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"Team Wallraff" Team Wallraff in RTL-Sendung: So werden Autofahrer an deutschen Raststätten von Tank & Rast getäuscht

30.08.2016, 09:42
Selbst seit zwei Wochen abgelaufene Fleischwaren, die bereits mögliche Zeichen von Verderbnis, wie aufgedunsene Verpackung und Verfärbungen des Produkts aufweisen, werden, nach einer Umverpackung in Vorratsboxen weiter gelagert.
Selbst seit zwei Wochen abgelaufene Fleischwaren, die bereits mögliche Zeichen von Verderbnis, wie aufgedunsene Verpackung und Verfärbungen des Produkts aufweisen, werden, nach einer Umverpackung in Vorratsboxen weiter gelagert. RTL

Alter Pudding und abgelaufener Schinken, gestresste Service-Mitarbeiter und ein Koch, der mit blutigem Taschentuch um den Finger in der Küche Kartoffeln schnibbelt – was das „Team Wallraff“ für die neueste Ausgabe der gleichnamigen RTL-Sendung in deutschen Raststätten beobachtet hat, ist erschreckend.

Über sieben Monate recherchierten der Journalist Günter Wallraff und seine Kollegen an verschiedenen Standorten der privaten Firma „Tank&Rast“ in ganz Deutschland. Der Bonner Konzern ist Eigentümer von 390 – und damit nahezu allen – Rastanlagen in der Bundesrepublik. Über 95 Prozent der Standorte betreibt die Firma allerdings nicht selbst, sondern lässt sie von selbstständigen Pächtern führen.

Überwachungskameras in jeder Ecke

Das Fazit der Journalisten: „Tank&Rast“ missbraucht die eigene Monopolstellung systematisch, um permanent seine Gewinne zu steigern. Dafür nimmt der Konzern laut TV-Sendung auch Gesundheitsrisiken für die Verbraucher in Kauf. Von fragwürdigen Arbeitsplatzbedingungen für die Mitarbeiter  – Überwachungskameras in jeder Ecke, die Verpflichtung, möglichst viele Zusatzverkäufe abzuschließen – einmal abgesehen.

Mittlerweile hat „Tank&Rast" Qualitätsmängel an einigen Stationen eingeräumt und in vier Fällen auch Pächter von Raststätten abgemahnt. „Es wurden unmittelbar Sofortmaßnahmen ergriffen, um festgestellte Mängel abzustellen und die Einhaltung der klaren Qualitätsstandards und Hygienevorgaben sicher zu stellen“, teilte das Unternehmen am Dienstag in Bonn mit. Die RTL-Sendung „Team Wallraff“ war Montagabend, 29. August, ausgestrahlt worden.

Altes Brötchen, neuer Belag

Bereits im Januar nahm das „Team Wallraff“ seine Arbeit auf. Nach Hinweisen auf mangelnde Qualität bei viel zu hohen Preisen bewarben sich zwei RTL-Reporterinnen in unterschiedlichen Raststätten und arbeiteten undercover an der Kasse, in der Küche und im Restaurant. Die Gaststätten am Rande der Autobahnen wurden dabei allesamt von Pächtern der privaten Firma betrieben. Und überall machten die Reporterinnen ähnliche Beobachtungen.

Belegte Brötchen etwa, die laut Vorschrift eigentlich nach maximal drei Stunden in der Auslage entsorgt werden müssen, blieben dort meist deutlich länger liegen. Und mehr noch: Danach wurde lediglich der Belag weggeworfen und gegen frischen ausgetauscht. Die alten Brötchen aber landeten – eben mit dem frischen Belag – daraufhin wieder in der Auslage.

„Das kann doch nicht wahr sein“ – Lebensmittelkontrolleur Bernd Stumm, dem das „Team Wallraff“ seine verdeckten Aufnahmen zeigt, ist empört. Doch das ist längst nicht alles. An den Hamburger Raststätten Stillhorn Ost und West direkt an der A1 etwa wird die Reporterin, getarnt als Allround-Servicekraft, auch angewiesen, den Kunden drei Tage abgelaufene Bockwürste zu verkaufen. Als sie einen Kollegen auf das überzogene Mindesthaltbarkeitsdatum anspricht, sagt der nur: „Da passiert nichts. Die müssen wir nur so schnell wie möglich verkaufen.“

2,99 Euro für zwei Wochen alten Pudding

Eine andere, unkenntlich gemachte Mitarbeiterin, bringt es auf den Punkt: „Ich würde hier nie was kaufen, niemals was kaufen“, sagt sie. Auch dem TV-Zuschauer wird bei solchen Bildern anders. Denn: Um Probleme bei Lebensmittelkontrollen zu umgehen und das Gesundheitsamt auszutricksen, werden die Originalverpackungen von Schinken, Salami und Co. offensichtlich einfach entsorgt – die abgelaufene Ware landet in Vorratsboxen. Wie alt die Lebensmittel darin sind, ist so nicht mehr nachzuvollziehen.

„Das ist gesundheitsgefährdend“, warnt Lebensmittelkontrolleur Stumm. In „Tank&Rast“-Raststätten anscheinend dennoch eine verbreitete Praxis. „Hier muss man alles manipulieren“, erklärt eine Mitarbeiterin. „Das kostet alles Geld“.

Pächter unter großem Kostendruck

Selbst, wenn die Ware längst abgelaufen ist, werden dabei – zumindest in den Test-Raststätten – die ursprünglichen Preise verlangt. 2,99 Euro für zwei Wochen alten Pudding – nur ein extremes Beispiel. Um die Lebensmittel trotzdem möglichst schmackhaft aussehen zu lassen, greifen die Mitarbeiter der Raststätte Auerswalder Blick Nord in Chemnitz vor der versteckten Kamera zu einem Trick: Neue und alte Produkte werden vermischt.

Obstnachtisch etwa, der bereits seit Tagen in der Auslage steht, wird „frisch gemacht“, indem er umgefüllt und anschließend mit Zuckerwasser übergossen wird. Der Gast soll trotzdem 3,99 Euro dafür zahlen. „Umsatz, Umsatz, Umsatz“, sagt ein Mitarbeiter. „Wie du das machst, interessiert keinen. Die wollen nur noch mehr Geld hier rausholen.“

Die Anweisung, abgelaufene, teils sogar offensichtlich verdorbene Lebensmittel zu verkaufen, kommt laut TV-Sendung offensichtlich von den Pächtern. Die weisen die Anschuldigungen auf Nachfrage zwar zurück. Die Recherchen zeigen aber auch: Sie stehen unter enormem finanziellen Druck. Das bestätigt Günter Wallraff im Gespräch ein ehemaliger Pächter von „Tank&Rast“, der bis 2011 vier Raststätten betrieb.

Wer eine Gaststätte der Firma pachte, erhalte zwar Beratung, Gebäude, Anlagen und Einrichtung, müsse dafür aber monatlich etwa 25 Prozent seiner Umsätze an den Konzern abführen. Vergleichsweise viel: Laut Gastronomieberater Rene Kaplick sind etwa acht bis zehn Prozent normal.

Dosensuppe statt frischer Lebensmittel

Die Pächter, berichtet der ehemalige Franchise-Nehmer weiter, seien letztlich wie Angestellte. Denn über das gestellte Kassensystem sichere sich „Tank&Rast“ stets den Einblick in die Umsätze. Der Konzern bestritt das auf RTL-Nachfrage – die Pächter seien selbstständige Unternehmer mit umfassenden unternehmerischen Freiheiten.

In der Sendung entsteht ein anderer Eindruck. Ihren Kostendruck geben die Pächter demnach an Mitarbeiter und Kunden weiter. Die Mitarbeiter seien nicht nur angehalten, Zusatzverkäufe zu generieren, berichtet das "Team Wallraff". Sondern auch: abgelaufenes Essen zu servieren. Und, wie etwa an der Raststätte Helmstedt, Tüten- und Dosenware anzubieten – obwohl die dortige „Tank&Rast“-Eigenmarke „Gusticus“ laut eigener Webseite für frische Lebensmittel stehe. Bei einem Preisvergleich stellen Wallraff und sein Team zudem fest: Snacks an „Tank&Rast“-Raststätten sind rund ein Drittel und Sprit zwischen sieben und zehn Prozent teurer als an privaten Autohöfen.

Halbe Milliarde Euro Umsatz

Dank seiner mitunter fragwürdigen Praktiken setzte „Tank&Rast“ RTL zufolge allein 2014 Praktiken eine halbe Milliarde Euro um. Für die Nutzungsrechte der Autobahnflächen habe der Konzern dabei aber nur drei Prozent an den Bund abführen müssen – das waren in dem Fall lediglich 15 Millionen Euro. Der Staat aber komme für die Erschließung, Pflege und Reinigung der Grundstücke auf. Letztlich finanzierten also die Steuerzahler „Tank&Rast“ mit, schlussfolgern die Journalisten.

Und sie warnen: Der Konzern baue seine Monopolstellung weiter aus, indem er Autohöfe aufkaufe – und die dortigen niedrigeren Preise denen der Raststätten anpasse. Die betroffenen Autohöfe seien an der Marke „Rosies“ zu erkennen.

Für den Zuschauer steht am Ende der Sendung vor allem eine Erkenntnis: Beim Essen in einem Rasthof lohnt es sich, ganz genau hinzuschauen. Am sichersten ist im Zweifel nur eines: Das eigene, von Zuhause mitgebrachte Brötchen essen. (mit dpa)