Werner Bräunig Werner Bräunig: Das Leben, das Schreiben und die Schlacht im Schacht
Halle/MZ. - Dessen Hingabe galt den von sich selbst und einem konturlosen Fernweh Getriebenen. Labile Abenteurer und nervige Pathetiker des wahren harten Lebens also, Menschen, die man einst in Raststätten und Kneipen traf - wie den Autor selbst, der 1976 in Halle-Neustadt als Trinker zu Grunde ging.
"Auf der Straße leben", schrieb Bräunig 1968 in einem Essay über Thomas Wolfe, "ist das Gegenteil vom Elfenbeinturm", ist "Ausbruch aus der Isolierung". Im Elfenbeinturm sah er die Intellektuellen sitzen (ohne zu sehen, dass er selbst einer war), die Isolierung sah Bräunig dort Raum greifen, wo sich ein Autor von den "Gewöhnlichen Leuten" (der Titel eines Erzählbandes von 1969) entfernte; und auch, wo er die Zuneigung der SED verlor. Denn: "Die Partei lehrte mich, richtige Träume zu träumen." Ein "Road Movie"-taugliches Leben: 1934 in Chemnitz geboren, Vater Hilfsarbeiter, Mutter Näherin; Schwarzmarkt, Jugendwerkhof, Schlosserlehre. Gang in den Westen, drei Jahre Haft (auf zwei reduziert) wegen Schmuggels, Arbeit u. a. im Oelsnitzer Steinkohlebergbau. Volkskorrespondent, 1957 Autorenzirkel der Wismut AG, 1958 SED und 1959 Frontmann der ersten Bitterfelder Konferenz.
Bräunig war es, der die Formel "Greif zur Feder, Kumpel!" erfand; als er über die Kumpel schrieb, sollte es ihm nicht gut bekommen. Im Herbst 1965 veröffentlichte die Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur" einen Vorabdruck aus dem Wismut-Roman "Rummelplatz" (Arbeitstitel "Der eiserne Vorhang"). Ein düster dräuendes Epos, in dem die Kumpel in den Schacht wie in die Schlacht ziehen; Suff, Sex, Prozentejagd - da leuchtete keine propagandistische Sonne.
Ein Sturm brach los: zunächst mit Stimmen von "vier Wismut-Kumpeln" im "Neuen Deutschland". Beleidigung der Werktätigen und sowjetischen Partner. Auf dem berüchtigten elften Plenum 1965 geriet Bräunig - neben Biermann - zum Hauptfall. Der Roman, in dem fünf Lebensjahre steckten, blieb liegen. Christa Wolf, die sich für Bräunig eingesetzt hatte, schrieb: "Werner Bräunig ist nach meiner Meinung an diesem Konflikt kaputtgegangen: auf welche Weise, ist schon eine andere Geschichte".
Der SED blieb Bräunig trotz alledem zugetan. 1968 zog er nach Halle-Neustadt, wo er mit 42 Jahren starb; Harald Korall zeichnet einen von Selbst- und Weltzweifeln geplagten Kollegen in seinem Essay "Der Fall W. B." (in: "Stunde der Phantasten", Halle 1996). Hier hat einer keinen Halt gefunden - und Abmahnungen dort, wo Zuspruch notwendig gewesen wäre. Der Roman-Torso von 180 Seiten ist 1981 in der empfehlenswerten Werkauswahl "Ein Kranich am Himmel" im Mitteldeutschen Verlag erschienen. Man liest das und staunt über den Ernst und die Schönheit dieser unaufgeregten, an Bobrowski und Seghers geübten Echtweltprosa, die es verdient, neu gelesen zu werden. Heute wäre Werner Bräunig 70 Jahre alt geworden.