Vor zwanzig Jahren starb Erich Honecker Vor zwanzig Jahren starb Erich Honecker: Das "unspannende" Leben des Ex-Staatschefs der DDR

Halle (Saale)/MZ - Hinter dem Horizont der Biografienbranche geht es immer weiter, hinter jeder letzten Wahrheit lauert noch eine und wenn alles Grundsätzliche gesagt ist, dann wird es Zeit für die Details. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung der „Letzten Notizen“ des Ex-DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker ist es zum 20. Todestag einer der Leibwächter des ersten Mannes, der einige liefert: „An Honeckers Seite“ hat der gebürtige Magdeburger Bernd Brückner seine Aufzeichnungen aus dem Schattenkreis der Macht genannt.
13 Jahre an Honeckers Seite
Ein Buch am Ende, das nicht dazu zwingt, die Person Honecker neu zu bewerten. 13 Jahre hat der studierte Kriminalist Brückner Honecker begleitet, zuerst als normaler Personenschützer, ab 1984 dann als Kommandoleiter des Sicherungsbereiches Honecker im MfS-Personenschutz. Eine Vertrauensstellung, die tiefe Einblicke in die inneren Mechanismen der Honeckerschen Staatsführung erlaubte, wie Brückner anhand zahlloser kleiner Szenen beweist. Doch obwohl hier einer spricht, der mit dem faktischen Alleinherrscher der Arbeiter- und Bauernrepublik badete und jagte, lange Autofahrten unternahm und noch längere Flüge, der mit ihm scherzte und trauerte, bleibt das Bild des selbsternannten Staatsmannes seltsam blass und verschwommen.
Natürlich, Brückner erzählt nicht, was er weiß. Er weiß immer, was er erzählen kann. Es sei nicht sein Ziel, die Öffentlichkeit durchs Schlüsselloch ins Privatleben der Honeckers blicken zu lassen und Intimes breitzutreten, schreibt er. Vielmehr gehe es ihm um die „Entdämonisierung des als Diktator Geschmähten“, denn eigentlich sei Honecker „ein ganz normaler Mensch“ gewesen, „wie die DDR ein ganz normaler Staat war.“
Es ist diese Sichtweise, die Bernd Brückner pflegt, die seine knapp 300 Seiten authentisch und fragwürdig zugleich erscheinen lassen. Denn die vermeintliche Normalität, die der Major mit 2 300 Mark netto im Monat lebte, war eben die einer kleinen Gruppe an der Staatsspitze und im Dunstkreis drumherum. Abseits davon gab es weder private Fuhrparks noch Dienstboten, weder abgesperrte Verkehrswege noch eigene Jagdgebiete. Ebensowenig hatten Ingenieure, Verkäuferinnen und Bauarbeiter Gehälter wie Brückner.
Auf der nächsten Seite lesen Sie vom "unspannenden" Leben des Erich Honeckers.
Der Honecker-Blick des 65-Jährigen, der heute eine Firma betreibt, die Detektive und Personenschützer ausbildet, ist so nicht unkritisch, aber eben gefärbt von einer in vielen Jahren gewachsenen Nähe zur Macht. Der Generalsekretär, der glaubte, ein ganzes Land mit 17 Millionen Menschen führen, gestalten und in eine lichte Zukunft geleiten zu können, schrumpft hier zu einem fast schon bedauernswerten Gewohnheitstier, das zwischen kahlem Büro und geliebtem Jagdhochsitz pendelt, während die Weltgeschichte ringsum ohne sein direktes Zutun geschieht.
Honecker liefert wenig Vorlage für Spannung, denn ein unspannenderes Leben lässt sich kaum vorstellen. Vom Haus im Wandlitzer Politbüro-Ghetto geht es morgens in den Hof des ZK, dort zum Fahrstuhl und hinauf in den 2. Stock. Hier wird fleißig gearbeitet und kaum einmal eine Stunde Mittag gemacht. Spätabends dann zurück, dorthin, wo die Genossen einander tunlichst aus dem Wege gehen. Zur Abwechslung zwei-, dreimal in der Woche Jagen, das war’s. So sehr Brückner die ewigen Routinen des Alltags an der Staatsspitze dreht und wendet: Dieser Honecker, „nach außen verschlossen, er ließ selten Gefühle erkennen“, riecht auch aus nächster Nähe nicht mal nach einem Hauch von Schwefel. Aber das ahnten die meisten seiner einstigen Untertanen ja irgendwie schon.
Legenden bleiben auf der Strecke
Ein paar Legenden immerhin bleiben auf der Strecke. So bestreitet Bernd Brückner mit Nachdruck die immer wieder kolportierte Geschichte von der dicken Freundschaft Honeckers zu seinen beiden Politbüro-Genossen Erich Mielke und Günter Mittag. Brückner will keine verschworene Dreierbande erlebt haben, sondern ein Triumvirat, das in komplizierten Abhängigkeitsverhältnissen lebte. Mielke habe vor Honecker gekatzbuckelt und sei von diesem eher verachtet worden, glaubt der frühere Mielke-Untergebene. Mittag hingegen sei ein Jagdkumpel gewesen, wie Beobachtungen belegen, die an jedem Königshof Bedeutung hätten: Wer besucht wen zum Geburtstag? Wer hat Zugang und wer kommt nicht an der Sekretärin vorbei?
Klein war das Land, und klein waren auch seine Größten. Arbeit für den Leibwächter, beteuert Bernd Brückner, gab es eigentlich nicht: Der nach der Wende als „Attentat“ auf seinen Chef erzählte Angriff des 42-jährigen, schwer betrunkenen Ofensetzers Paul Eßling auf Honeckers Fahrzeugkolonne habe nicht dem Chef gegolten. „Der wusste vermutlich nicht einmal, wem er da die Vorfahrt nahm.“
