkeitentzweit - und die düstere Totenmesse, die einmal mehr musikalischeNeuerungen schafft und das Unbegreifliche des Todes in bis dahinungehörten Tönen ahnen lässt. «Beginnt man an Mozarts Oberfläche zukratzen, stößt man auf immer neue Schichten», beschreibt Mozart-Spezialist Nikolaus Harnoncourt das Geheimnis des Komponisten.
Nicht umsonst finden sich Begriffe wie «unglaublich»,«erstaunlich», «Wunder» so zahlreich in Texten zu Mozart - inzeitgenössischen Schilderungen ebenso wie in heutigen Beschreibungenseines Werkes und Lebens. «Hauptsächlich erstaunet alles ob demBuben, und ich habe noch niemand gehört, der nicht sagt, dass esunbegreiflich sei», schreibt etwa Vater Leopold Mozart seiner FrauMaria Anna in Salzburg von der ersten Konzertreise mit seinen Kindern1762 nach Wien, wo sich der Sechsjährige im wörtlichen Sinne spielendseinen Weg zum Hof bahnt. Zeitgenosse Goethe (1749-1832), der denjungen Künstler im Konzert erlebt hatte, urteilte später: «EineErscheinung wie Mozart bleibt immer ein Wunder, das nicht zu klärenist.»
Interpreten, Wissenschaftler und Musiker heute greifen ebenfallsin überirdische Register, um seine Musik zu beschreiben, beschwörendie «Spiritualität» seiner Musik; für die Sängerin AngelikaKirchschlager ist Mozarts Musik gar ein «Gottesbeweis». DirigentHarnoncourt hat nur eine Erklärung: «Ein Meister fällt vom Himmel,von woanders kommt er nicht. Mozart schrieb unbegreifliche Musik, vomersten Ton an.»
Das sagenhaft Umwobene, Zwiespältige und Rätselhafte umgibt Mozartvon Beginn an, eifrig geschürt vom Vater. Der rief selbst das«Wunder» Wolfgang Amadeus aus, als er schrieb, er müsse «der Welt einWunder verkündigen, welches Gott in Salzburg hat lassen geborenwerden». Nach seinem Tod festigt sich die Aura zum Mythos. Die erste,die den Mythos Mozart zu modellieren begann, war seine WitweConstanze. Sie soll es gewesen sein, die die Mär von einemgeheimnisvollen «Schwarzen Boten» erfand, der den Auftrag zu demRequiem gab, Mozarts letztem Werk.
Auch wenn heute unbestritten ist, dass der reiche Graf FranzWalsegg-Stuppach die Totenmesse bestellt und nur deshalb mit Hilfeeiner großzügigen Summe um Stillschweigen gebeten hatte, weil ervorhatte, die Komposition als sein eigenes Werk auszugeben - derangebliche «Schwarze Bote» geistert nach wie vor durch die Mozart-Mythenwelt. Wie eng Mythos und Kommerz bereits damals beieinanderlagen, beweist ebenfalls Constanze, die das Manuskript des Requiemsheimlich drei Mal kopieren ließ und jede Fassung als einzigeNiederschrift teuer verkaufte.
Hartnäckig wie die Mär vom «Schwarzen Boten» halten sich auchandere Mythen. Die von dem eifersüchtigen Hofmusiker Salieri, derseinen Konkurrenten Wolfgang Amadeus Mozart vergiftet haben soll. DieLegende vom Armengrab, das ein gewöhnliches Reihengrab war, wie eszur Zeit Kaiser Joseph des II. üblich wurde. Die vom ewigen KindMozart, das nicht erwachsen wurde und sich scherzend und spöttelnd inder pompösen höfischen Rokoko-Welt bewegte.
Genährt werden all diese Mythen durch die tatsächlich schillerndePersönlichkeit des Salzburgers, die ebenso wie seine Musik in dengegensätzlichsten Farben changiert. Da ist der vergnügte,vergnügungssüchtige Spieler, der zotige Witze reißt, abends demrustikalen Volkssport Bölzenschießen oder dem derb-erotischenGesellschaftsspiel des «Wadenmessens» frönt und dem PublikumSpaßfiguren wie den Vogelhändler Papageno zum johlenden Vergnügenvorwirft.
Da ist gleichzeitig der über alle Maßen begabte Musiker, derunterwegs in seiner Kutsche komplette Partituren entwirft und abendsin schummerigen Wirtshäusern ohne einen Korrekturstrich zu Papierbringt. Da ist der selbstbewusste Rebell, der dem Klerus stolz Parolibietet und auf seine künstlerische Freiheit pocht - bis hin zumlegendären Rauswurf durch den Fürsterzbischof Colloredo «durch einenTritt im Arsch», wie er im Brief berichtet. Da ist der streng demVater gehorchende Sohn, der mit 22 Jahren noch sein kindlichesWeltbild bekräftigt: «Nach Gott kommt gleich der Papa.»
Das Kind «Wolfgangerl» ist ganz in der streng geordneten Welt desgeistlichen Fürstentums Salzburg zu Hause, die Stadt zählt wenig mehrals 10 000 Einwohner, der Klerus bestimmt das Leben. Vater Leopold,der aus einer Buchbinderfamilie aus Augsburg stammt, hat hierPhilosophie studiert und steht als geachteter Musiker in Diensten desFürsterzbischofs, gibt Unterricht und komponiert. In einerkunstsinnigen, wenn auch konservativen Gesellschaft erhofft er sichdurchaus über den begabten Sohn einen weiteren gesellschaftlichenAufstieg.
Aufgeschlossen und talentiert sehen heutige Biografen den kleinenMozart und schreiben es der fortschrittlichen, dabei ehrgeizigenFörderung durch den Vater zu, dass das kindliche Talent für die Musikzum Durchbruch kam. «Keine Spezialbegabung» etwa attestiert derMusikwissenschaftler Martin Geck dem kleinen Wolfgang, sondernbeschreibt ihn als «eine leib-seelisch rege und dabei konzentriertePerson». Als Hinweis nennt er etwa das enorme ZahlenverständnisMozarts, das sich in seinem anhaltenden Interesse für Rechenspieleäußert. Er leitet daraus auch seinen geschärften Sinn für räumlich-mathematische Relationen ab, der sich wiederum in seinemmusikalischen Vorstellungsvermögen niederschlägt.
Dazu kommt der sprichwörtliche, lebenslang anhaltende Spaß anSprachspielen, der sich beim Kind in spaßhaften Reimen zeigt, beimHeranwachsenden - etwa im berüchtigten Briefwechsel mit dem munteren«Bäsle» Maria Thekla Mozart in Augsburg - ins pubertär Obszöneumschlägt: «O Dreck - oh süßes Wort! Dreck! Auch schön! Dreck,schmeck und leck!» Zwar waren Fäkalscherze in der Familie Mozart undin der damaligen Gesellschaft durchaus an der Tagesordnung, doch dieHäufung und Wiederholung in Mozarts Briefen brachten Wissenschaftlerzu der Vermutung, Mozart habe am so genannten Tourette-Syndromgelitten, das unter anderem mit Ticks und zwanghaftem Wiederholen vonSchimpfwörtern einher geht.
Dies bekräftigen auch Schilderungen von Zeitgenossen, Mozart seihäufig gestolpert, sei unvermittelt in Gelächter ausgebrochen oderunruhig, mit unmotivierten Bewegungen im Zimmer herumgelaufen. EinerKrankheit hat Mozart jedenfalls seine physische Entstellung zuverdanken: Die Pocken haben tiefe Narben in seinem Gesichthinterlassen. Sogar seine große Schwester Nannerl fand äußerlichwenig Bewundernswertes an ihrem Bruder. Sie beschreibt ihn «klein,hager, bleich von Farbe». Auch der Arzt Joseph Frank schildert ihnals «kleiner Mann mit dickem Kopf und fleischigen Händen», eineZeitung zeichnete ihn «enorm benas't». Nur Constanze fand freundlicheWorte für seine Hände, «so weich und so schön geformt wieFrauenhände».
Seine auffallend geringe Größe machte der Künstler mit großerGarderobe wett - so schlecht es ihm, der selbst als Großverdiener mitGeld nicht umzugehen wusste, bisweilen ging, an Kleidung wurde nichtgespart. Perücke, Puder und großer Putz waren ihm ein Muss, selbst inden späten 1780er Jahren, als er die Tage in Wien damit verbrachte,Kredite aufzutreiben und seinen Aufträgen nachzujagen. Auch inkulinarischer Hinsicht war der Musiker aus kleinbürgerlichem Hauskein Tiefstapler, gespeist wurde in den besten Restaurants, mit Wild,Innereien und Spezialitäten wie Kapaun.
Schließlich hatte er das große Leben an den europäischenFürstenhöfen als reisendes Wunderkind früh kennen gelernt, war vomenglischen Königspaar verwöhnt, vom Publikum beklatscht worden, hattean der Neujahrstafel von Ludwig XVI. gespeist und vor Papst ClemensXIV. eine Probe seines Könnens gegeben. Das Reisen und Umherziehenist ihm von klein auf selbstverständlich. Die mondäne Welt derreichen Städte von London und Paris bis Rom, Mailand und Wien wirdihm näher und lieber als das klerikale Salzburg, das er mehr und mehrals bedrückend, eng und konservativ empfindet.
An Salzburg entzündet sich auch der große Konflikt mit dem Vater,der zwar den Musiker Wolfgang unterstützt, den Sohn aber doch lieberin fürsterzbischöflichen Diensten sehen möchte - nicht zuletzt ausSorge um das eigene finanzielle Auskommen im Alter. Auch als ihn derVater anhält, Unterricht zu geben, um Geld zu verdienen, wehrt ersich zunächst. Das will er jenen überlassen, die «nichts können alsKlavierspielen. Ich bin ein Komponist, und bin zu einem Kapellmeistergeboren. Ich darf und kann mein Talent im Komponieren, welches mirder gütige Gott so reichlich gegeben hat, nicht so vergraben.»
Schmerzhaft schließlich emanzipiert sich das Wunderkind,entscheidet: «Salzburg ist kein Ort für mich», geht gegen den Willendes Vaters nach Wien, heiratet seine zärtlich geliebte Constanze. Ergenießt die Freuden des raschen, selbst geschaffenen Ruhmes, dasHofiertwerden und Schmeicheln - und erleidet seine Tücken. Erergreift die Möglichkeiten der Kaiserstadt und muss sich ihrenIntrigen geschlagen geben. Doch was immer ihm auch geschieht, seinerMusik ist die augenblickliche Stimmungslage nicht anzumerken. SeinWerk ist kein biografisches, aus keiner Note ist Persönliches zuhören, keine Launen, nichts Flüchtiges - Mozarts Musik ist immerabsolut. Oder, wie Harnoncourt es beschreibt: «Mozart ist wie einEisberg, dessen größter Teil im Dunkeln schwimmt.»