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Von Kollisionen und Totalverlusten Von Kollisionen und Totalverlusten: Früherer Kapitän rekonstruiert Schiffsunfälle

Von Kai Agthe 05.01.2019, 13:00
Der 1964 in der Themse gesunkene DSR-Frachter „Magdeburg“
Der 1964 in der Themse gesunkene DSR-Frachter „Magdeburg“ Rainer Lachs

Rostock - Magdeburg ging zweimal unter: im Dreißigjährigen Krieg und im Zweiten Weltkrieg. Ein dritter Untergang ist aus dem Jahr 1964 zu vermelden. Die MS „Magdeburg“, ein Stückgutfrachtschiff der Deutschen Seereederei Rostock (DSR) - der staatlichen Reederei der DDR - sank am 17. Dezember vor 54 Jahren in der Themse, nachdem sie von einem japanischen Frachter gerammt worden war. Wochen später gehoben, wurde das Schiff in London notdürftig repariert und an eine griechische Reederei verkauft.

Glück war dem neuen Eigner mit dem Havaristen aus Rostock freilich nicht beschieden. Bei der Überführung schlug die 1957 in Warnemünde gebaute „Magdeburg“ im stürmischen Atlantik leck und ging für immer unter. Die Seekammer der DDR untersuchte den Unfall und kam zu dem Schluss, dass die Schiffsführung des japanischen Frachters durch das Befahren der falschen Fahrwasserseite gegen die Kollisionsverhütungsregeln verstoßen habe.

Glimpflicher kam die MS „Naumburg“ davon. Am 5. Dezember 1980 misslang dem 1967 ebenfalls auf der Warnowwerft Warnemünde gebauten Stückgutfrachter trotz obligatorischer Lotsenbegleitung an Bord die Schleuseneinfahrt im Nordostseekanal bei Brunsbüttel. Statt in die Schleusenkammer zu fahren, wurde das DDR-Schiff aufgrund starken Winds vor der Schleuse zwischen zwei Dalben gedrückt. Der Kapitän des Frachters, dem die Seekammer Rostock im Zuge des folgenden Seeunfallverfahrens keine seemännischen Fehler nachweisen konnte, war Hans-Hermann Diestel.

Zahl der Totalverluste der DSR belief sich zwischen 1957 und 1988 auf 14 Schiffe

Zu dem Zeitpunkt hätte sich der Fahrensmann des Jahrgangs 1942 gewiss nicht träumen lassen, dass er zwischen 1985 und 1989 bei der DSR-Chefinspektion in Rostock selbst einmal verantwortlich für die Seeunfalluntersuchung sein würde. Auf Grundlage seiner eigenen Erfahrungen bei der Untersuchung von Schiffsunfällen der DSR sowie durch Auswertung von Aktenmaterial hat Diestel die Unglücksfälle nun in einem Buch aufbereitet, das im Hinstorff Verlag Rostock erschienen ist.

In diesem rekonstruiert der Fahrensmann die durch Strandungen und Kollisionen, Brände und kriegerische Einwirkungen ausgelösten Unfälle von DDR-Frachtschiffen. Die Zahl der Totalverluste der DSR - die im Jahr 1976 mit 194 Schiffen die Weltmeere befuhr - belief sich zwischen 1957 und 1988 auf 14 Schiffe. Das Ministerium für Staatssicherheit habe nie Material des Seefahrtsamtes oder der Seekammer angefordert oder eingezogen, heißt es im Buch.

Wohl aber überprüfte das MfS die DSR-Kapitäne und deren Verhältnis zum Alkohol, nachdem das Tankschiff „Böhlen“ wegen, so Diestel, „grenzenlosem Alkoholmissbrauch und maßloser Schlamperei an Bord“ am 15. Oktober 1976 in der Biskaya gesunken war. Für den Autor ist der Untergang der „Böhlen“ der „deprimierendste Seeunfall“ in der Geschichte der DDR-Seereederei, bei dem 24 Besatzungsmitglieder und zwei mitreisende Ehefrauen ums Leben kamen.

Auch wenn DDR-Bürgern die große weite Welt weitgehend verschlossen blieb, so hatten Seeleute der DSR bisweilen die Möglichkeit, ihre Frauen mit auf eine Reise zu nehmen, die mit etwas Glück nicht nur ins westeuropäische Ausland, sondern auch nach Asien oder Südamerika führen konnte. Ein Luxus, über den sich auch verdiente Genossen freuen durften. So hatte etwa Karl-Eduard von Schnitzler, der Moderator der TV-Sendung „Der schwarze Kanal“, mit seiner Gattin, der Sängerin Márta Rafael, 1978 Gelegenheit, auf der MS „Georg Weerth“ eine Reise nach Ecuador, wo Bananen geladen wurden, zu unternehmen.

MS „Arendsee“ durch Explosionen schwer Beschädigt

Die „Georg Weerth“ kam ohne größere Havarie durch ihr Schiffsleben. Anders als das Kühlschiff „Heinrich Heine“, das, so Diestel, „die zweifelhafte Ehre hatte, den letzten schweren Seeunfall eines DSR-Schiffs auf der Elbe gehabt zu haben“. Es kollidierte am 2. April 1988 vor Brunsbüttel mit einem indonesischen Frachter, wurde, da es zu sinken drohte, auf Grund gesetzt und später gehoben, in Cuxhaven repariert und wieder in Fahrt gebracht - obwohl Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis standen.

Es waren nicht allein Unfälle, die DSR-Schiffen Schaden zufügten, sondern auch kriegerische Handlungen. So nahm die im Juli 1984 vor Angolas Hauptstadt Luanda auf Reede liegende MS „Arendsee“ nach zwei Explosionen so großen Schaden, dass sie von der DSR zum Totalverlust erklärt, auf hohe See geschleppt und planmäßig versenkt wurde. Wie eine Untersuchung ergab, hatten Haftminen die Explosionen ausgelöst, die, wie der „Spiegel“ 1986 zu berichten wusste, von „Taucher-Stoßtrupps des südafrikanischen Rassistenregimes oder seiner Söldner“ an dem DDR-Schiff angebracht worden sein sollen.

Zu den Kuriosa zählt Diestel den Zusammenstoß der beiden DSR-Frachtschiffe „Fritz Reuter“ und „Schwedt“ in der Nordsee am 9. Juli 1976. Kurios ist hier weniger der Umstand, dass zwei Schiffe derselben Reederei kollidierten, sondern die Frage, die bei der Untersuchung durch die Seekammer seltsamerweise nicht vertieft wurde, wie es zu dem Unfall kam. Demnach sei der wachhabende Offizier vor der Kollision der beiden DSR-Frachter auf der Brücke der „Fritz Reuter“ durch seine mitreisende Ehefrau und eine weitere weibliche Person abgelenkt gewesen. Ein Privatissimum, das der DDR teuer zu stehen kam: Denn der Gesamtschaden an beiden Schiffen belief sich, so Diestel, auf schwindelerregende 3,5 Millionen D-Mark. (mz)

Hans-Hermann Diestel: „Schiffsunfälle der Deutschen Seereederei Rostock“, Hinstorff Verlag, 152 Seiten, 25 Euro