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Udo Lindenberg im Interview Udo Lindenberg: Neues Album "Stärker als die Zeit" zum 70. Geburtstag

Von Peter Berger 24.04.2016, 20:15
Lindenbergs neues Album «Stärker als die Zeit» erscheint im April 2016.
Lindenbergs neues Album «Stärker als die Zeit» erscheint im April 2016. Warner Music

Halle (Saale) - Herr Lindenberg, „Stärker als die Zeit“, das ist der Titel der neuen CD. Sie werden am 17. Mai 70. Stärker als die Zeit zu sein kann auch verdammt anstrengend sein. Geht das überhaupt?

Udo Lindenberg: Klar geht das. Es ist eine geile Sache, 70 zu werden. Jetzt kommen die wilden Siebziger. Ich werde das genießen. Es ist in meinem Gewerbe ja schon häufiger vorgekommen, das nicht geschafft zu haben.

Bei Ihrem Lebenswandel ist das eigentlich ein Wunder.

Lindenberg: Ich habe in der Lotterie des Lebens anscheinend das Zeitlos gezogen. Da gehört auch viel Glück dazu. Ich hätte leicht schon ein paarmal abkratzen können. Mir haben ja gelegentlich auch ein paar Leute gesagt: Mensch Udo, denk‘ doch auch mal dran, was aus uns und unserem Lebensstil wird, wenn du den Löffel abgibst. Das kannst du nicht machen. Und ich finde, die haben durchaus Recht. Die Welt hat im Moment doch schon genug zu weinen. Einer muss den Rock’n’Roll-Job ja machen.

Den machen Sie ja schon ziemlich lange. Genauer gesagt seit mehr als 40 Jahren. Da sind andere längst in Rente. Sie gelten als Pionier der deutschen Rockmusik – heute sind die Charts voll davon. Joris mit "Herz über Kopf", Namika mit "Lieblingsmensch". Um nur zwei zu nennen. Ist das auch ein wenig Ihr Verdienst?

Lindenberg: Davon habe ich immer geträumt. Als wir mit dem Panikorchester angefangen haben, war Rock 'n' Roll immer nur Englisch. Deutsch, das waren die Schlager. Wir mussten die deutsche Sprache erstmal pushen. Mit Straßentexten und politischen Aussagen. Jetzt singen alle Deutsch. Das ist ja auch eine sehr schöne Sprache, die auch sehr gut klingt. Und man kann die Storys verstehen.

Die Menschen sollen ein bisschen sensibler werden, genauer hinhören. Coole Popmusik kann dazu beitragen. Mit Liedern über aktuelle Themen wie beispielsweise das Flüchtlingsdrama. Wie das beispielsweise "Die Ärzte" jetzt gemacht haben. Mit dem "Schrei nach Liebe".

Kann Rock’n’Roll die Welt verändern?

Lindenberg: Klar. Wir sind jetzt 43 Jahre unterwegs. Und wir haben die Omas, die Eltern, die Kinder und die Embryos bei den Konzerten. Selbst die kommen schon mit, um sich einzugrooven. Das ist für mich echt eine Offenbarung, wenn ich diese bunte Panikfamilie sehe. Alle Altersklassen, alle sozialen Schichten, alle am Start. Und dann kommen Leute wie Clouseau, Jan Delay und Max Herre oder mit Kinderchören. Ich finde es sehr schön zu sehen, dass der Panikvirus wirklich übergreifend ist.

Lindenberg: „Musste mich neu definieren

Wie haben Sie das geschafft? In den 1990er Jahren waren Sie doch mausetot.

Lindenberg: Ich hatte bis in die 1990er Jahre so ungefähr 600 Songs geschrieben. Jetzt sind noch einmal mehr als 100 dazugekommen. Ich war ausgepowert. Und dann wirst du ein bisschen älter und denkst: Wie gehst du in zehn Jahren auf die Bühne? Ich musste mich neu definieren. In Frankreich gibt es die Chansonniers, beim Jazz gibt es die alten Jazzer. Im Rock gab es das nicht.

Mick Jagger war in den 90ern auch noch keine 70. Und ich wusste nicht, wie ich das hinkriegen soll, so eine Art Rock-Chansonnier mit ordentlichen Liedern zu werden. Das habe ich ja alles probiert. Mit Brecht, mit Tucholsky, Rilke oder Marlene Dietrich. Ich finde, da waren gute Songs dabei. Ich habe damals auch versucht, mich nach vorne zu trinken. Ich war hauptberuflich Trinker, Sänger nur so nebenbei, ansonsten war ich Dichter und Denker.

Ohne den großen Erfolg.

Lindenberg: Ich hatte eine fiese miese Midlife-Crisis. Doch irgendwann habe ich gemerkt, mit Alkohol komme ich da nicht raus. Obwohl, im Nachhinein, die Sauferei, das nasse Gold und so, das hätte ich nicht so oft heben können, wenn ich es nicht selbst kennengelernt hätte. Runter in die Katakomben zum Komatrinken.

Und dann habe ich mir gedacht, vielleicht ist es der Schlüssel, mit der Sauferei aufzuhören und sich auf andere Annehmlichkeiten umzustellen. Die mich nicht so fertig machen, die mich anfeuern, cool machen, dass ich wieder schnell werde und glatter aussehe. Denn das Auge hört ja bekanntlich mit.

Ich sah ja auch aus wie ein Rock-'n'-Roll-Mops. Und dann habe ich gar nichts mehr getrunken. Ich habe mich fit gemacht und hatte das Glück, ein paar neuen jungen Leuten zu begegnen. Und ein paar von den Alten wiederzuentdecken.

Gab es einen Auslöser für die Wende?

Lindenberg: Es kommt der Tag, an dem Du einen Schritt weiter denkst.  Bei mir war das so. Du musst einen Deal mit Dir selbst machen. Dabei kann Dir keiner helfen.

Wie sah dieser Deal denn aus?

Lindenberg: Wenn Du einmal damit aufgehört hast, mit der Mengenlehren-Sauferei und all den sonstigen Drogenexperimenten, merkst Du sehr schnell: Ich kriege mich dafür zurück. Als flinke Bühnenmaus. Wenn Du rund um die Uhr trinkst, einen Beratervertrag mit der Spirituosen-Industrie hast, dann wird es irgendwann knapp mit dem Überleben.

Ihr großes Comeback vor acht Jahren mit „Stark wie zwei“ kam sehr überraschend. Die erste Nummer eins nach 40 Jahren. Jede Menge Auszeichnungen. Ausverkaufte Stadien. Ist das überhaupt noch zu toppen?

Lindenberg: Die Messlatte für die neue CD lag natürlich sehr hoch. Ein bisschen Bammel war auch dabei. Aber nach den vielen Live-Shows habe ich irgendwann gespürt, bevor man langsam zu einer Art Jukebox wird, muss jetzt wieder neuer Stoff kommen. Dann bis ich wieder losgestreunt wie ein Detektiv, auf der Suche nach neuen Themen und Texten. Durch die Straßen, durch die Kneipen. Ich sitze von Berufs wegen an der Bar in den Hotels. Dort werden die Schicksale durch die Drehtür rein- und rausgespült.

Über AfD-Wähler sagt er ...

Das neue Album klingt irgendwie nach Abschied. Sie machen Ihren Fans Liebeserklärungen, bedanken sich bei Ihrem Körper. Der Titelsong „Stärker als die Zeit“ ist sogar unterlegt mit der Titelmelodie aus Coppolas Mafia-Epos „Der Pate“. Was soll danach noch kommen?

Lindenberg: Es geht nicht um Abschied. Das sind vielleicht ruhige Songs, nicht die Kracherdinger. Dass die Erben von Nino Rota uns erlaubt haben, die Filmmusik zu verwenden, das war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Das ist das erste und wird auch wohl auch einzige Mal bleiben.

Das war ein langgehegter Traum von mir. Also, von Abschied kann keine Rede sein. Ich habe gerade den Club der Hundertjährigen gegründet, noch einen Fahrschein für 30 Jahre in meinem Geschäft gebucht. Wir bleiben an Bord.

Aktuelle politische Themen wie die Flüchtlingsproblematik spielen überhaupt keine Rolle. Das ist ungewöhnlich. Sie haben sich immer eingemischt. Warum diesmal nicht?

Lindenberg: Das Thema Flüchtlinge ist sehr komplex. Das wollte ich nicht einfach mal eben so streifen.  Dazu hat es einfach zu viele Aspekte. Aber die Grundhaltung habe ich ja immer schon transportiert - die bunte Republik Deutschland. Da hat es ja genügend Songs gegeben. Ich kann nur sagen. Wir müssen auf das junge Europa setzen. Immerhin haben wir es nach zwei Weltkriegen geschafft, dass es 70 Jahre friedlich geblieben ist.

Angesichts der Flüchtlingskrise rückt Deutschland nach rechts. Wie sehen Sie die Entwicklung der AfD?

Lindenberg: Die haben viele einfach nur aus Protest gewählt. Weil sie sich nicht wahrgenommen fühlen. Ich bezweifle, ob die AfD-Wähler sich mit allen Inhalten identifizieren. Ich neige nicht dazu, so schnell aufzugeben.

Hat das auch etwas mit dem Alter zu tun?

Lindenberg: Natürlich. Man wird einfach gelassener.

Haben Sie keine Angst vor dem Tod?

Lindenberg: Ich habe meinen Nachruf ja geschrieben. Wenn die Nachtigall verstummt. Ich seh’ die Flaggen schon überall auf Halbmast hängen und die Kanzlerin fängt an zu flennen. Und in der Tagesschau, ganz eilig, sprechen sie ihn sofort heilig. Das ist natürlich alles mit einem Augenzwinkern gemeint. Aber keine Panik. Ich hab’ schon vor, ein paar Jahre im Geschäft zu bleiben. Man kann immer etwas Neues anfangen. Ich sage, Legenden erfinden sich immer neu.

Was macht einen Helden aus?

Das behaupten Sie einfach mal so auf der neuen CD. Ist es wirklich nie zu spät für den Neustart?

Lindenberg: Ja. Ich glaube das absolut. Es ist definitiv nie zu spät. Optimismus ist mein Grundgesetz. Es darf keine Resignation geben. Das sehe ich doch an mir. Ich kenne die Ober- und die Unterwelt. Ich war tief unten und bin jetzt ganz oben auf dem Olymp. Von dort hat man übrigens eine prima Aussicht. Wie ein toller Traum, wie ein Geschenk.

Empfinden Sie angesichts Ihres Erfolges so etwas wie Dankbarkeit?

Lindenberg: Na klar. Jetzt auf eine Tournee zu gehen mit den ganzen Panik-Sympathisanten, die auch in schweren Zeiten zu mir gehalten haben. Das ist wie in einem guten Film. Der Held muss auch mal vom Pferd runterfallen in den Dreck. Und dann wieder aufstehen.

Wenn der Held immer nur strahlend durch die Jahrzehnte reitet, ist doch keine Spannung da. Ein bisschen Drama gehört schon dazu. Ich wache jeden Morgen mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf. Ich bin ein Glückspilz und sehr dankbar dafür.

Was macht einen Helden aus?

Lindenberg: Genau das eben. Aber ich sehe mich nicht als solcher. Der Job wäre mir zu einsam.

Könnte man aber drauf kommen, wenn man wie Sie große Stadien füllt.

Lindenberg: Ist aber nicht so. Ich bin da nicht der Star, sondern mehr der Kumpel. Das Schönste für mich im Leben ist, mit dem Panik-Orchester auf die Bühne zu gehen und mit der großen Panik-Familie eine Party zu  zelebrieren. Die Bühne ist mein Eldorado. Alles ein bisschen verrückt. Ich komme da als Flugente reingeschwebt, will ganz nah bei meinen Panik-Freunden sein. Ich will ihnen durch die Augen in die Seelen reinsingen. Ganz ohne Protokoll. So locker sehe ich das.

Was raten Sie Menschen, die das nicht so locker sehen können? Die mit dem Altern Probleme haben.

Lindenberg: Die sollen sich unsere Jungs in der Show ansehen. Wir haben viele ältere Herren dabei. Das ist eine erlauchte Gesellschaft. Das sind alles ordentliche Rock’n’Roller. Ich finde, wir sind ganz gute Vorbilder.

Und „Stärker als die Zeit“.

Lindenberg: Ja. Das ist für mich die Hymne für Zusammenhalt, Family-Power und totale Verbundenheit: Wir sind das eingeschworene Team und kriegen alles hin. Wir sind stärker als die Zeit und auch stärker als irgendeine Zahl. Wir sind für die Ewigkeit gemacht. Und auch, wenn das dann in anderen Etagen irgendwo weitergeht, in anderen Sphären, in anderer Form.

Dann geht das da auch weiter. Dann bleibt die Verbindung mit den Panikern, die ist immer da. Stärker als die Zeit. Und auch jede geile Erfindung, jedes große Ding, alles stärker als die Zeit. Das gibt’s noch in 300 Jahren. Goethe gibt’s auch noch in 300 Jahren. Und das Panik-Orchester auch. (mz)