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Unesco-Welterbe Unesco-Welterbe: Fachwerkstadt erneut in Not

Von GÜNTER KOWA 27.07.2011, 19:04

QUEDLINBURG/MZ. - Muss Quedlinburg um die Früchte eines medialen und politischen Erfolgs bangen, der 1994 mit der Aufnahme ins Unesco-Welterbe begann? Zwei Nachrichten sorgen für Unruhe.

Eine laufende Studie zur Erfassung aller Bauten im Welterbegebiet beziffert den Leerstand auf 250 Häuser, davon 150 als "akut gefährdet." Alle übrigen sanierungsbedürftigen Häuser mitgerechnet, ist ein Drittel des Bestands vom Verfall bedroht, heißt es beim Sanierungsträger "Baubecon". Zugleich muss SPD-Oberbürgermeister Eberhard Brecht den Notstand verkünden. Die Stadt stellt keine Anträge auf Fördergelder mehr, der Haushaltsposten für die Eigenmittel ist auf "Null" gesetzt.

Dafür bleibe ihm haushaltsrechtlich keine andere Wahl, sagt er. Die Kommunalaufsicht lasse keine ungedeckten Ausgaben zu. Aufgrund immer geringerer Eigenmittel sinken die ausgereichten Gelder der Sanierungsprogramme schon seit neun Jahren in Folge. Sie liegen längst weit unter dem jährlichen Minimalbedarf von sechs Millionen Euro, der laut Gottfried Kiesow, Präsident im Ruhestand der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, zum langfristigen Erhalt der Fachwerkstadt nötig ist.

Es war jahrelang die Stiftung selbst, die dank Kiesows Liebe zu Quedlinburg die Eigenmittel für die Stadt aufbrachte. Das ist vorbei, seitdem westdeutsche Länder eigenen Förderbedarf anmelden.



Abschreckende Wirkung

Der Verzicht auf Anträge beunruhigt nun aber weite Kreise, die sich in der Stadt für das gebaute Erbe einsetzen. Selbstzweifel plagen etwa den Architekten Rudolph Koehler, der mit seinem Büro "q-batur" sanierungsfähige Häuser kauft und gezielt nach geeigneten Interessenten sucht. "Derzeit kann ich potentiellen Bauherren guten Gewissens nicht mehr zuraten." Baubecon-Geschäftsführer Hans-Dieter Plate nennt 25 bis 30 Antragssteller, denen er keine Fördermittel in Aussicht stellen kann.

In der Stadt weiß man um die wirtschaftliche Krise, die sich mit der Gebietsreform sogar noch verschärft hat - das eingemeindete Bad Suderode brachte allein drei Millionen Euro Schulden mit. Zwar betont auch der Oberbürgermeister, dass der Verzicht auf Förderanträge vorerst nur für ein Haushaltsjahr gelte. Aber die Verunsicherung könnte abschreckend wirken und umkehren, was durch die Förderprogramme erreicht wurde, so wird befürchtet.

Dass Quedlinburg nach Unesco-Ehren strebte, war mehr als ehrgeizig. Die Stadt war in Deutschland nach Lübeck, Goslar und Bamberg die vierte, die ihr komplettes Zentrum ins Welterbe einbrachte, allerdings in einem Zustand der Agonie nach vierzig Jahren hingenommenen Verfalls, den die DDR am Ende mit dem Abriss ganzer Stadtviertel beseitigen wollte.

Die Nachwende-Sanierungsprogramme rissen eindrucksvoll das Ruder herum: Lebten 1991 noch 2 600 Bewohner im Zentrum, sind es mittlerweile 3 000 mehr. Zwei Drittel der Häuser sind nicht nur saniert, sondern auch bewohnt - anders als etwa Stralsund, wo die aufpolierte Hanse-Herrlichkeit zu großen Teilen Kulisse ist. Gerade junge Familien haben sich ihre Fachwerkidyllen und begrünten Höfe geschaffen, Bau- und Familienplanung gehen Hand in Hand.

Akute Bedrängnis

Aber die Erfolgsquote kann den Restbestand nicht relativieren. Vielmehr bedroht er das, was schon erreicht ist. Die Häuserpioniere bekommen das immer mehr zu spüren. Feuchtigkeit dringt von Nachbargebäuden ein, der Hausschwamm könnte übergreifen. Gehwege werden hier saniert, da gesperrt, weil Ziegel herabfallen.

Weitere 20 Jahre ungebremsten Verfalls haben gefährdete Häuser mittlerweile in akute Bedrängnis gebracht. Große, einst prachtvolle Bürger- und Händlerhäuser wie das an der Ecke zum Klink verrotten sichtbar. Dem Blick verborgen bleibt, wie die Hofanlage einstürzt. Die fein gemachte Touristenstrecke zum Schlossberg ist das eine, der halb verödete Steinweg oder der grassierende Leerstand im Nikolaikirchhof das andere.

Wie in der Pölle bereits geschehen, drohen nun Einzelabbrüche Lücken in Straßenzüge zu reißen. Und die Gasse von hochaufragenden Fachwerk-Bürgerhäusern im Ägidikirchhof, einst zum Förderschwerpunkt ausersehen, sucht jetzt einen Retter in höchster Not.