Werner Stiller Werner Stiller: Der Preis des Verrats
Halle (Saale)/MZ. - Werner Stiller, 63, diente als Oberleutnant des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, hatte sich aber auch dem Bundesnachrichtendienst angedient. Als man ihm 1979 auf die Schliche kam, fuhr er nachts in Ost-Berlin in seine Dienststelle, hebelte einen Schrank auf, fand Ausreisekarten für MfS-Angehörige und begab sich zum Bahnhof Friedrichstraße. Im Untergeschoss überschritt er durch eine Tür die Front des Kalten Krieges, kam am Grenzer vorbei und befand sich im Westen.
Er trug eine durchgeladene Pistole mit sieben Patronen. "Wäre ich umzingelt worden, hätte ich mich ohne Zögern erschossen", schreibt er. "Ich wusste ja sehr genau, was mich erwartete."
In Abwesenheit wurde er später in der DDR zum Tod verurteilt. Stiller brachte im deutsch-deutschen Spionagekrieg der Stasi die schwerste Niederlage bei. Das war der "Tagesschau" eine Spitzenmeldung wert. Dass der Ex-Agent jetzt erst ein Buch über seine Erlebnisse vorlegt, begründet er damit, nun erst könne er alles erzählen, zuvor habe ihm der BND nicht alle Details erlaubt.
Etwa 60 Agenten und Kontaktpersonen hat er verraten. Seine Fahnenflucht war für die Funktionäre schlimm, weil man sich völlig auf den Top-Agenten verlassen hatte. Diese Gewissheit, mit anderen Genossen gemeinsam an einem Strang zu ziehen war nach Stillers Abgang passé. Misstrauen breitete sich im MfS aus, es erodierte von innen.
Stiller war der Gau. Sein Leben galt als extrem gefährdet, weshalb der BND ihn im Herbst 1980 mit neuer Identität als Peter Fischer in die USA schickte. Die CIA schloss ihn an einen Lügendetektor, verhörte ihn zwei Monate, bis er alle Namen von DDR-Spionen in den USA preisgab, die er kannte. Er lebte in St. Louis, begann ein Studium und wurde von der CIA alimentiert.
Vom BND war sein Verrat zuvor schon mit mehreren hunderttausend Mark entlohnt worden, denn der Dienst war dankbar für den Etappensieg über den Ost-Gegner. Werner Stiller hatte über Verbindungsleute aus der DDR rund 20 000 Dokumente in den Westen geliefert. Stiller, das Äußere durch Schnauzbart und Brille verändert, lebte auf großem Fuß und heiratete eine Amerikanerin. Weil er ihr nichts über seine Vergangenheit erzählte, ließ sie sich später von ihm scheiden.
Stiller hatte in der DDR seine Ehefrau und zwei Kleinkinder zurückgelassen. Das Buch gewährt tiefe Einblicke in die Mentalität von MfS-Mitarbeitern und ihren Methoden, die sich - will man Stiller glauben - von denen des BND kaum unterschieden.
Es gab eine Art Wettbewerb zwischen beiden deutschen Geheimdiensten, der auch Unterhaltungswert hatte, obgleich er bitterernst geführt wurde. Unglaubliche Energien und Finanzen wurden bei diesem Männerspiel verschleudert. Beim Lesen wird klar, dass es sich bei Werner Stiller um einen Egomanen und Hasardeur handelt, dem es um persönliche Bereicherung ging. Dabei unterliefen ihm Fehler. Er verlor Riesensummen in Aktien, kaufte Villa und Porsche. Als er nach der Wende noch mal hochkam, verspielte er wieder alles: 1990 übernahm er die Leitung des Bankhauses Lehman in Frankfurt, 1994 wechselte er zur Investmentbank Goldman Sachs - beide Male hinterließ er Scherben.
1996 ging er nach Budapest, beteiligte sich an einem Brokerhaus - und verlor wieder alles. Stiller war mit sechs Frauen verheiratet, alle Ehen gingen in die Brüche. Er hat ein Alkoholproblem, schreibt selbstmitleidig und zeigt, dass Geheimdienstarbeit Menschen innerlich zerstört. Auch Stillers Tochter ist Alkoholikerin.
Trotzdem bietet das Buch genügend Stoff, daraus einen Film zu machen. Werner Stiller zeigen selbst seine ehemaligen MfS-Kameraden heute die kalte Schulter. Nicht weil er Verrat beging, sondern weil sein Abgang den Gebliebenen auch persönlichen Schaden zufügte. Wer glaubt, dass es Thrill und Vergnügen bereitet, für Geheimdienste zu arbeiten, wird bei der Lektüre eher vom Gegenteil überzeugt. Es ist eine armselige Existenz, die einsam macht und krank.
Werner Stiller. Der Agent. Mein Leben in drei Geheimdiensten, Ch. Links Verlag, 256 S., 19,90 Euro