Weihnachten im TV "Winnetou - Der Mythos lebt" - RTL zeigt Dreiteiler

Halle (Saale) - Besorgen Sie sich einen Hut, sonst hält man Sie für einen Spinner“, sagt der Vertreter der Pacific Railroad in Arizona im Film „Winnetou – Eine neue Welt“ zu jenem Deutschen, den er soeben als Vermessungsingenieur eingestellt hat. Der heißt Karl May, stammt aus Sachsen und kommt in den 1860er Jahren als Einwanderer in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo man gerade im Begriff ist, das riesige Land mit der Eisenbahn von Ost nach West zu erschließen.
Neue RTL-Trilogie: Winnetou kommt zurück auf den Bildschirm
Einen Hut wird Karl May, den die Apachen wegen seiner Faustkampfkünste bald ehrfürchtig Old Shatterhand („Alte Schmetterfaust“) nennen werden, in der neuen „Winnetou“-Trilogie von RTL nicht tragen, dafür aber am Ende der Wild-West-Dramen den Häuptlingsschmuck der Apachen.
Ähnlich frei wie die Karl-May-Verfilmungen in den 1960er Jahren hat der Kölner Privatsender die Geschichten um den legendären Apachen in Szene gesetzt, den seinerzeit Pierre Brice (1929-2015) spielte und der heute von Nik Xhelilaj (33) verkörpert wird. Old Shatterhand, dem vor mehr als 50 Jahren Lex Barker (1919-1973) telegene Gestalt verlieh, ist heute ein Fall für Wotan Wilke Möhring (49).
Hier wurde unter anderem gedreht
Zum Weihnachtsfest erleben Winnetou und Old Shatterhand drei epische Fernseh-Abenteuer mit einer Gesamtlaufzeit von fast sechs Stunden zur besten Sendezeit: Nach „Eine neue Welt“ folgt „Das Geheimnis vom Silbersee“ und das selbst für hartgesottene Freunde des edlen Apachen tränenreiche Finale „Der letzte Kampf“.
Wie in den 60er-Jahre-Filmen, so wurden auch große Teile der neuen Trilogie in Kroatien gedreht, weitere Szenen am RTL-Standort in Köln. In 80 Drehtagen, von August bis Dezember 2015, war die Großproduktion im Kasten, für die die Drehbuchautoren Jan Berger und Alexander M. Rümelin sowie Regisseur Philipp Stölzl verantwortlich zeichneten.
Die Locations mit ihren Kulissen sind aufwendig in Szene gesetzt, die Kostüme bis in die kleinsten Details authentisch. Die Ausstattung des Dreiteilers steht, gemessen an ihrer historischen Genauigkeit, kaum amerikanischen Blockbustern wie „The Revenent“ und „The Salvation“ oder auch US-Western-Serien wie „Deadwood“ und „Hell on Wheels“ nach.
Das ist anders als in der 1960er-Verfilmung
„In der visuellen Umsetzung haben wir uns bemüht, eine deutlich realistischere Welt zu zeigen, als es die etwas theatralischen, in ihrem Pathos oft unfreiwillig komischen Verfilmungen aus den 60er Jahren gemacht haben“, sagt Philipp Stölzl laut RTL-Angaben. Mit Blick auf Winnetou und Old Shatterhand ergänzt der Regisseur: „Wir haben versucht, die beiden stereotypen, etwas hölzernen Helden als lebendige, durchaus nicht immer perfekte Menschen zu zeigen.“ Hollywood lässt grüßen.
Die Filmemacher haben auch sonst von der Traumfabrik gelernt. Denn bei allem Ernst der Geschichte, die sich um die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung und Ausbeutung der bis dato unerschlossenen Landschaften Nordamerikas durch den weißen Mann dreht, kommt in dem RTL-Dreiteiler der Humor nicht zu kurz.
Als das Greenhorn Karl May, dem der fiese Vorarbeiter Rattler (Jürgen Vogel) das Leben zur Hölle macht, im ersten Teil den Saloon aufsucht, fragt der Sachse den Barkeeper höflich: „Haben Sie auch deutsches Bier?“. „Natürlich“, antwortet der Mann hinterm Tresen - und schenkt dem Deutschen den gleichen trüben Whiskey ein, mit dem sich alle anderen den letzten Rest Verstand wegsaufen.
Old Shatterhand tischt Sauerkraut auf
Im dritten Teil wiederum tischt Old Shatterhand seiner geliebten Nscho-tschi (Iazua Larios) Kassler mit Sauerkraut auf, den er als deutsche Konserve im Laden von Belle (Henny Reents) und Sam Hawkens (Milan Peschel) erstanden hat. Winnetous Schwester antwortet auf Karls Frage, wie ihr die Mahlzeit aus seiner Heimat denn schmecke, mit einem gequälten Lächeln: „Meiner Zunge fehlen die Worte.“
Neben Karl-May-Debütanten sind zwei altgediente Darsteller mit von der Partie. Mario Adorf (86), der in „Winnetou 1. Teil“ 1963 den Banditen Frederick Santer spielte, ist in „Der letzte Kampf“, dem dritten Teil der Neuverfilmung, als dessen Vater, Ölbaron Santer Senior, zu erleben, während der fiese Sohn, der sowohl dem Alkohol als auch dem Theater verfallen ist, von Michael Maertens gespielt wird. Im ersten Teil hat auch Gojko Mitic (76), der einstige DDR-Winnetou und Defa-Indianer vom Dienst, einen großen Auftritt: als Winnetous Vater, Häuptling Intschu-Tschuna.
Musikalisch wurde die Komposition von Martin Böttcher neu interpretiert
Auch bei der Filmmusik hat sich RTL an Bewährtes gehalten. Für den Soundtrack zur aktuellen TV-Verfilmung hat man die Kompositionen von Martin Böttcher neu arrangiert. Der hatte vor einem halben Jahrhundert den drei Winnetou-Streifen sowie sieben weiteren Kino-Adaptionen von Karl-May-Büchern ihre charakteristischen Melodien verliehen, die wohl jeder mitsummen kann.
„Winnetou war für mich auch gleich Martin Böttcher“, erklärt Produzent Christian Becker in einer RTL-Mitteilung, warum man auf die Filmmusik des inzwischen 89-jährigen Komponisten zurückgriff. „Uns allen war es sehr wichtig“, erläutert Becker die Hintergründe, „den alten Kultfilmen der 60er keine Konkurrenz zu machen oder sie zu diskreditieren, da wir sie alle selber lieben. Wir wollten der neuen Generation selbst die Möglichkeit geben, die Winnetou-Welt für sich zu entdecken mit Filmen, die schneller, moderner und vor allem staubiger und dreckiger sind, ohne Postkartenromantik.“
Konstellation der Figuren
An der Konstellation der Hauptfiguren hat sich in 50 Jahren auch nichts geändert: Wie seinerzeit Pierre Brice und Lex Barker machen es sich Nik Xhelilaj und Wotan Wilke Möhring als Winnetou und Old Shatterhand zur Aufgabe, die Guten vor den Bösen zu schützen – und koste es das eigene Leben. Während der rote und der weiße Mann bei Karl May bereits im ersten Band Blutsbrüder werden, muss der TV-Zuschauer in der RTL-Version bis zum dritten Teil auf diese Szene warten.
Natürlich bedient auch die neue Fernseh-Inszenierung mit der Figur Winnetous das Bild vom edlen Wilden, das seit der Aufklärung auf die Naturvölker projiziert wird. Winnetou begehrt gegen die gierigen Bleichgesichter auf, die den Indianern ihr Land wegnehmen, es mit dem „Feuerross durchreiten“ und dessen Bodenschätze stehlen wollen. Trotz anfänglicher Skepsis bei Komantschen, Kiowa und Creek gelingt es dem jungen Häuptling sogar, die mit den Apachen verfeindeten Stämme zum Kampf gegen die Eroberer zu vereinen.
Blick in die Zukunft
Old Shatterhand alias Karl May entwickelt sich in den Weiten der Prärie vom Fortschrittsgläubigen zum -skeptiker. Die Welt werde in Zukunft eine bessere sein, sagt May anfangs noch, als er gemeinsam mit Nscho-tschi ein Schokoladen-Sammelbild betrachtet, das Fortbewegungsmittel zeigt, wie man sie sich Mitte des 19. Jahrhunderts im fernen Jahr 2000 vorstellte. Die Indianerin teilt die Zukunftsfreude nicht, zeigt auf die Landschaft und sagt zu Karl: „Die Welt ist vollkommen. Schau!“
Obwohl Old Shatterhand ganz gut ohne Kopfbedeckung auskommt, setzt ihm Nscho-tschi, die bei Karl May bereits in „Winnetou 1“ ermordet wird, am Ende den Häuptlingsschmuck auf: „Ich weiß, du magst keine Hüte, aber für diesen bist du geboren.“ Derart behütet, tritt er Winnetous Nachfolge an.
Natürlich sind Winnetou und Old Shatterhand unsterblich. Das legt dem Zuschauer auch die Schlussszene der RTL-Trilogie nahe: Obwohl der tapfere Apachenkrieger bereits in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist, darf er zum Finale mit seinem Blutsbruder Karl aus Sachsen tatsächlich noch einmal in den Sonnenuntergang reiten.
„Winnetou - Eine neue Welt“ ist am 25. Dezember,
„Winnetou - Das Geheimnis vom Silbersee“ am 27. Dezember und „Winnetou - Der letzte Kampf“ am 29. Dezember (jeweils 20.15 Uhr) im RTL-Programm zu sehen.