Vockerode Vockerode: Ein entrechtetes Denkmal
Vockerode/MZ. - Dies wäre dem Eigentümer (damals der Energiekonzern Veag, heute Vattenfall Europe) jedoch nicht mitgeteilt worden.
Ans Licht kam der Umstand durch einen nicht minder bemerkenswerten Vorgang. Vattenfall hatte im Januar 2006 Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz um die Schirmherrschaft beim internationalen Wettbewerb von Architekturstudenten gebeten, den der Konzern zum Thema "Neue Nutzungen für das Kraftwerk Vockerode" ausgeschrieben hatte. Zum Erstaunen der Firma lehnte der Minister die Bitte ab und teilte mit, lieber über den Abriss des Bauwerks reden zu wollen.
Gestörter Nachbar
Vockerode avanciert jetzt zu einem exemplarischen Fall im Denkmalschutz. Denn zu einer Zeit, in der viele Denkmale vom Kosten-Nutzendenken oder Desinteresse ihrer Nutzer und Eigentümer bedroht sind, hat das Kraftwerk eine Lobby gerade auf dieser Seite. Es ist stattdessen der Staat, der die Wiederbelebung des Baus vereiteln will.
Der Grund dafür ist der Konflikt mit einem benachbarten Denkmal. Seit November 2000 gehört das Dessau-Wörlitzer Gartenreich zum Unesco-Weltkulturerbe. Im Antrag wurde die Gemarkung Vockerode jedoch ausgeklammert, das Kraftwerk als "Störung" bezeichnet.
1998 schien noch Koexistenz möglich. Das Kraftwerk beherbergte die Landesausstellung "mittendrin" und empfahl sich für die Expo 2000. "Die Skelette der untergehenden industriellen Welt gehören ebenso zu Sachsen-Anhalt wie der Wörlitzer Park, der Kaiser- und Königshof oder das weltberühmte Bauhaus", erklärte Ministerpräsident Reinhard Höppner im Katalog.
Im Jahr 2001 aber werden gegen alle Proteste die landschaftsprägenden Schornsteine gesprengt. Plausibel klingen die Begründungen: Ungenutzt werden die Schlote unweigerlich baufällig; und ihr störender Einfluss auf die historischen Blickachsen des Gartenreiches ist nicht zu bestreiten.
Nach dem Fall der Schornsteine schien man bei der Dessau-Wörlitzer Kulturstiftung dazu überzugehen, das Kraftwerk zu ignorieren. Anders der damalige Landeskonservator Gotthard Voß. Kurz vor der Sprengung im Jahr 2001 verfasste er eine Stellungnahme. Diese ist es, worauf sich heute die Landesregierung beruft.
Das Dokument hat eine bisher übersehene Brisanz. Denn die Streichung eines Bauwerks von der Denkmalliste erfolgt nach gesetzlich geregeltem Ermessen. Nötig ist, dass Eigenschaften entfallen, die ein Denkmal definieren, nämlich von "besonderer geschichtlicher, kulturell-künstlerischer, wissenschaftlicher, kultischer, technisch-wirtschaftlicher oder städtebaulicher Bedeutung" sind.
Voß verknüpft jedoch den Denkmalwert des Gebäudes einzig mit den Schornsteinen. Sollten diese fallen, sagt er, würde der Bau "seines Denkmalwertes verlustig gehen". Dies wird begründet mit der "überwältigend visuell-technischen Aussagekraft des gesamten Kraftwerkkomplexes", zu dem die Schlote "wesentlich" beitragen.
Unsolides Gutachten
Damit bleibt Voß hinter dem "Dehio" zurück. Das 1999 neu aufgelegte "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler" wurde für Sachsen-Anhalt federführend beim Landesamt für Denkmalpflege bearbeitet. "Axiales Raumerlebnis", "charakteristisch abgestufte Baukörpersilhouette", "funktionale Anordnung der kubischen Bauten", "vorbildhaft für nachfolgende Kraftwerke im Osten Deutschlands" lautet dort die Bewertung.
Ein fachlich unsolides Gutachten kann also im Grunde keine Grundlage für das Erlöschen des Denkmalstatus darstellen. Seltsam genug, dass sechs Jahre vergingen, bis dem Eigentümer und sogar der Unteren Denkmalschutzbehörde die Nachricht mitgeteilt wurde. Zur problematischen Nachbarschaft Kraftwerk-Gartenreich gibt es zu Recht einen Diskurs, doch er wird kaum öffentlich geführt. Fatal ist vor allem, wie einer breiten Initiative zum Erhalt und zur Neunutzung eines Baudenkmals die politische Unterstützung entzogen wird.
Über sein Engagement mit dem Studentenwettbewerb und den Theateraufführungen im Kraftwerk hinaus finanziert Vattenfall den Erhalt mit Summen bis zu 600 000 Euro im Jahr und veranstaltet Führungen. In Berlin sind Unternehmen wie SAP und RTL in umgestaltete Kraftwerke eingezogen. Bei Vattenfall ist man überzeugt, dass Kultur- und andere Events im Kraftwerk Vockerode dank Berlin-Nähe und Autobahnanschluss für ein großes Publikum anziehend wären - was letztlich auch dem Welterbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich zugute käme.
Preisverleihung im Studentenwettbewerb am 21. Juli im ehemaligen Umspannwerk Kopenhagener Straße Berlin.