Veröffentlichung "Erziehung eines Helden" von Siegfried Pitschmann Veröffentlichung "Erziehung eines Helden" von Siegfried Pitschmann: Seine kulturpolitische Hinrichtung hätte den DDR-Autor beinah umgebracht

Halle (Saale) - Siegfried Pitschmann hat Pech gehabt. Er war begabt, dass sahen auch die DDR-Literaturfunktionäre so, aber er begeisterte sich für etwas, das in deren Augen die falsche Sache war. Teufelszeug, dieser „harte Stil“ amerikanischer Prägung. Das gehörte bekämpft. Und es wurde bekämpft. Pitschmanns Roman „Erziehung eines Helden“ durfte 1959 nicht veröffentlicht werden - und auch in keinem späteren Jahr, das der ostdeutschen Republik vergönnt war.
Erst jetzt, mehr als fünf Jahrzehnte nach seiner Fertigstellung, ist das Buch im Aisthesis-Verlag Bielefeld erschienen, herausgegeben und mit einem kenntnisreichen, klugen Nachwort versehen von Kristina Stella. Sie hat auch schon den Briefwechsel Siegfried Pitschmanns mit seiner Frau Brigitte Reimann öffentlich gemacht.
Zensur: "Es war ein schreckliches Abschlachten"
Reimann ist nicht nur im Osten Deutschlands bekannt, dort allerdings genießt sie posthumen Ruhm: Die kompromisslos Liebende, berserkerhaft Schreibende ist ein Mythos geworden, ein Symbol für die Idee einer menschlicheren Welt, die in den kleingeistigen Niederungen des machtbesorgten SED-Staates randständig blühte.
Brigitte Reimann ist ein Star, Siegfried Pitschmannm mit dem sie in zweiter Ehe verheiratet war, ist ein Geheimtipp geblieben. Im August 2002 ist der 1930 in Grünberg (Zielona Góra) geborene Schriftsteller in Suhl gestorben. Wohl hat er in all der Zeit seit dem Verdikt, das man im Osten über ihn verhängt hatte, weiter geschrieben - kleine, wunderbar präzise Erzählungen, die zum Besten gehören, das die DDR-Literatur zu bieten hatte. Aber die kulturpolitische Hinrichtung seines frühen Meisterwerks hat er nie verwunden. Fast hätte sie ihn tatsächlich umgebracht, Brigitte Reimann hat ihrem Mann nach dessen Selbstmordversuch das Leben gerettet.
„Es war ein schreckliches Abschlachten, ein Strafgericht.“, hat Pitschmann später über den Auftritt der Zensur gesagt. „Für mich war in dieser einen Stunde alles aus. Etwas in mir zerbrach.“
Weshalb sich erst jetzt ein Verlag gefunden hat, Pitschmanns literarisches Erbe anzunehmen, steht dahin - ebenso, weshalb es keines der ostdeutschen Häuser tat. Vielleicht auch deshalb, weil man nach 1990 das Verkaufen lernen musste und Bücher, die zuvor mit einem politischen Makel behaftet waren, nun aus dem vermuteten Interesse der Leserschaft gefallen schienen. Welche Ironie: So setzt sich Kulturpolitik über Zeitenwenden fort.
Ironisch ist auch, bedenkt man, dass Pitschmann den Stoff für „Erziehung eines Helden“ 1957 auf eigene Initiative auf der Baustelle des Kombinates „Schwarze Pumpe“ bei Hoyerswerda recherchiert hatte - undercover sozusagen und zwei Jahre bevor die DDR-Oberen den „Bitterfelder Weg“ proklamiert hatten, auf dem die Autoren und die Werktätigen gemeinsam in eine lichte, künstlerische Zukunft schreiten sollten. „Kumpel, greif zur Feder“, hieß die Parole. Pitschmann, der Mann der Feder, war zum Kumpel geworden, noch ehe die Propagandamaschine anlief, er hatte sich dem rauen sozialistischen Alltag gestellt, als Arbeiter unter Arbeitern, um darüber zu schreiben.
Nur waren seine Befunde so wirklichkeitsnah und gar nicht beschönigend, war seine Sprache so ungeheuerlich modern, dass dies den massiven Unwillen der führenden Genossen auslöste - bis in die Kollegenschaft hinein. Erwin Strittmatter, auf dem Weg zum DDR-Großautor, hat sich hier als Verbandsfunktionär traurige Verdienste erworben, wie Kristina Stella in ihrem Nachwort belegt.
Übersiedlung in den Westen im Jahr 1959
Noch etwas macht den Fall Pitschmann, der sich wenige Jahre später beim Verbot zahlreicher Defa-Filme wie „Das Kanichen bin ich“ und „Spur der Steine“ exemplarisch wiederholen sollte, so tragisch und bedeutsam zugleich: Nimmt man das Erstlingswerk von Pitschmanns Zeitgenossen Uwe Johnson, geboren 1934 in Cammin (Pommern) und aufgewachsen in der DDR, zur Hand, „Mutmassungen über Jakob“, wird man fast bestürzt sein über die Vergleichbarkeit des ästhetischen Ansatzes.
1959, nach seiner Übersiedlung in den Westen, erschien Johnsons Buch bei Suhrkamp und begründete eine große literarische Karriere. Im gleichen Jahr wurde Pitschmanns Buch im Osten verboten.
„Ein Zug fuhr durch die Ebene“, mit diesem herausgehobenen, allein stehenden Satz beginnt Pitschmanns Erzählung. Und setzt fort: „Die Landschaft, geordnet in Wiese, Bruch und Wald, Acker und Ortschaft, drehte sich eilig am Fenster vorbei. Eine Windmühle flügelte geschäftig, wurde vergessen. Dächer hoben sich rot, tauchten hinter den Horizont, Telegrafenstangen hüpften, erschrocken bimmelte eine Schranke. Der Mann (Wagen 3, zweites Abteil, Fensterplatz links) dachte: Es steht dir noch alles frei.“
Johnson kennt jeder, Pitschmann ist noch zu entdecken
Johnsons „Mutmassungen über Jakob“ steigen ebenfalls mit einem solitären Satz ein: „Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen.“ Und weiter: „Aber er ist doch immer quer über die Rangiergleise und die Ausfahrt gegangen, warum, außen auf der anderen Seite um den ganzen Bahnhof bis zum Straßenübergang hätt er eine halbe Stunde länger gebraucht bis zur Straßenbahn. Und er war sieben Jahre bei der Eisenbahn.“
Man muss hier keine Geheimnisse hineindeuten, aber beiden Autoren ist unübersehbar eine fesselnde Sprache eigen: Modern, schnell, reflektierend dabei und auf den mitdenkenden Leser setzend. Johnson kennt jedermann, Pitschmann ist noch zu entdecken.
Siegfried Pitschmann: „Erziehung eines Helden“, Aisthesis-Verlag Bielefeld, 249 S., 19,95 Euro
