1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. U2-Konzert: U2-Konzert: Irische Band gab auf Jubiläumstour im Berliner Olympiastadion ihr einziges Konzert in Deutschland

U2-Konzert U2-Konzert: Irische Band gab auf Jubiläumstour im Berliner Olympiastadion ihr einziges Konzert in Deutschland

Von Thorsten Keller 13.07.2017, 15:35
Die irische Band U2 bei ihrem Auftritt in Berlin
Die irische Band U2 bei ihrem Auftritt in Berlin Invision/AP

Berlin - Noel Gallagher kann einem schon ein wenig leidtun. Da muss der Mann, der im Spätsommer 1995 für wenige Wochen größer war als die Beatles, im Berliner Olympiastadion als Anheizer für U2 auftreten (ausverkauft, einziges Deutschlandkonzert). Aber abgesehen vom Oasis-Klassiker „Don’t Look Back in Anger“ versendet sich der Auftritt des Engländers mit seinen High Flying Birds komplett. Im Gedächtnis bleiben nur die gegrummelten Ansagen, in denen sich Gallagher über den „fucking rain“ beklagt, die Riesenbühne hat nämlich kein Dach.

Beatles-Song als Antwort auf den Regen

Da sind U2 aus anderem Holz geschnitzt. Sie beklagen sich nicht über das Mistwetter, sie lassen sich stoisch nassregnen (Bassist Adam Clayton) oder deuten den Niederschlag zu ihren Gunsten um: „Der Regen schweißt uns noch mehr zusammen“, sagt Bono zur Begrüßung – als ob das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen U2 und den Fans überhaupt noch steigerungsfähig sei. Am Ende der Show spielen sie außerplanmäßig den Beatles-Song „Rain“ als letzte Zugabe.

Mit dem ersten Set, auf einer kleineren zweiten Bühne im Innenraum des Stadions, konzentrieren U2 wie in einem Brühwürfel ihren typischen Sound aus der Mitte der 80er-Jahre, mit jeweils zwei Stücken von den Alben „War“ und „The Unforgettable Fire“. Diesen Block hätten die Iren so ähnlich auch im Januar 1985 in der Kölner Sporthalle spielen können, verändert haben sich nur Äußerlichkeiten: Der Bassist hat inzwischen weiße Haare, der Gitarrist The Edge trägt eine Wollmütze und Schlagzeuger Larry Mullen ist stark geliftet.

Wiederhören mit 30 Jahre alten Songs

30 Jahre sind eine lange Zeit. Das gilt auch für einen Meilenstein der Rockgeschichte wie „The Joshua Tree“. Das Album, das U2 zu Weltstars machte, gibt der 2017er-Tournee den Namen – wie schon einmal im Sommer 1987.

Sunday Bloody Sunday
New Year“s Day
Bad
Pride (In the Name of Love)
Where The Streets Have No Name
Still Haven’t Found ...
With or Without You
Bullet the Blue Sky
Runnig to Stand Still
Red Hill Mining Town
In God“s Country
Trip Through Your Wires
One Tree Hill
Exit
Mothers of the Disappeared

Zugabe:
Miss Sarajevo
Beautiful Day
Elevation
Vertigo
Mysterious Ways
Ultraviolet (Light My Way)
One
Rain

Doch diesmal gibt es das komplette Programm, also auch ein Wiederhören mit den Songs auf der zweiten LP-Seite, die in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive aus dem Konzertrepertoire gepurzelt waren.
Für „Where The Streets Have No Name“gilt das natürlich nicht. Die Musiker stehen inzwischen auf der Hauptbühne, vier winzige Punkte vor einem blutroten Himmel (auf der Videowand) und dem Schattenriss eines überdimensionalen Joshua-Baums (Yucca brevifolia).

An die musikalischen Quellen herangetastet

Anton Corbijn, der die Band für die Schallplattenhülle am Zabriskie Point im Tal des Todes fotografierte, hat für die Tour neue Videos gedreht, die die Cover-Ästhetik von 1987 fortschreiben. Es sind suggestive Kamerafahrten durch karge amerikanische Landschaften und über schnurgerade Highways. Ehe die elf Songs unter „The Joshua Tree“ firmierten, gab es die Arbeitstitel „The Desert Songs“ und „The Two Americas“. Die Band tastete sich bei den Aufnahmen 1986 in Dublin an die Quellen amerikanischer Musik heran, an Blues, Gospel und Country.

Das Ergebnis klingt zeitlos schön. Bei „Red Hill Mining Town“ assistiert eine Blaskapelle der Heilsarmee (leider nur als Video-Einspielung und Playback), und wenn Bono bei „Trip Through Your Wires“ die Mundharmonika rausholt, wähnt man die Band eher in einer Blues-Kaschemme als in einem Stadion. „One Tree Hill“ (für einen bei einem Motorrad-Unfall gestorbenen Freund) trifft mit seinem Gospel-Ausklang mitten ins Herz, „Bullet The Blue Sky“ simuliert einen Fliegeralarm (amerikanische Bomben auf Nicaragua!) mit den Mitteln der Stromgitarre.

Trump warnt vor der Apokalypse

Auch der Nachfolger des damals verantwortlichen Commander-in-chief (Ronald Reagan) ist in Berlin mit dabei, irgendwie. Zu „Exit“ läuft ein geniales CBS-Fundstück von 1958, aus der Westernserie „Trackdown“. Ein gewisser Walter Trump warnt darin die Bewohner einer Stadt vor der Apokalypse – und bietet an, eine Schutzmauer gegen das Weltende zu bauen. Manche Leute im Saloon fallen drauf rein, andere lachen ihn aus.

Gut gemeintes Duett mit Pavarotti

Nach dem kompletten „Joshua Tree“ geht es im Zugabenblock im Sauseschritt durch die Neunziger und die Nullerjahre, mal feierlich („Beautiful Day“ und „One“), mal explosiv („Elevation“ und „Vertigo“). Das unter dem Eindruck des Bosnien-Kriegs geschriebene „Miss Sarajevo“ aus dem Jahr 1995 aktualisieren U2 durch einen Einspielfilm aus dem Flüchtlingslager Sataari zum Kommentar über das Elend in Syrien. Doch das Duett mit dem 2007 gestorbenen italienischen Opern-Schwergewicht Luciano Pavarotti ist allenfalls gut gemeint, mehr nicht.

Bei „Mysterious Ways“ sind U2 endlich in ihrer Berlin-Phase angekommen, Bono tanzt und flirtet mit einer jungen Zuschauerin. Der „fucking rain“ lässt die Obenrum-Bekleidung der Frau äußerst transparent erscheinen. Das würde auch Noel Gallagher bestätigen.

"The Joshua Tree" erscheint übrigens zum Band-Jubiläum in einer neu abegmischten "Super Deluxe"-Edition - wahlweise auf 4 CDs oder 7 Vinyl-Alben.