Sachsen-Anhalts Ruinen Urban Explorer - Lost Places in Sachsen-Anhalt: Fotograf Marc Mielzarjewicz sieht zu wie ein Land in Schönheit verfällt

Halle (Saale) - Sachsen-Anhalt verfällt, aber das sehr fotogen. So lautet das Fazit, das man nach der Betrachtung des Buches „Urban Explorer – Lost Places in Sachsen-Anhalt“ ziehen kann. In diesem hat der hallesche Fotograf Marc Mielzarjewicz Aufnahmen von Bauwerken vereint, die seit Jahren oder Jahrzehnten im Verfall begriffen sind.
Architekturen, die in Folge der gewaltigen Umstrukturierung in Ostdeutschland in den Jahren nach 1990 ihrem Schicksal überlassen, also zum überwiegenden Teil dem Verfall preisgegeben wurden. Mielzarjewicz’ Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen gleichsam die kulturelle Kehrseite unseres Bundeslandes, das so gern mit alten Bauwerken wie den zahllosen Domen, Schlössern und Burgen, oder mit moderner Architektur, wie etwa dem Bauhaus, um Besucher wirbt.
Der Mitteldeutsche Verlag Halle scheint nun mit eben dieser Schönheit des Verfalls Touristen zum Kauf der Publikation bewegen zu wollen. Denn einerseits ist das Buch im handlichen Reiseführer-Format gehalten, andererseits sind die sehr kurzen, zur Erstinformation dienenden Texte über die einzelnen Ruinen im Land sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache zu lesen. Dass der Titel in „Denglisch“ gehalten ist, ist ein weiteres Zugeständnis an potenzielle Käufer aus dem Ausland.
Lost Places: Ruinöse Gebäude zwischen Zeitz und Zerbst
Die Idee zu diesem Band über die Schattenseiten des Kulturlandes Sachsen-Anhalt ist nicht ganz neu. Der vorliegenden Publikation voraus gingen im Mitteldeutschen Verlag Bildbände, die, ebenfalls von Marc Mielzarjewicz fotografiert, „Lost Places“ (verlorene Orte) etwa in Magdeburg, Halle sowie im Harz in wenigen Worten und vielen Bildern vorstellten. Einige Bauwerke aus Stadt und Land, die in den besagten Bänden eingegangen sind, finden sich auch in der aktuellen Veröffentlichung. Andere ruinöse Gebäude, die zwischen Zeitz und Zerbst vor sich hin bröckeln oder gar einzustürzen drohen, kamen für „Urban Explorer“ (städtische Entdecker) neu hinzu.
Obwohl als Führer für das gesamte Bundesland ausgewiesen, geht die Sammlung nicht über Magdeburg hinaus. „Lost Places in Sachsen-Anhalt“ heißt aber, dass man auch nördlich von Schönebeck und der Landeshauptstadt Beispiele für verfallende Architektur in der Börde und der Altmark hätte erwarten dürfen. Wie aus jedem guten Buch, so wird man auch in diesem Band, sofern man nur empfänglich ist für die Melancholie des Verfalls, nicht nur optisch beeindruckt, sondern kann auch noch etwas lernen. Die Firma „Sonor“ ist unter den Schlaginstrumentenherstellern eine weltberühmte Marke. Kaum bekannt dürfte hingegen sein, dass das Unternehmen, das heute in Bad Berleburg (Nordrhein-Westfalen) seinen Sitz hat, 1875 in Weißenfels gegründet wurde. Nach der Enteignung in den Jahren nach 1945 flohen die Besitzer in den Westen. In der Saalestadt fertigte man aber immerhin noch bis 1991 Schlagzeuge. Die einstige Trommelfabrik mit ihrer palastartigen Innengestaltung ist hier ebenfalls dokumentiert.
Eine Entdeckung ist auch das Gutsschloss Helmsdorf (Landkreis Mansfeld-Südharz). Die zwischen 1801 und 1805 errichtete Anlage wurde 1910 von Paul Schultze-Naumburg, einem der letzten Schloss-Architekten des 20. Jahrhunderts, ausgebaut. Das Schloss steht heute leer, wäre aber, den Einblicken folgend, die Mielzarjewicz bietet, wohl noch zu retten.
Marc Mielzarjewicz fotografiert Industrie- und öffentlichen Einrichtungen
Nicht nur gerettet, sondern auch einem gänzlich neuen Zweck zugeführt wurde ein Gebäude des früheren Messgerätewerks „Erich Weinert“ in Magdeburg. Wo bis Ende der 90er Jahre Manometer und Armaturen hergestellt wurden, kann man heute Loft-Wohnungen mieten oder kaufen. Diese Art der Neunutzung ist vorbildlich, aber - was die hier vorgestellten Objekte anbetrifft - leider die positive Ausnahme. Ansonsten zerfällt im Land zumeist, was seinen ursprünglichen Zweck verloren hat.
Das betrifft auch jenes architektonische Erbe, das die deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts hinterlassen haben. Es manifestiert sich exemplarisch in der einstigen Bezirksparteischule der SED in Ballenstedt. Die Anlage, in der bis 1989 rund 16.000 Genossen bei mehrmonatigen Lehrgängen ideologisch geschult wurden, entstand im Dritten Reich als Nationalpolitische Erziehungsanstalt (NPEA).
Die meisten Industrie- und öffentlichen Einrichtungen stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und wurden in den Jahren nach 1990 aufgegeben. Mit dem Erlebnisbad „Basso“ in Bad Schmiedeberg ist jedoch ein Bauwerk enthalten, das, erst 1993 eröffnet, wenige Jahre später wieder seine Pforten schließen musste. Wann genau das Aus für das Schmiedeberger Spaßbad kam, erfährt man im Text nicht, wohl aber, dass mit diesem Objekt schlappe 18 Millionen D-Mark in den Sand gesetzt wurden. (mz)
Marc Mielzarjewicz: „Urban Explorer – Lost Places in Sachsen-Anhalt“, Mitteldeutscher Verlag, 319 S., 19,95 Euro

