Unesco Unesco: Quedlinburg will mit Umbau und Plan Welterbe-Status erhalten
quedlinburg/MZ. - Bündelweise Lektüre haben die Quedlinburger Stadträte hinter sich. Es ist Lektüre, die geradezu dazu auffordert, dass "ein Ruck", wenn nicht durch Deutschland, so doch durch die Welterbestadt geht. Die will im übernächsten Jahr das zwanzigste ihrer Aufnahme in die höheren Weihen der Unesco feiern, und arbeitet derzeit pflichtschuldigst an einem "Weltkulturerbe-Managementplan", den die UN-Kulturorganisation ihren herausragenden Stätten der Menschheit empfiehlt.
Als erste Bestandteile liegen jetzt zum einen ein "Planwerk Denkmalpflege" und ein Entwurf zum "Tourismuskonzept" vor. Qualifizierte Büros aus Erfurt (Rittmannsperger) und Berlin ("Projekt M") haben im Auftrag der Stadt die umfangreichen Studien erstellt. Das getrennte Arbeiten steht in gewisser Weise im Widerspruch zum erklärten Ziel, in der Stadt ein breiteres Bewusstsein für die Gemeinschaftsaufgabe zu schaffen, die sich aus ihrem selbstgewählten Anspruch für ihre Akteure ergibt.
Dass es nach 20 Jahren noch jeder Menge Anstrengungen bedarf, machen diese beiden Studien hinreichend klar. Und sie fordern dazu auf, Schnittmengen zu erkennen, umso mehr hätte es ein erster Schritt sein können, diese zumindest in einem gemeinsamen Kapitel zu erkunden.
Symptomatisch ist der laufende Umbau des Marktplatzes. Von Bürgern lange gefordert und im Entwurf heftig diskutiert, wird bald ein Teppich aus Natursteinpflaster den brüchigen Charme von DDR-Betonplatten ersetzen. Mit der freundlicheren Optik ihres Entrees hat die Stadt jedoch kaum mehr als ein erstes Signal gesetzt, der "suboptimalen Aufenthaltsqualität" beizukommen, die die Tourismusstudie dem Platz zu den Nachtstunden bescheinigt, weil Gäste nur noch dunkle Schaufenster und geschlossene Lokale vorfinden.
Die Studie zur Denkmalpflege wiederum bringt einen vergessenen Bürgermeister namens Donndorf in Erinnerung, der nach 1815 überhaupt mit der systematischen Pflasterung der Stadt begann. Sie mahnt an, die Oberflächen im öffentlichen Raum im Geiste dieses Vorbilds wieder in den Blick zu nehmen, ebenso die Grünanlagen, den Bodelauf, die Wassergräben bis hin zur Stadtsilhouette aus Fern- und Nahsicht: Alles Aufgaben, die letztlich auch den Tourismus berühren, wenn die Studie etwa Leitsysteme, Wegweiser, Übersichtspläne anregt.
Überhaupt: "Das Thema Unesco-Welterbe wird den Gästen nicht hinreichend dargestellt", sagt die Tourismusstudie. Also bleibt auch die Vermittlung der das Welterbe ausmachenden Qualität der Stadt sozusagen "suboptimal", eine Qualität, die Landeskonservatorin Ulrike Wendland im Vorwort zum Denkmalpflegeplan so zusammenfasst: "Kaum eine andere Stadt mit erhaltenem historischen Stadtkern in unserem Land weist eine solche Dichte, differenzierte Zeitschichtung und hohe Zeugnishaftigkeit auf." Die Studie übertrifft alles bisher Dagewesene an Detailgenauigkeit, weil sie ihren Gegenstand mit überbordender Gründlichkeit, nämlich Parzelle für Parzelle und mit Blick auf alle bildprägenden Elemente untersucht. Die Genauigkeit lässt aber auch erkennen, dass bei allen Erfolgen der Nachwende-Sanierung, die die zu späten DDR-Zeiten geplanten Flächenabrisse stoppte, das Welterbe noch keineswegs gerettet ist. Die Problematik liegt im Leerstand, vor allem der Bauten, die auch 20 Jahre nach der Wende noch keine Zukunft gefunden haben.
Noch vor zwei Jahren, als die "Internationale Bauausstellung" Quedlinburg empfahl, die "Ressource Altstadt" zu "aktivieren", "nicht als Kulisse, sondern als Lebensraum", war von 1 300 Fachwerkbauten die Rede, von denen 250 leer stehen. Doch jetzt steht die Zahl der Fachwerkbauten bei 2 119, das sind 60 Prozent aller Häuser im Welterbegebiet. 1 689 (48 Prozent) sind Baudenkmale, als "ortsbildprägend" gelten 2 050 Häuser. Nimmt man nur diese, so stehen unter den Wohnhäusern 22 Prozent ganz oder teilweise leer, unter den (historischen) Gewerbebauten sogar 28 Prozent, insgesamt mehr als 500 Gebäude. Auf den Gesamtbestand bezogen sind es mehr als 700.
Drei Prozent des Bestands, das sind rund 100 Bauten, davon 60 ortsbildprägend, werden als akut gefährdet angesehen. In der Stadt sprechen in der Sanierung erfahrene Fachleute davon, dass bald die ersten Abrissanträge eingehen dürften, gar von einer "Abrisswelle" im Welterbegebiet ist die Rede.
Quedlinburgs neuer Baudezernent Thomas Malnati hält das für "überzogen", aber seine Vorschläge zum Umgang mit dem Problem klingen weder neu noch originell: Er will mit Eigentümern "ins Gespräch kommen", an die "Erhaltungspflicht" erinnern, oder sie zum Verkauf bewegen. Interessenten zusammenbringen, Umfeld in Ordnung bringen, "einen Anfang machen, dann ziehen andere nach." Doch es hängt bekanntlich am Geld. Zum zweiten Jahr in Folge hat die Stadt in "Haushaltskonsolidierung" die Eigenmittel auf Null gesetzt, folglich sind die meisten Förderprogramme blockiert. (Laut Tourismusstudie setzt die Stadt selbst die Kurtaxe zum Stopfen der Haushaltslöcher, und nicht zur Investition in den Tourismus ein.)
Entsprechend verunsichert sind bauwillige Privatleute. Für die großen Hofbauten, die die Geschichte der Stadt ebenso sehr spiegeln wie die Wohnhäuser, gibt es bei einem Sanierungsbedarf von 800 000 Euro bis zu einer Million pro Fall überhaupt nur Hoffnung, wenn die Gelder wieder fließen. Und da werden sich andere den Unesco-Ehrentitel ans Revers heften müssen: Die Rettung Quedlinburgs ist mehr denn je eine Aufgabe von nationaler Bedeutung.