Wissenschaft Wissenschaft: Französischer Philosoph Jacques Derrida gestorben
Paris/dpa. - Der französische Philosoph Jacques Derrida ist tot.Der weltweit bekannte Protagonist der Postmoderne starb in der Nachtzum Samstag im Alter von 74 Jahren in einer Pariser Klinik. Wie ausseinem Umfeld am Samstag bekannt wurde, erlag der Philosoph einerKrebserkrankung der Bauchspeicheldrüse. Derrida, in Algerien als Sohnjüdischer Eltern geboren, wurde als ausgeprägter Querdenkerangesehen. Zu seinen berühmtesten Büchern gehört «Die Schrift und dieDifferenz» von 1972.
2001 wurde Derrida als einer der bedeutendsten Philosophen derGegenwart in der Frankfurter Paulskirche mit dem Theodor W. Adorno-Preis ausgezeichnet. Politisch engagierte er sich für eine stärkereMilitärkraft Europas unabhängig von der NATO und den USA, wobei dieEuropäer ihre Schlagkraft für die Durchsetzung von UN-Resolutionennutzen sollten.
Als Student beschäftigte er sich vor allem mit den Werken dergroßen Existenzialismus-Philosophen von Kierkegaard über Heideggerbis Camus und Sartre. Derrida lehrte an verschiedenen Hochschulen inParis und im Ausland, überwiegend in den USA. Die meisten seinerWerke sind ins Deutsche übersetzt worden. Dazu gehören«Aufzeichnungen eines Blinden» und der Band «Marx' Gespenster», indem er nicht nur Marx, sondern auch das Phänomen des Marxismus undKommunismus seiner dekonstruktivistischen Kritik unterzieht. Bekanntist auch der historische Exkurs in die «Geschichte der Lüge».
Der Kern seines Denkens war die Annahme, dass es keine absoluteWahrheit gibt. Verschiedene, auch sich widersprechende Deutungenbetrachtete er gleichzeitig als wahr. Um dies zu beweisen, wendeteDerrida eine Methode an, die als Dekonstruktivismus bekannt wurde.Dabei werden Texte so zerlegt, dass keine «wahre Interpretation» mehrmöglich ist. Die Dekonstruktion hat den Diskurs der siebziger undachtziger Jahre geprägt. Derridas Texte, die Denk- undGattungsgrenzen in Frage stellen und mit Begriffen spielen, wurdenvon vielen als unverständlich angesehen.
Auch deshalb war Derrida einer der einflussreichsten, aber aucheiner der umstrittensten zeitgenössischen Philosophen Frankreichs.Die einen feierten ihn als ein die Philosophie revolutionierendesGenie und Begründer einer neuen Disziplin, die im Grenzbereich vonPhilosophie und Literaturtheorie beheimatet ist. Die anderen warfenihm vor, ein vertrauens- und verehrungsbereites Publikum mitnihilistischen und nur halbverständlichen Traktaten zu füttern.
Neben dem Begriff der «Dekonstruktion» ist eine andere Vokabel inseinem Werk zentral: «Differenz». Während die klassische Philosophienach Einheit und Ordnung strebt, bestand Derrida darauf, Unterschiedestehen zu lassen und «das Andere» als Fremdes anzuerkennen. «Unterallen Tugenden Jacques Derridas», sagte sein Kollege Pierre Bourdieueinmal, «ist die wertvollste seine Fähigkeit, einen kritischen Blickauf die Philosophie zu werfen».
Als Dozent hatte Derrida zunächst Lehraufträge an verschiedenenamerikanischen Universitäten. In den 1980er Jahren baute er in Parisdas «College International de Philosophie» mit auf, später wurde erDirektor der «Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales» in Paris.