Weihnachtsgeschichte von Albert Ebert Weihnachtsgeschichte von Albert Ebert: Muz schnurrt im Schnee
Halle/MZ. - Plötzlich standen sie vor mir, wie Schmetterlinge kamen sie hereingeflattert, das Malerehepaar Heinz und Brigitte Felsch, um mich einzuladen, lustig plaudernd, Anteil nehmend an meinen Problemen und mit sogar noch mehr Problemen, die des Typischen und des Realistischen, was an sich keine Schwierigkeit für mich war, denn das war mein Ziel. (...)
Es war nicht leicht, mich von meinen unsichtbaren Gegnern, mit welchen ich seit Monaten gerungen hatte, zu trennen. Aber für das Erlebnis der Kinderbescherung, des Weihnachtsbaumes und all der anderen Vorbereitungen, mit welcher Liebe und Sorgfalt alles bedacht war, sagte ich zu. Die ganze Stimmung wurde weihnachtlich, zumal in großen Flocken Schnee fiel. Mit großen fiebrig glänzenden Augen sah ich die Kinder voller Spannung auf das nun Kommende, aber ich konnte nicht mitten drin stehen, erlebte alles so wie ein Zuschauer beim Pferderennen.
Es liegt in der Mentalität der Menschen, manchmal im Erlebnis solcher Freude noch einsamer zu sein. So verabschiedete ich mich, mit meinen Gedanken den hohen Schnee durchwatend dem Heimweg zu, ganz einsam - kaum eine Menschenseele war auf der sonst so belebten Hauptstraße am Reileck anzutreffen, als ich im Gehen ein weiches Streichen an meinem Fuß bemerkte. Ich achtete nicht darauf und ging weiter.
Als ich es noch eindringlicher spürte, kam mir plötzlich der Gedanke, daß noch etwas auf der einsamen Straße war und sah ein kleines Kätzchen, einsam und verlassen an meinem linken Hosenbein sich liebkosen. Ach mein liebes Kätzchen, wer hat dich denn am Heiligen Abend auf der Straße gelassen. Ich liebkoste sie und sie schnurrte, bis ich sie wieder in den Schnee setzte und in meine Gedanken versunken weiterging. Als ich an der Haustür angelangt war und aufschloß, sprang etwas an mir hoch und kletterte auf meine Schulter.
Ihr Liebkosen und Geschnurre wollte kein Ende nehmen. Ich sagte zu ihr: Wenn Du keine Heimat hast, am Heiligen Abend läßt man keinen auf der Straße, komm meine Liebe mit zu mir. Auf meinen Schultern machte sie die Reise von 96 Stufen bis zum Boden mit, und alles in meinem Atelier wurde von ihr genau untersucht, jedes einzelne Stück wurde berochen, sie machte Bekanntschaft mit ihrer neuen Umgebung. Mit ihr war neues Leben in meine Welt gekommen, und was für Leben! Das erste war, daß sie mir mein Schnitzel, was ich mir als Vorschuß auf den kommenden Feiertag braten wollte, aus der Pfanne zerrte.
Alle meine Bemühungen, es wieder zu erlangen, waren ohne Erfolg. Sie hatte sich schon die sicherste Ecke unter dem Schrank ausgesucht, wo ich sie nicht mal mit dem Malstock erreichen konnte. Traf ich sie mal auf das Hinterteil, so hat sie vorn geknurrt und geknatscht, bis ich's aufgab, das Licht löschte und mich schlafen legte. Am Morgen lag sie ganz dicht an meinem Kopf, schnurrte, stolzierte im Zimmer herum als wär alles ihrs.
Dabei ahnte ich nicht, welches Unheil uns bevorstand. Inmitten meiner liebevollen Betrachtungen klopfte es an meine Tür. Herein kam mein Hauswirt, Herr Geiger. Ich ging ihm in der Annahme, er käme mir ein Frohes Weihnachtsfest zu wünschen, entgegen. Aber er eröffnete mir die Hausordnung, welche ich noch nie gelesen hatte, was brauchte ich die auch, wo ich von dem ganzen Trieb beseelt war, alles in mir und mich zu ordnen. Aber mir wurde bald klar: Wenn man Geld hat und sich dafür ein Haus kauft, kann man auch eine bestimmte Ordnung verlangen. Die war: kein Hund und keine Katze im Haus. Aus - ich wollte mich rausreden, die Katze verleugnen, sagte zu ihm: Was, eine Katze? Er sagte: Reden Sie doch nicht, was schnurrt denn an Ihren Beinen herum? (...)
Widerwillig gab ich ihm das Versprechen, am Spätnachmittag das Kätzchen wieder auf die Straße zu setzen, was ich auch tat. Mit so viel Kummer und Angst in mir setzte ich sie auf die Straße und sagte erst mal: Meine liebe Muz, setzte sie hin und riß aus. Noch nicht mal gewagt umzusehen hab ich mich getraut. Bald in traulicher Gesellschaft, wo ich die zweite für mein Leben so entscheidende Bekanntschaft machte, nämlich meine Gattin, hatte ich meine Muz ganz vergessen. Nicht mehr traurig, sondern voller Gedanken an die Zukunft, langte ich vor meinem Atelier an. Mein Erstaunen - wer saß vor der Tür - meine Ausgestoßene, die Muz. Voller Freude nahm ich sie auf, viel entschuldigende Worte meiner Schwäche hab ich ihr gesagt. Keiner kann uns mehr trennen als der Tod. Dabei putzte sie sich immer noch und sah nach dem Weihnachtsteller. Wochen habe ich sie verborgen gehalten, bis es eines Tages doch herauskam. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, wie es anders sein könnte als die Muz und ich.
Als der Mann des Hauses wieder erschien, in ganz ungebührlicher Weise sich mit mir zu reden herausnahm. Ich fühlte mich nicht angegriffen. Die kleine Muz, welche im Zimmer saß und sich putzte, ließ mich zum Anwalt werden. Mit allen Argumenten nahm ich die Verteidigung auf: So viel Mäusefallen können sie gar nicht kaufen, wenn es keine Katze mehr gibt, wenn alle so dächten wie er, daß wir dankbar sein dürfen, wenn überhaupt noch ein Tier sich in unserer Nähe aufhält. Die Liebe, die Selbstlosigkeit, mit welcher sich uns ein Tier nähert.
So eine Hausordnung zu schaffen! Schämen Sie sich nicht, und noch vieles vieles mehr. Ich wußte, er durfte nicht zu Wort kommen. (...) Das erste, was mir die Muz gab, war ein Selbstbewußtsein, was ich vorher nie gekannt hatte. Sie sind ein sonderbarer Mensch, war das einzige, was ich noch zu hören bekam, nachdem wir uns freundlich verabschiedet hatten. Meine Muz durfte ich behalten.
(gekürzt)