Wolf Biermann Wolf Biermann: «Ich dürfte mich Hallore nennen»

HAMBURG/HALLE/MZ. - Was wenigewissen: Wolf Biermanns Familie hat hallescheWurzeln. Mit dem Dichtersänger sprach unserRedakteur Christian Eger.
Herr Biermann, Ihre berühmte Oma Meumewurde 1878 in Halle geboren. Sind Sie alsoein Hallore, Hallenser oder ein Hallunke?
Biermann: Nur eines von den Dreiendarf ich mich nennen: Hallunke - denn ichbin ja nicht in Halle, sondern in Hamburggeboren und aufgewachsen. Dennoch, als eineArt großmütterliche Milch habe ich die Muttersprachegesoffen, das knüppeldicke, sogar von denfeineren Sachsen in Leipzig verachtete anhaltinische,das "drecksche" Sächsisch aus dem Munde meinergeliebte Oma Meume - und so ist es kein Wunder,dass für mich diese oft verspottete Spracheeine der schönsten und ausdruckstärksten derWelt ist, die ich etwa so gut beherrsche wieauch das Hamburger Platt meiner Kindheit.Einen Halloren dürfte ich mich nennen, wennich daran denke, dass meine verbotenen Liederdas Salz waren in der DDR-Suppe.
Was hat Ihnen Ihre Oma Meume aus Halleberichtet?
Biermann: Von ihr weiß ich, dass ausmeiner hallenser Familie ein Onkel "Der Blaue"genannt wurde, weil er rote Haare hatte. Ichwüsste gern von einem Jargon-Fachmann an derSaale, woher diese Wendung stammt. Alle Kindheitsgeschichtenmeiner Oma Meume, die sie mir immer wiedererzählt hat, spielen in Halle. Es fing anmit der toten Maus, die sie zur Strafe essenmusste, weil sie heimlich unter der Bettdeckegelesen hat und dabei von herzlosen Erwachsenenerwischt wurde. Martha Dietrich, geboreneSchimpf, wuchs nach dem Tod ihrer Mutter,die starb an TBC im Wochenbett, als Waisenkindin den Franckeschen Stiftungen auf.
Was wissen Sie von Ihrem Urgroßvater,dem Vater der Oma Meume?
Biermann: Vieles. Tausend Geschichten.Und den starken sächsischen Satz: "Das achdundvierz'scheKraap is meins!" Aber das ist für ein Zeitungsintervieweine viel zu lange Geschichte. Mein Urgroßvaterwar ein Maschinist mit dem Nachnamen "Schimpf",er muss ein geduldiger Mensch gewesen sein.Erst, als das 47. Grab auf dem Selbstmörderfriedhofdraußen vor Halle in der Heide mit einem Leichnambelegt war, ging er hin, schwer angesoffen,und hängte sich an dem gusseisernen Gitterüber dem achtundvierzigsten auf. Es gibt zuall dem meine "Moritat auf Biermann seineOma Meume in Hamburg", die ich in Ostberlinschrieb, nachdem ich total verboten wordenwar. Ich sollte dieses Lied auch singen, am Donnerstag im Hallenser Volkspark.
Haben Sie einmal den Dölauer Friedhofbesucht?
Biermann: Ja, als ich nach einem Konzertin Halle einen Tag lang Zeit hatte, mit einemFreund dort hin zu gehn. Inzwischen wächstda ein Wald, aber den einstmaligen Heidefriedhofhaben wir trotzdem gefunden. Und ich fandnatürlich auch das richtige Grab, obwohl mandort fast nichts mehr findet.
An wen oder was erinnern Sie sich heute,wenn Sie an Halle zu DDR-Zeiten denken?
Biermann: Dass ich dort gelegentlichauch Sarah Kirsch und ihren Mann Rainer besuchte.Und mich darüber amüsierte, dass im Zentrumder Stadt ein Laden war, auf dem groß meingeächteter Name geschrieben stand. Und ichdenke an den Schlosser Lutz Meißner, der imNovember 1976, also in den Tagen des Protestesgegen meine Ausbürgerung, diesen Namen aufeine Mauer in Halle schrieb, in 80Zentimetergroßen blauen Buchstaben, deren Farbe vonder Stasi chemisch analysiert wurde.
Durch einen idiotischen Zufall wurde er zweiJahre danach von den Fachleuten des MfS als"Täter" identifiziert und dann mehrere Jahreins Gefängnis geworfen. In den Akten der Gauck-bzw. Birthler-Behörde fanden sich auch Fotografien.Da stand also "BIERMANN HAT RE ..." Die letztendrei Buchstaben konnte der so genannte Täternicht mehr vollenden. Da dachte ich, ach!er hätte doch bei den Verhören einfach sagensollen: Ich wollte schreiben: "BIERMANN HATRE ...AKTIONÄRE LIEDER GESUNGEN!" - aber dahätten seine Verhörer diesem tapferen jungenMann wohl aufs Maul gehaun.
Sie treten am Donnerstag im Volkspark auf, anjenem Ort, an dem 1925 der "Kleine Trompeter"erschossen wurde. Ist Ihnen dieses Schicksaleine kleine öffentliche Erinnerung wert?
Biermann: Nein, denn ich kenne diewirkliche Geschichte zu gut - das war eineder vielen Propagandalügen der DDR-Stalinisten:Ideologische Babynahrung für die Jungen Pionierein der DDR. Das sentimentale Kitschlied vomkleinen Trompeter war offenbar ein LieblingsliedWalter Ulbrichts. Die Legende wurden von UlbrichtsLeib- und Magen-Romancier Otto Gotsche literarisiert... das angemessen kitschige Trompeter-Denkmalvon Gerhard Geyer passt ideal zu der Lügenlegende.Aber natürlich weiß ich, daß auch dort inHalle der Rotfrontkämpferbund der KPD gegründetwurde ... mein Großvater Karl Dietrich, derja auch aus Halle an der Saale stammte, gingals junger Mann nach Hamburg und wurde danndort ein führender Funktionär des RotfrontkämferbundesRFB. Allerhand Geschichte und viele Geschichten.
Der Volkspark gehörte zuletzt der SPD.Nach der letzten Bundestagswahl: Braucht Deutschlandnoch die SPD?
Biermann: Ja.
Kann es in Deutschland auf Dauer zweiParteien links von der Mitte geben: Oder läuftdas auf eine neue Einheitspartei aus SPD undLinke zu?
Biermann: Die von Gregor Gysi in dieMetamorphose von SED in SED-PDS und dann inPDS und in DIE LINKE transformierte Parteiist die Partei der materiellen und geistigenErben der totalitären DDR-Diktatur. Dieseneue Linke ist weder links noch neu, sie istdie stramm organisierte Geschichtslosigkeit.
Wie blicken Sie auf eine rot-rote Koalitionwie in Brandenburg?
Biermann: Mit abgeklärt aufgeklärterVerachtung.
Was eigentlich war der 1989er Staatswechselfür Sie? Eine Revolution, ein Streik, eineWende?
Biermann: Krenz, Gysi und Markus Wolfund Schabowski und andere finstere Lichtgestaltendes alten Regimes wollten, dass die Revolutionnur eine "Wende" wird. Dieser Begriff ausder Seglersprache bezeichnet sehr gut, wasunsere alten Unterdrücker wollten: gegen denWind der Weltgeschichte durch geschicktesGegen-den-Wind-Segeln auf dem alten Kurs bleibenund ihre Allmacht erhalten.
Ja, 1989 passierte - genau 200 Jahre nachder Großen Französischen - eine mindestensso große Revolution. Womöglich größer noch,denn der ganze weltweite Ostblock implodierte.Im tiefsten Sinne des Wortes war es eine Revolution,denn sie erzwang eine radikale Änderung derpolitischen und ökonomischen Verhältnisse.1989 war für uns Deutsche die erste gelungeneRevolution überhaupt. Und dass diese Revolutiongelang ohne Revolutionäre ist eine wunderbareIronie der Weltgeschichte, denn bis dahinhatten wir immer nur allerhand Revolutionäre,aber alle ohne Revolution. Der GeschichtsphilosophHegel, der 15 Meter querbeet gegenüber BrechtsGrab liegt, hätte sich eins gelacht. Und derBrecht ... na, der hätte sich gewundert unddann griesgrämig doch gefreut.
Nach 20 Jahren: Was fehlt Ihnen bei derDebatte um die DDR-Vergangenheit?
Biermann: Mir fehlt eine Debatte überdie Abschaffung der hohen bundesdeutschenRenten für die Funktionäre der Partei unddes Staates und sogar für die Offiziere derStaatssicherheit. Ich will dieses totalitärePack nicht hinter Gittern sehn. Aber dassdie Täter wie verdiente Staatsdiener der Demokratiein Pension gehn, während es so vielen Opferndes Regimes schlecht geht, dass ausgerechnetsolche finsteren Lichtgestalten wie GregorGysi & Co. im Parlament uns belehren wollenüber Demokratie, Friedenspolitik und Freiheitund soziale Gerechtigkeit - na was wohl? Eskotzt auch mich an.
Braucht es in Deutschland ein 89er Revolutionsdenkmal?
Biermann: Von mir aus - gerne! Aberdas beste Denkmal ist eine lebendige Demokratieund das schlechteste sind die grassierendenGeschichtslügen über die reaktionäre DDR-Diktatur.Meine Lieder sind ein ganz brauchbares Werkzeuggegen das Vergessen. Einige davon werde ichin Halle singen.
Wolf Biermann singt am 5. November um20 Uhr im Volkspark, Halle, Burgstraße 27.Karten für 15 Euro im Vorverkauf an der Kulturinsel-Theaterkasse: Telefon: (0345) 2050-222