Ursula Werner Ursula Werner: Was für ein schöner Zufall

Berlin/MZ - Was einen zuerst für Ursula Werner einnimmt: Sie ist genau so herzlich, direkt und unkompliziert, wie man sich das, kennt man sie von der Bühne und aus Filmen, immer vorgestellt hat. Das muss nicht in jedem Fall so sein, der größte Humorist kann sich im wirklichen Leben als galliger Misanthrop erweisen. Ursula Werner hingegen, seit Jahrzehnten eine der renommiertesten deutschen Schauspielerinnen und durch Andreas Dresens wunderbaren, mutigen Film „Wolke 9“ weit über das Land hinaus bekannt geworden, ist so erfrischend normal, dass man glatt hingerissen ist.
In „Wolke 9“ spielt sie eine fast 70-Jährige, die sich in einen noch älteren Mann verliebt und deshalb den anderen, mit dem sie seit drei Jahrzehnten keineswegs unglücklich verheiratet ist, verlässt. Der Film hat ein Tabu gebrochen – auf jene Art, die Dresen so schnell keiner nachmacht: Liebevoll und sozial genau, wie in all seinen Filmen. Deshalb wirkt es nicht nur nicht peinlich, wenn in „Wolke 9“ ältere Menschen Sex haben, sondern als das, was es ist – das Normalste der Welt. Ein toller Film, mit einer glänzenden Ursula Werner.
Nach langen, guten Jahren am Berliner Maxim-Gorki-Theater ist sie als ständiger Gast an den Münchner Kammerspielen viel beschäftigt. Aber ihre Prominenz hat die Frau, die sich selbst „eine große Klappe“ bescheinigt, nicht aus dem Tritt gebracht. Ursula Werner liebt es unprätentiös, in Pullover und Jeans gekleidet fiele sie fast nicht auf, wenn diese Augen nicht wären, die wach und freundlich und forschend auf die Welt gerichtet sind. Auf die Minute genau zur verabredeten Zeit betritt sie das kleine vietnamesische Lokal in der Stargarder Straße im Prenzlauer Berg. Das ist ihr Kiez, dort hat sie immer gewohnt, die Urberlinerin mit dem Geburtsort Eberswalde. Ihre Mutter war, als die Bombenangriffe auf Berlin immer heftiger wurden, mit ihrem einjährigen Sohn und der noch ungeborenen Ursula nach Friedrichswalde in der Uckermark geflüchtet, in ihr Elternhaus. Das ist alles in ihrer Autobiografie „Immer geht’s weiter...“ beschrieben, ein frisches, uneitles und humorvolles Buch - und ein Lichtblick in der Memoirenwüste, die all die erinnerungslüsternen Wichtigmenschen und ihre Ghostwriter geschaffen haben.
Ursula Werner erzählt mit viel Liebe von ihren Eltern
Ursula Werner erzählt mit viel Liebe von ihren Eltern, die ihr und ihrem Bruder in schwerer Zeit eine glückliche Kindheit gegeben haben – und beiden später keine Steine in den Weg legten, als sie ihr Glück selber in die Hände nahmen.
Da wird das Buch zum Zeitzeugnis, das zerstörte Nachkriegs-Berlin bekommt eine persönliche Farbe. „Man hat ja keine Relation dafür als Kind, was heil bedeutet, was kaputt“, sagt sie. Und dass sie nicht gehungert hat, weil es die Mutter schaffte, die rationierten Lebensmittel gut einzuteilen.
Nur Zucker war reichlich zu haben, erinnert sich Ursula Werner. Wenn es kein Brot mehr gab für Brotmarken, Zucker konnte man immer dafür bekommen, „ein Riesenglas“ hatten sie daheim, voller Zucker. Manchmal stellte die Mutter in der Pfanne Bonbons daraus her. Üppig war das Leben nicht, anfangs hat die vierköpfige Familie jämmerlich gewohnt, aber so ging es ja vielen. Auch die Westberliner hatten es nicht leicht, allerdings gab es Comic-Hefte dort, die man an der Bernauer Straße tauschen konnte. Und Kaugummiautomaten hatten sie. Aber die Ostler brauchten immer jemand, der ihnen das „richtige“ Geld dafür gab. So hat Ursula Werner die Macht des Geldes frühzeitig kennengelernt, aber sich nicht beeindrucken lassen davon: „Es ist heute immer die Rede von Geldmachen. Stimmt. Von Verdienen kann da ja auch keine Rede mehr sein.“
In Westberlin lebten drei Tanten, von denen zwei ihre Männer im Krieg verloren hatten, eine trauerte um ihren Sohn. Waren Ursula und ihre Familie bei Tante Anna in Schöneberg zu Besuch, konnten sie die Rosinenbomber hören, die nach Tempelhof flogen, um die von den Russen blockierte Stadt mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Und den Gasometer haben die Kinder bewundert, der noch in Betrieb war. Heute sendet Günther Jauch seine Talkshow von dort.
Vieles in ihrem Leben, in ihrer Karriere sei von Zufällen bestimmt gewesen, sagt Ursula Werner: Wenn ihre erste große Liebe sie nicht versetzt, ihr Bruder sie nicht zu einem Faschingsfest geschleppt hätte, damit sie auf andere Gedanken kommen sollte, wenn sie dort nicht ihren späteren ersten (und einzigen) Ehemann kennengelernt hätte, der vom Film war und den sie, die gelernte Möbeltischlerin, verließ, bevor ihr gemeinsames Kind zur Welt kam, wenn sie nicht als dringend gesuchter Ersatz für eine ausgefallene Kollegin zum Kabarett „Die Distel“ gekommen wäre und wenn sie nicht irgendwann dem Regisseur Horst Schönemann aufgefallen wäre, der die junge Schauspielerin an das hallesche „Theater des Friedens“ lotste – in den späten 1960er, frühen 1970er Jahren das aufregendste Gegenwartstheater der DDR... Aber alle „Wenns“ ändern nichts daran: Diese Frau hätte in jedem Fall etwas geschafft. Wie schön, dass es die Schauspielerei geworden ist.
In „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Plenzdorf hat sie 1972 in Halle neben Reinhard Straube gespielt. Und viele Rollen, darunter viele große, sollten noch folgen. Nach Halle kam Berlin, wohin sie, nicht zuletzt ihrer Tochter wegen, die zunächst bei den Eltern aufwuchs, zurück wollte. Auch bei der Defa hatte Ursula Werner schon gespielt, in „Frau Venus und ihr Teufel“ mit Manfred Krug, auch in der Komödie „Ein irrer Duft von frischem Heu“ von Rudi Strahl.
Warme Worte von Ursula Werner
Für fast alle, die ihr begegnet sind, hat Ursula Werner warme, gute Worte. Auch für Konrad Wolf, der seine Darsteller Dinge gegen den Strich des Gewohnten spielen ließ und dessen große Ruhe sie bewundert hat. Und was ihr nicht gefällt, benennt sie ebenso offen. Und das, was sie traurig gemacht hat.
Wenn der geliebte Bruder, den sein Freiheitsdrang kurz nach dem Mauerbau mit falschem Pass in den Westen trieb, zur verabredeten Stunde auf dem Westberliner Ausguck dicht an der Eberswalder Straße in Ostberlin stand, hat sie manchmal nicht mitgehen können. Selber hat sie nie in den Westen gewollt, „mir ging es hier doch gut“, sagt sie. Und räumt zugleich ein, das es Menschen gab, die Gründe hatten, sich unfrei zu fühlen in der DDR. Am Theater, wo man freier diskutieren konnte, hat sie diesen Druck weniger gespürt.
Ursula Werner muss sich keine Biografie basteln, sie hat eine. Und bekennt sich dazu. Ehrlich, und keine Spur borniert. Die Westberliner, sagt sie anerkennend, hätten es eigentlich schwerer gehabt „auf ihrer Insel“. Denn „die wussten ja nie, ob sie nicht doch mal noch überrollt werden“. So, wie man das heutzutage in der Ukraine nicht weiß, meint sie.
Der russische Präsident Wladimir Putin ist ihr nicht eben besonders nahe, schon wegen seines Kreuzzugs gegen die Schwulen. Und wegen seines Macho-Gehabes. Aber dass der Westen den Russen mit der Nato derart auf die Pelle gerückt ist, findet sie auch nicht gut. Dann lächelt sie, zuckt mit den Schultern und sagt, bevor wir noch in Versuchung geraten könnten, die Welträtsel zu lösen, den großartigen Satz: „Wenn man nicht allet allene macht...“.
Am Samstag und am Sonntag spielt Ursula Werner im halleschen Puppentheater in „Wir werden alle unsre Mütter“, Beginn jeweils 20.30 Uhr; die Autobiografie „Immer geht’s weiter...“ ist im Verlag Das Neue Berlin erschienen, 240 S., 17,99 Euro
