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Walter Felsenstein Walter Felsenstein: Wunder wahrer Verwandlung

Von Matthias Frede 29.05.2001, 15:15

Berlin/MZ. - Adolf Dresen spricht: Operund Intelligenz hätten sich mit Walter Felsensteinerstmals nicht mehr ausgeschlossen. Zu kurzgedacht, hält Thomas Langhoff dagegen, vermutlichdenkend an Stanislawski, Fehling, Reinhardt,Gründgens. Ansonsten aber attestiert Langhoffdem Berliner Regie-Kollegen eine kluge Redezur Eröffnung einer Foyer-Ausstellung in derKomischen Oper anlässlich des 100. Geburtstagesihres Gründers und legendären Übervaters.

Als gestandene Theaterleute gehören beideAdepten zur Generation der heute über 60-Jährigen,denen die singuläre, weil von Brecht am BerlinerEnsemble und Felsenstein in der nahen Behrenstraßegleichzeitig geprägte Bühnen-Reformation nochin lebhaftester Erinnerung ist. Da wurde nachdem Zweiten Weltkrieg im modellartigen-künstlerischenNeuansatz durchaus korrespondierende Theater-Geschichtegeschrieben - mit weitreichenden Folgen undposthumen Verlusten.

Der am 30. Mai 1901 in Wien geborene und am8. Oktober 1975 in Berlin gestorbene ÖsterreicherWalter Felsenstein hat die alte, kulinarischeOper ebenso entrümpelt wie erneuert. Basierendauf den auch an Otto Klemperers Berliner Krolloperin der Nazizeit abgebrochenen Vorgaben desSchweizer Bühnenreformers Adolphe Appia (1862-1928),entwickelte er die von ihm 1947 begründeteund 28Jahre geleitete Komische Oper dafürzum unvergleichlichen Experimentierfeld imSinne seiner Methode vom "realistischen Musiktheater"größtmöglicher Glaubhaftigkeit.

Felsenstein, der die Musikszene des 20. Jahrhundertsrevolutionierte und dies stets zugleich alspraktizierte Demokratie im gesellschaftlichenAuftrag begriff, bekannte sich bedingungsloszum "musizierenden Theater", das für ihn "nichtaus Stimmungen, sondern aus Absichten" bestand.Seine Forderung, Oper, Operette oder Musicalin allen Ausdrucksformen musikalisch-szenischständig neu aus inhaltlicher Werk-Interpretationund psychologischen Menschenbildern so akribischgenau wie allgemein verständlich zu realisieren,glich letztlich einer doppelten Kampfansage.

Sie richtete sich einerseits gegen das "kostümierteKonzert" konventioneller bis naturalistischerArt und bezweifelte andererseits jene lediglich"interessante" Regie oder "originelle" Version,die mit dem jeweiligen Stück spielt, stattes getreu seiner "Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeit"dienend zu verwirklichen. "Theater ist dazuda, die Welt zu verbessern. Wenn ich michbemühe, das Theater besser zu machen, so trageich vielleicht dazu bei. Aber eine Weltverbesserungohne Unterhaltung kann ich mir nicht vorstellen",erklärte Walter Felsenstein.

In seinen wunderbarsten Inszenierungen wie"Carmen", "Zauberflöte", "Ritter Blaubart","Schlaues Füchslein, "Sommernachtstraum","La Traviata", "Othello", "Hoffmanns Erzählungen","Der Fiedler auf dem Dach" und dem abschließendenMozart-Vermächtnis "Die Hochzeit des Figaro"hat der kritische Humanist dies als besessenerBühnenmagier, ewiger Skeptiker und von seinen"singenden Darstellern" dennoch geliebter"Chef" auf einzigartige Weise zu belegen vermocht.Doch mit dem Tod des freilich auch privilegiertenTheatermannes war die Felsenstein-Ära praktischbeendet. Inzwischen ist keine einzige seineroriginalen Regie-Taten noch im Rampenlichtzu bestaunen. Die Nachfolger beriefen sichauf ihn, gingen aber meist andere Wege. Kopiertwerden wollte, konnte er ohnehin nicht. Dashistorische Bewusstsein ist verblichen.

Die Ausstellung des Felsenstein-Archivs ist in derKomischen Oper bis zum 29. Juli während derVorstellungen sowie bis 24. Juni an Sonn-und Feiertagen 10-13 Uhr zu besichtigen.