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Wolf Biermann Wolf Biermann: Gedichte für Liebhaber internationaler Dichtkunst

Von Wilfried Mommert 18.10.2011, 09:51
Der Autor und Liedermacher Wolf Biermann am Sonntag . Wolf Biermann wird im November 75 Jahre alt und blickt in dem Monat auch auf den 35. Jahrestag seiner DDR-Ausbürgerung zurück. (FOTO: DPA)
Der Autor und Liedermacher Wolf Biermann am Sonntag . Wolf Biermann wird im November 75 Jahre alt und blickt in dem Monat auch auf den 35. Jahrestag seiner DDR-Ausbürgerung zurück. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Berlin/dpa. - Fast ein halbes Jahrhundert lang hat Biermann sie gesammelt. Danebengestellt sind oft Auszüge aus seinen Notenblättern sowie ebenso aufschlussreiche wie persönliche handschriftliche Ergänzungen und Anmerkungen.

Der Band ist nicht nur ein «Biermann-Buch», sondern eine Fundgrube für Liebhaber internationaler Dichtkunst. Hier wird die Schönheit der Dichtung offenbar, die es als Lyrik so schwer hat - auch wenn sie gerade mit dem schwedischen Altmeister Tomas Tranströmer endlich wieder einmal nobelpreiswürdig wurde. Immerhin gehören im deutschen Sprachraum Biermanns Gedichtbände wie «Heimat» oder «Berlin, du deutsche deutsche Frau» laut Verlag zu den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur.

Biermann macht auch jetzt wieder Lust zum «Schmökern» und weckt die Neugier auf schöne Gedichte und Lieder aus der Heimat und der weiten Welt. Vielleicht wäre es noch reizvoller gewesen, wenn er in einigen Fällen wenigstens auszugsweise den Originaltext danebengestellt hätte. Allerdings ist der Band mit 500 Seiten ohnehin schon recht umfangreich.

Enthalten sind unter anderem Texte von Rimbaud und Verlaine, Ernesto Cardenal und Harry Belafonte, Dylan Thomas und George Orwell, Elie Wiesel und dem Chansonnier George Brassens. Dazu kommen jiddische und hebräische Gedichte.

Auch eine Auswahl von Sonetten Shakespeares hat der Liedermacher in eine deutsche Fassung gebracht. Er habe sie treuer übersetzt als alle anderen, die sich daran «abzappeln». Darunter befindet sich auch das berühmte 66. Sonett - für den Liedermacher «die schönste Liebeserklärung auf Erden».

In seinen reifen Jahren ist der Barrikadensänger und Vater von sieben Söhnen und drei Töchtern zu der Überzeugung gekommen, dass die Liebe zu einem einzelnen Menschen wohl doch das Größte auf Erden ist: «Für mich war das eine Erleuchtung durch dieses Sonett von Shakespeare, weil es bis dahin so kommunistisch dunkel in meinem Kopf war, denn ich sollte immer nur die Menschheit retten.»

Neben «hoher Dichtung» ist in Biermanns «Sammelsurium», wie er es selbst nennt, auch die «niedere Volkspoesie» vertreten wie zum Beispiel das amerikanische «Oh My Darling, Clementine». Biermanns Übertragungen sind mal salopp, mal bekennt er sich aber auch zum ursprünglichen Pathos.

Biermann hatte das Lieder-Sammeln begonnen, als er ab 1965 in der DDR Auftrittsverbot hatte und damit bis zu seinem Rausschmiss durch Ausbürgerung im November 1976 gewissermaßen «kaltgestellt» war. Zudem herrschte in seiner Wohnung in der Chausseestraße 131 (wie auch eine seiner bekannten Schallplatten im Westen hieß) in Ost-Berlin ein lebhafter privater und natürlich überwachter Besucherverkehr. Das reichte von Joan Baez bis Allen Ginsberg, die ihm alle die «Stimmen der Völker» in Liedern brachten und von denen viele zu ihm sagten: «Kannste das ins Deutsche rüberdichten?»

Aber auch für «seine Eva-Maria Hagen» schrieb er Texte - notgedrungen, weil die mit den «SED-Bonzen» mächtigen Ärger wegen ihrer Liaison mit Biermann bekommen hatte. Den Schluss überlässt Biermann dem Franzosen Paul Verlaine mit «Kaspar Hauser singt»: «Ich konnt auch ohne Vaterland und König/War weder feig noch tapfer noch ein großes Licht...Mein Elend schreit, doch du, ich bitt dich: Bete/Für mich, den armen Hauser, den Kaspar.»

Wolf Biermann: Fliegen mit fremden Federn. Nachdichtungen und Adaptionen, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 526 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3-455-40344-2

Website Wolf Biermann