In aller Schönheit Ursula Karusseit tot Wege übers Land war der bodenständige Stern des DDR-Filme

Halle (Saale) - Ursula Karusseit war eine Frau, die schnell auf den Punkt kam, schnell zur Sache. Umständlichkeiten lehnte sie ab. Wer mit der Schauspielerin ins Gespräch kam, hatte sein Vergnügen. Uneitel. Unverstellt, aber nicht redselig. Und um pointiert deftige Statements nicht verlegen. Auf die Frage zum Beispiel, warum sie nie mit dem Gedanken gespielt habe, die DDR zu verlassen, hatte sie einmal geantwortet: „Auch Scheiße bindet.“
Das war freilich nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte lautete: Wie kaum eine zweite Schauspielerin hat Ursula Karusseit die ostdeutsche Theaterkunst geprägt. Und wie wenige andere Bühnenfrauen neben ihr war sie so aufs Engste mit dem kulturellen Milieu verwoben, das von den 1960er Jahren an in Ost und West den Ton angab.
Ursula Karusseit war eine Vertriebene
Sie war kein Fernseh-Sternchen, sondern ein Stern des Berliner Theaters. 1969 hatte sie den Schweizer Regisseur und Brecht-Schüler Benno Besson geheiratet, auch der gemeinsame Sohn Pierre Besson wurde Schauspieler. Benno Besson wiederum war der Vater von Katharina Thalbach. Der Theater-Clan Thalbach-Besson, zu dem die Karusseit gehörte, war nicht einfach auf eine politische Himmelsrichtung festzulegen. Weder künstlerisch noch gesellschaftlich, auch wenn die Schauspielerin ihre Sympathien für Die Linke nicht verbarg.
Ursula Karusseit war eine Vertriebene. 1939 im westpreußischen Elbing geboren, floh sie mit ihrer Familie nach Mecklenburg. In Gera machte sie ihre kaufmännische Ausbildung. Vom Theater hielten die Eltern nicht viel. Zuerst arbeitete die Neulehrertochter als Stenotypistin. Aber die Frau mit dem rauen Lachen zog es vor die Menschen. „Ein paar Scheinwerfer dürfen mich schon umgeben“, sagte sie, „und groß darf die Bühne auch sein.“
Der Weg dorthin führte über ein Laienkabarett zur Schauspielhochschule in Berlin-Schöneweide, an der sie von 1960 bis 1962 studierte. Dort von Wolfgang Heinz für die Volksbühne entdeckt, ging alles ganz schnell. Es begannen die großen Jahre der Karusseit - von 1966 bis 1968 am Deutschen Theater und bis 1986 wieder an der Volksbühne.
„Wege übers Land“: Ursula Karusseits Filmografie kann sich sehen lassen
Es war das Goldene Zeitalter des DDR-Theaters. 1964 ging es für Ursula Karusseit los mit der roten Rosa in „Moritz Tassow“ von Hacks, eine Inszenierung, die nur neun Aufführungen erlebte, verboten wurde und doch Theatergeschichte schrieb. 1965 folgte die Elsa im „Drachen“ von Jewgeni Schwarz. Von 1970 an spielte die Karusseit die Shen Te in Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“. Mehr als 149 Mal in neun Jahren! Eine Sensation. Gespielt wurde mit Masken. Helene Weigel empfahl der Schauspielerin: „Pupperl, lass dein Gesicht nicht verschandeln.“
Der „Tassow“ und der „Drache“ waren Inszenierungen von Besson. „Besson war Brecht-Schüler, aber nicht so grau und ,gelehrig’ wie die anderen“, sagte die Karusseit später. „Er hat immer sein eigenes Ding gemacht. Selbst in den Tragödien kam Humor heraus. Ich bin auch so gestrickt, dass ich lieber lache als weine.“ Als Besson die Volksbühne verlassen hatte, wurde Heiner Müller wichtig für die Schauspielerin, in dessen „Macbeth“ sie von 1982 an spielte. Die Künstlerpartnerschaft zu Besson hielt bis zu dessen Tod 2006.
Die Filmarbeit lief nebenher. Ihr Kamera-Debüt gab Ursula Karusseit 1963 in Lothar Bellags Fernsehfilm „Was ihr wollt“. Berühmt machte sie die Rolle als Landarbeiterin Gertrud Habersaat im Mehrteiler „Wege übers Land“ nach Helmut Sakowski (1968). Sie schaffte es, allen ideologischen Maßgaben zum Trotz, ihrer Figur etwas Naturwüchsiges, nicht Aufgesetztes zu geben. Ausgewählt sind die Filmeinsätze: „Daniel Druskat“ mit Manfred Krug und „Levins Mühle“ gehören dazu. Das ging gut, bis nichts mehr voranging. Bis alles stagnierte. Ohne die DDR zu verlassen, ging die Karusseit 1986 in den Westen - nach Köln, wo sie ein festes Engagement übernahm. Hier konnte sie eine ihrer Traumrollen spielen, die Mutter Courage. In Berlin soll sich die Brecht-Tochter Barbara die Besetzung mit der Bemerkung verbeten haben: „Die Schlampe zieht mir den Karren nicht.“
Ihren Karren zog die Karusseit nach 1989 fernab von Berlin. Noch einmal hatte sie 1993 als Mama in der Besson-Inszenierung von „Hase Hase“ am Schiller-Theater einen großen Erfolg. Dann war Schluss. Neue Regisseure, neue Schauspieler. Die Frau, die nicht Schauspielerin geworden war, um sich in „Mäuselöchern“ zu verstecken, zog über Land. 1993 war sie als Claire Zachanassian im „Besuch der alten Dame“ am Anhaltischen Theater zu erleben, in der Regie ihres vormaligen Volksbühnen-Kollegen Helmut Straßburger.
Theater am Rand - Karusseit skeptisch gegenüber „In aller Freundschaft“
Das reichte nicht zum Leben. Das bezahlte von 1998 an ihr Einsatz als schlagfertige Cafeteria-Chefin Charlotte in der TV-Serie „In aller Freundschaft“. Die große Dame des DDR-Theaters reihte sich ein ins MDR-Kollektiv, mit familiärem Vergnügen, aber ihr Feld war es nicht. „Es ist ein Massenmedium“, sagte sie. „Wenn ich meine Arbeit getan habe, bin ich draußen. Nach dem Ende des Drehtags hat der Schauspieler kein Mitspracherecht mehr. Im Theater ist das anders, da bekennt man Farbe, da kann immer noch etwas verbessert werden.“
Bereits 1968 hatte sich die Schauspielerin mit Besson ein Häuschen im Brandenburgischen gekauft. Dorthin zog sie sich mit ihrem zweiten Ehemann zurück. Sie gehörte zum Ensemble des von Thomas Rühmann in Zollbrücke an der Oder, am östlichsten Rand Deutschlands gegründeten „Theater am Rand“. Hier spielte sie die Stücke, denen - wie sie sagte - nichts „raufgepappt“ werden musste, um zu wirken. Das gelang ihr bis zuletzt. Am Freitag ist die Künstlerin, die „eher das Schräge, das Kantige, auch das etwas Raue“ liebte, in einem Berliner Krankenhaus an einer Krebserkrankung gestorben. Sie wurde 79 Jahre alt. (mz)