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Wibke Bruhns Wibke Bruhns: Alles regelt sich irgendwie

Von Christian Eger 23.12.2005, 18:25

Berlin/MZ. - Wibke Bruhns, Bestsellerautorin und Journalisten, lehnt locker in einem weißen Liegesessel. Eine blonde Frau in lindgrünem Pullover und Bluejeans. Am Vortag hat sie den letzten Leserbrief beantwortet. Dass da kein Poststapel mehr auf ihrem Schreibtisch liegt, sagt sie, sei gut, aber sehr ungewohnt.

120 Lesungen hat die 67-Jährige in diesem Jahr absolviert. Das sind 120 Orte, Hotels, nicht selten fordernde Begegnungen. Echos auf ihr 2004 veröffentlichtes Erfolgsbuch "Meines Vaters Land". Die Geschichte der seit 1790 in Halberstadt anssässigen Kaufmannsfamilie Klamroth, in die Wibke Bruhns 1938 hineingeboren wurde. Kein privatisierendes Rückschaubuch unter anderen, sondern ein deutsches Sittenbild im Breitwandformat, das auf die Lebensgeschichte des Bruhns-Vaters Hans Georg Klamroth hinausläuft. Als ein Mitwisser an Stauffenbergs Attentat auf Hitler wurde der 46-jährige Abwehroffizier im August 1944 als "Hochverräter" hingerichtet.

Georgien liest mit

Die erst im August veröffentlichte Taschenbuchausgabe ist bereits 100 000 Mal über den Ladentisch gegangen. Die Rechte wurden bis nach China, Bulgarien, Litauen und Georgien verkauft. Wibke Bruhns ist erschöpft, aber glücklich. Sie raucht, sie plaudert. Sie wirkt aufgeräumt, trotz einer Erkältung. Das hat mit Selbstdisziplin zu tun, die die alleinerziehende Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Töchtern über Jahre trainiert hat.

Wir wollen über Familie reden. Ausgerechnet! Dass sie, die Achtundsechzigerin, die 1971 als erste deutsche Nachrichtensprecherin TV-Geschichte schrieb, öffentlich über dieses Thema sprechen würde, hätte sie noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten. Familie! Wie oft war die junge Journalistin von ihrer Mutter gebeten worden, doch Mitglieder der Sippe zu besuchen, als sie von 1960 an beruflich durch die westdeutsche Republik reiste. Immer war da irgendein Onkel, irgendeine Tante in der Nähe. Sie habe aber in Hotels wohnen wollen, erzählt Wibke Bruhns, statt sich die Weißt-du-noch-Geschichten der Alten anzuhören.

Wie anders hingegen heute. Es gibt einen Kloster Gröninger Zweig der Klamroths, den sie regelrecht herbeibefohlen habe, wenn sie sich zu Lesungen in der Harzregion aufhielt. Ein kleines gemeinsames Frühstück nur, das müsse doch drin sein, sagt Wibke Bruhns. Das Karl-Kraus-Wort von der "Familienbande", das Nähe genauso meint wie die Clique, versteht sie für ihren Verein nur in der guten Variante. "Wir lieben uns."

Die Klamroths: ein mitteldeutscher Clan. Die Familientage sind aufwändig choreografierte Treffen einer ausgefeilt hierarchisierten Mini-Massenorganisation gewesen. Familienkundliche Vorträge, Rundgesänge am Kamin nach dem Schema Reim-oder-ich-fress-dich. Der letzte Familientag, erzählt Wibke Bruhns, hat 1948 in Halberstadt stattgefunden - in der 1911 von dem Modearchitekten Hermann Muthesius errichteten Großvilla am Bismarckplatz, heute "Parkhotel". Zu DDR-Zeiten das erste Haus am Ort, in dem auch die Puhdys übernachteten.

Die Auflösung des Clans war 1948 bereits in vollem Gange. Die Sektoren-Teilung wirkte. Wibkes Schwester Ursula, Ehefrau des 1944 hingerichteten Bernhard Klamroth, erwartete zu dieser Zeit ein Kind - ohne Ehe. Sie müsse aus dem Familientag entfernt werden, forderte die eine Fraktion. Dann lösen wir besser den Clan auf, die andere. So kam es auch. Vor der Währungsreform 1949, erzählt Wibke Bruhns, standen die Lastkraftwagen vor der Tür, um aufzuladen, was nach Westen rollen sollte.

Wie groß ist so eine Großfamilie? Pfingsten dieses Jahres, sagt Wibke Bruhns, habe sich nur "der innere Kern" getroffen: 150 Personen plus Kinder. Personen übrigens, die auf die so gar nicht ehrpusselige Familien-Recherche "Meines Vaters Land" mit großer Freude reagiert haben. "Die sind stolz wie Bolle." Das Buch werde in der Familie bestens verschenkt. Das verblüfft sogar die Autorin, die im Clan die Planstelle ihrer Mutter, der Wismarer Unternehmertochter Else Podeus einnimmt, die raunend als "rote Else" geführt wurde. Zwei Töchter hat Wibke Bruhns aus ihrer zweiten Ehe mit dem 1977 gestorbenen Filmschauspieler Werner Bruhns: die Berliner Journalistin Meike, 37, und die Hamburger Sängerin Annika, 39, zur Zeit Star des Abba-Musicals "Mamma Mia". Beide Frauen, sagt Wibke Bruhns, seien "echte Familientierchen". Zudem Mütter ihrer vor einem Jahr geborenen Enkel Sam Jesper und Ida Luise. Nur für die habe sie einen Adventskranz beschafft. "Ich bin froh, keinen Weihnachtsbaum mehr schmücken zu müssen."

"Kinder", schreibt Wibke Bruhns in ihrem Vater-Buch, "interessieren sich für ihre Eltern nur als Ressource. Das Verhältnis ist Ich-bezogen: Wie weit werde ich beschützt, versorgt, gefördert. Wer die Eltern sind, was sie fühlen, ob sie glücklich sind, geht an Kindern vorbei." Auch Familie sei eine Ressource, sagt Wibke Bruhns. Als ihre Töchter geboren wurden, habe sie gemeint, zwanzig Jahre, dann ist es vorbei. Nun telefoniert sie täglich mit ihren Kindern. Was "Ressource" meint? Beistand. Das selbstverständliche "Ich bin für dich da". Als Lebensmotto gilt Wibke Bruhns: "Alles regelt sich irgendwie". Fatalismus spiele da hinein, vor allem aber Zuversicht aus Urvertrauen.

Was ihr handfest von Halberstadt geblieben ist: ein barocker Schreibsekretär, ein Kronleuchter, ein Aktenschrank, das findet sich in der Berliner Wohnung. Lebendige Bilder indes kann Wibke Bruhns kaum erinnern: Die ersten sechs Lebensjahre ausgelöscht in der Bombennacht 1945. Auch eine Psychoanalyse holte da nichts zurück. Aber die Literatur. 2007 soll die Klamroth-Saga in zwei 90-minütigen Filmen im Fernsehen flimmern. Das läuft, auch ohne die Autorin. Sie will wieder schreiben. Aber nichts über Halberstadt.

Den Weihnachtsabend feiert Wibke Bruhns bei ihrer Tochter Annika in Hamburg. Dann reist sie nach Halberstadt, in die Familie eines befreundeten Architektenpaares. Ruft das Fest alte Halberstädter Bilder auf? Nein, sagt Wibke Bruhns. Überhaupt sei Halberstadt für sie eine Metapher. Für die Familie auch, die man nicht verlässt, noch wenn man sie aus den Augen verliert. Wenn Wibke Bruhns etwas vermisst, dann sind es die schneeschweren, wie sie sagt "knallkalten" Winter. Die weiten weißen Wälder, in die hinein man kurz entschlossen entschwinden konnte.