Toter Winkel

Berlin - Karl Holzers Welt zerbricht. Seine Grundsätze geraten aus den Fugen. Er muss infrage stellen, ob er als Vater alles richtig gemacht hat. Alte Fotos zeigen seinen Sohn beim Lagerfeuer, den Arm ausgestreckt zum Hitlergruß.
Ist er ein Rechter? Müssen sich Kinder „ausprobieren”, wie Holzer es nennt? Und auf welcher Seite steht ein Vater im Konflikt zwischen Familie und Recht, wenn es um Mord geht? Das Erste zeigt das Drama „Toter Winkel” am Mittwoch (20.15 Uhr). Es geht um Abschiebungen, Ausländerhass und einen Generationenkonflikt.
Das Duo in der nur scheinbar heilen Vater-Sohn-Beziehung spielen Herbert Knaup als Friseurmeister Karl Holzer und Hanno Koffler als sein Sohn Thomas. Dessen Freund aus Kindertagen wird bei einem Unfall von einem Lastwagen überfahren. Nach seinem Tod kommen Gerüchte auf, er sei in rechtsterroristische Verbrechen verwickelt gewesen. Thomas will davon nichts wissen: „Faschist - dehnbarer Begriff, oder?”
Los geht der anderthalbstündige Film mit der vermeintlichen Abschiebung einer Familie aus dem Kosovo - nach 17 Jahren in Deutschland. Männer in Polizeiuniformen räumen nachts die Wohnung, die 15-jährige Tochter Anyá kann entkommen und findet ein Versteck. Bis der innerfamiliäre Konflikt bei den Holzers aufkommt, bis Rechtsextremismus zum Thema wird, bis klar wird, dass Anyás Familie auf perfide Weise verschwand, braucht das Drama ein kleine Weile.
Insgesamt haben Autor Benjamin Zakrisson-Braeunlich und Regisseur Stephan Lacant die Probleme aber wenig effekthascherisch inszeniert. Und doch wirkt der Film wegen seines teils unerwarteten Verlaufs und vor allem wegen des dramatischen Geschehens sehr intensiv.
Und aktueller könnte er kaum sein: Die Diskussion um Abschiebungen ist nicht erst durch Sammelflüge nach Afghanistan regelmäßig auf der Tagesordnung. Auch die Gesamtzahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten steigt, seit wieder mehr Asylsuchende nach Deutschland kamen. Für 2015 verzeichnete das Bundesamt für Verfassungsschutz mit 21 933 solcher Straftaten ein Plus von mehr als 5000 im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Gewalttaten darunter wuchs um über 42 Prozent auf 1408.
Der Film lässt lange offen, wie tief Thomas in die rechtsextreme Szene verstrickt ist. Für Karl geht es ans Eingemachte, um die Frage nach Blut und Wasser. Seine Schwiegertochter fragt: „Das Wichtigste, das wir haben, ist die Familie. Wenn wir das verlieren, was bleibt uns dann noch?” Aber hat er selbst mit frustrierten Äußerungen bei seinem Sohn Überreaktionen ausgelöst? Szenen im Kaninchenstall, Gespräche am Küchentisch - alles erscheint in neuem Licht.
„Das Erschrecken über die Haltung und rechtsradikale Überzeugung des Sohnes ist das Erschrecken meiner Generation über die Tatsache, dass Faschismus und rechtsradikale Werte in der heutigen Jugend nicht nur diskutiert, sondern auch von vielen gelebt und in Taten umgesetzt werden”, sagt Produzent Hans W. Geißendörfer. „Film als Grundlage für politische Diskussion muss dem Zuschauer mehr bieten als angenehme Unterhaltung - er zielt immer ins Herz und ins Hirn.”
Die Schauspieler hoffen, dass der Film eine solche Debatte auslöst. Koffler sagt: „Im besten Fall führt er zu einer Sensibilisierung für das Thema. Hass, Existenzangst, Gewalt, die Frage, wie entsteht Gewalt, Verantwortung der Eltern, die Schuldfrage.” (dpa)