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Wie wird man Hauptstadt?  Wie wird man Hauptstadt? : Was Bernd Kauffmann von einer Bewerbung Halles hält

28.09.2016, 07:31
Bernd Kauffmann: „Es ist falsch zu meinen, man sei schon wer. Man ist erstmal nichts!“
Bernd Kauffmann: „Es ist falsch zu meinen, man sei schon wer. Man ist erstmal nichts!“ Janina Snatzke

Berlin - Am Mittwoch entscheidet der Stadtrat von Halle darüber, ob es den Oberbürgermeister mit der Erstellung eines „Grobkonzeptes“ für eine Bewerbung Halles als „Kulturhauptstadt Europas 2025“ beauftragen will. Was müsste ein Konzept berücksichtigen?

Mit dem Kulturmanager Bernd Kauffmann (71), der 1999 die Kulturhauptstadt Weimar zum Erfolg führte und heute die Moviementos Festwochen Wolfsburg leitet, sprach in Berlin unser Redakteur Christian Eger.

Herr Kauffmann, wie wird eine Stadt Kulturhauptstadt?

Kauffmann: Indem sie es in Gänze oder mit einem großen Anteil ihrer Bewohner innerlich und äußerlich will. Indem sie bereit ist, sich anzustrengen, und ebenso bereit ist, sich in ihrer Programmatik der Vergangenheit zu stellen, Altes neu zu denken und Spuren in die Zukunft zu legen.

In Sachsen-Anhalt werden voraussichtlich zwei Städte ins Rennen gehen: Magdeburg, das seit etwa fünf Jahren an einem Programm arbeitet, und Halle. Belebt Konkurrenz das Geschäft? Oder schadet sie?

Kauffmann: Ich finde es nicht besonders toll, dass sich in einem kleinen Land, das von staatlicher Kulturförderung nicht gesegnet ist, insgesamt eher wenig zu bieten hat und vielfach den Mangel verwaltet, sich die zwei größten Städte als Konkurrenten begegnen. Im Übrigen hatte Halle ja schon einmal geübt, Kulturhauptstadt zu werden. Die Bewerbung war dann irgendwo im Off verschwunden.

Welche Fragen sollte sich eine Stadt stellen, bevor sie ins Rennen geht?

Kauffmann: Ach, da gibt es unendlich viele. Was ist der Zukunftsentwurf der Stadt? Wo will sie in den nächsten 40 oder 60 Jahren mit sich hin - im Künstlerischen, im Kulturellen, auch partiell im Gesellschaftlichen? Was will sie von ihrer Vergangenheit vor aller Welt, zumindest vor Europa, sichtbar werden lassen, was will sie an Gegenwart zeigen? Welche Vision hat sie von ihrer eigenen Urbanität?

Es reicht also nicht aus, festzustellen, wir haben als Stadt Halle eine achtbare Summe an Museen, Theatern, Galerien, man sei quasi eine natürliche Kulturstadt…

Kauffmann: Das wär’ doch naiv! Das wär’ doch nur die wohlige Wärme einer Nabelschau und kann doch für ein Kulturstadtsein nicht reichen. So gesehen, gäbe es viele „Kulturstädte“. Aus welchem besonderen Grund sollte mich da der Weg nach Halle führen? Eine Kulturhauptstadt, die diesen Namen verdient, braucht ein genuines programmatisches Profil, das sie unverwechselbar macht und denen, die sie ernennen sollen, etwas Einzigartiges mitzuteilen hat. Nur so wird man Menschen in Hamburg und Mailand dazu verführen, diese Stadt Halle zu besuchen. Fleisch im eigenen Saft zu bleiben, reicht nicht.

Im Münsterland 1944 geboren, studierte Bernd Kauffmann Rechtswissenschaft in Berlin und Hamburg.

Tätigkeit im Kultusministerium in Hannover, ab1987 Generalsekretär der Stiftung Niedersachsen. 1992 Präsident der Klassik Stiftung Weimar, 1996 bis 2000 Generalbevollmächtigter der Kulturhauptstadt Weimar 1999, von 1993 bis 2001 Intendant des Kunstfestes Weimar.

1996-2000 Chef des Kulturrates der Expo 2000 Hannover. 2001 bis 2014 Generalbevollmächtigter der Stiftung Schloss Neuhardenberg; seit 2003 Leiter der Movimentos Festwochen in Wolfsburg.

Es gibt Stichworte der Kulturstadt-Jury. Erstens: Langzeitstrategie.

Kauffmann: Ich muss wissen, welche Suggestion ich mit einer Stadt und deren Umland entwickeln will, damit Menschen auch nach Schluss des Kulturstadtvorhabens weiter dort hinkommen, verweilen und vielleicht sogar dort leben wollen. Das darf nicht wie bei manchen Olympischen Spielen geschehen, von denen nur noch die Olympischen Dörfer übrigbleiben, in die es dann auch noch reinregnet. Kulturhauptstadt sein heißt, nicht nur irgendeinen programmatischen Budenzauber zu veranstalten, sondern zwingend etwas Bleibendes zu schaffen, und zwar in Form und Inhalt, im Verhalten und in einer größeren Offenheit zum Fremdverständlichen. Das heißt: Sie müssen eine Vision für die Stadt haben, die zumindest zur Hälfte am Ende auch real werden muss.

Zweitens: Europäische Dimension.

Kauffmann: Das meint, dass ich mich im Selbstbewusstsein, in der Strahlkraft und in meiner inneren Konfliktbereitschaft mit den anderen erfolgreichen Kulturstädten in einer Linie sehe. Und dass ich nach vorne Modelle entwickele, wie ich in einer globalen Welt, die voller digitaler Seufzer, voller Entfremdung, voller Radikalisierung ist, Kultur so einsetzen kann, dass Menschen miteinander anders umgehen, sich zusammensetzen, um sich auseinanderzusetzen, anstatt sich zu bekriegen.

Was wären klassische Fehler bei einer Bewerbung?

Kauffmann: Es alles billiger zu reden, als es wird. Und zu meinen, man sei schon wer. Man ist erstmal nichts! Und falls man was ist, dann gäbe es das auch anderswo. Entschuldigung. Es geht zuallererst um das Finden eines eigenen, unverwechselbar originären Rollenkleids.

Halle spricht davon, sich gemeinsam ins Rennen zu begeben mit der sogenannten Metropolregion Mitteldeutschland…

Kauffmann: Was ist das denn?

Ein Städteverbund, zu dem auch Leipzig gehört. Halten Sie das für Halle für sinnvoll?

Kauffmann: Das konnten Sie im Ruhrgebiet machen. Aber nur deshalb, weil das Ruhrgebiet ein riesiger Ballungsraum ist und man gar nicht weiß, wann man in Bochum oder in Dortmund ist. Das ist in den Flächenländern Sachsen-Anhalt und Sachsen ganz anders. Leipzig ist Leipzig. Halle und Leipzig sind für sich jeweils etwas ganz anderes. Und ich muss eine gewisse Wegstrecke überwinden, von der ich auch merke, dass sie ein Zwischenraum ist, um in Halle oder in Leipzig zu sein. Es geht um das Profil einer Stadt, nicht um das Profil einer wie auch immer gearteten Region, die aus meiner Sicht gar kein gemeinsames Profil hat.

In Weimar wurde 1996 eine Kulturstadt GmbH gegründet, um das Kulturstadtjahr 1999 zu organisieren. Wäre das ein Modell?

Kauffmann: Ja. Eine Gesellschaft zu haben, die weitestgehend eigenständig ist, halte ich für sinnvoll. Ich würde es für fatal halten, eine Organisationsform zu suchen, die Teil einer öffentlichen Institution ist. Bei der dringend gebotenen programmatischen Selbstständigkeit würde eine solche Organisationsform sofort zum innerbetrieblichen Kampfplatz mit angeschlossenem Mobbing werden, von gegenläufigen Begehrlichkeiten ganz zu schweigen.

Wäre ein Intendant für das Konzeptionelle notwendig?

Kauffmann: Ich bin ein Befürworter des Intendantenmodells. Wenn ich eine Gesellschaft mit großer Eigenständigkeit befürworte, dann liegt das Intendantenmodell nahe, weil es das einzige ist, das diese Eigenständigkeit mit Leben erfüllen kann.

Magdeburg spricht von 40 Millionen Euro allein für das Kulturstadtjahr.

Kauffmann: Das ist eng bemessen. Es kommen Vorauskosten hinzu. Sie können ja Halle nicht plötzlich aus der Tiefe des Raums auftauchen lassen. Da muss man vorher schon etwas bieten. Sie müssten die Stadt schon vorher deutlich bekannter machen, als sie es jetzt ist.

Sollte nach Weimar 1999 und Essen 2010 die nächste deutsche Kulturstadt wieder eine ostdeutsche sein?

Kauffmann: Es sollte die Stadt sein, die aus sich selbst ein Faszinosum an Programm und Programmatik bieten kann. Eine Stadt, die den Möglichkeiten der Kunst eine große Kraft einräumt und in immer neuen Formen die Erfahrungen schöpferisch beglaubigt, die Menschen aus ihrem Leben ziehen. Eine Stadt der Bewegung und Begegnung, zu der ich gerne reise und in der ich gerne verweilen möchte.

Halle hat das Ihrer Wahrnehmung nach nicht?

Kauffmann: Ich würde diese Wahrnehmung für mich als nicht zwingend vorhanden sehen. (schweigt) Und unter uns gefragt: Was ist denn mit der großen Leopoldina? Wirklich bekannt ist sie nicht! Die Franckeschen Stiftungen! Welche Rolle spielen die denn, außer Weltkulturerbe sein zu wollen? Was haut mich denn an Halle wirklich um? Und Händel hilft im Zweifel London mehr als Halle. Was meinen Sie denn? Das ATP-Turnier findet bekanntlich in einem anderen Halle statt.

Halle ist ein Kulturstadt aus eigener Kraft. Entspannt, vielgestaltig, anders als Leipzig nicht auftrumpfend.

Kauffmann: Ja, Leipzig mag präpotent sein, das macht Halle aber noch nicht potent. Wenn Sie Halle sagen, gerät mein Blutdruck noch nicht in Wallung.

Es ist die Frage, wie sehr mit Breslau, der Kulturhauptstadt 2017, der kollektive Blutdruck steigt.

Kauffmann: Immerhin, der Breslauer Markt ist für mich ein suggestives Faszinosum, von dem Schatten, den das Gut Kreisau auf die Stadt wirft, ganz zu schweigen. Im Grunde geht’s auch immer um Urbanität in aller ihrer Lebendigkeit und Buntheit. Nehmen Sie eine Stadt wie Regensburg. Die hat wie Halle ein Kulturleben, von dem man sagt: Alles drin und ich würde sagen, ich könnte mir auch vorstellen, da zu wohnen! Tolle Stadt! Schöner Lebensort! Da hat Halle, finde ich, doch noch Probleme.

Als Lebensort taugt Halle bestens.

Kauffmann: Mir scheint’s, dass sich das allerdings noch nicht wirklich herumgesprochen hat. Zu einem kulturellen Angebot muss die Lebendigkeit einer Urbanität hinzutreten, die etwas andres ist, als provinzielle Fernwärme. Die Stadt muss aus sich heraus strahlen. Möge dies Halle gelingen.

(mz)