"Team Wallraff" deckt auf Team Wallraff deckt auf: RTL Reporterin deckt Missstände in Behinderten-Einrichtungen auf

Köln - Über ein Jahr lang hat Caro Lobig aus dem „Team Wallraff“ immer wieder Undercover in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung recherchiert. Den Anstoß dazu hatten regelmäßige Zuschriften an Enthüllungsjournalist Günter Wallraff mit teils drastischen Schilderungen von Missständen in Werkstätten und Wohnheimen gegeben – zum Teil war da sogar von Sklaverei die Rede.
In den Rurtalwerst�tten f�r psychisch Kranke, betrieben von der Lebenshilfe D�ren, macht die RTL-Undercover-Reporterin ein Praktikum. In den Werst�tten sollen die dort Arbeitenden gef�rdert werden, um auf dem normalen Arbeitsmarkt wieder einen Job finden zu k�nnen. Doch viel mehr als t�gliche stupide Hilfsarbeiten wird den Arbeitenden hier nicht geboten.
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RTL-Team Wallraff deckt auf: Pflegepraktikantin Steffi mit einem Bewohner
Was die RTL-Reporterin bei ihren Recherchen erlebt und dokumentiert, ist teilweise schockierend und beinahe menschenverachtend: Schutzbefohlene, die von offenbar gleichgültigem Fachpersonal gedemütigt, respektlos herumkommandiert und verspottet werden. Wehrlose Menschen, die völlig willkürlich mit Stubenarrest oder Essensentzug abgestraft werden, weil sie sich mit ihrer Behinderung oft nicht so verhalten können, wie es die genervten Betreuer gerne hätten.
Die Bilder aus einer weitgehend geschlossenen Welt lassen mitunter drastische Missstände in Werkstätten und Wohnheimen für Menschen mit Behinderung erahnen. Und sie werfen Fragen auf: Wie steht es um die Schulung der Beschäftigen in solchen Einrichtungen? Und wie gut kommen die Träger solcher Einrichtungen ihrer Verantwortung für die ihnen anvertrauten Menschen nach?
Lisa lebt und arbeitet in einer Werkstatt der Lebenshilfe in Leverkusen. Der Fu� eines Betreuers wurde ihr zur Stolperfalle. W�hrend die schwerbehinderte Lisa versucht wieder auf zu stehen, machen die Betreuer sich lustig.
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RTL-Team Wallraff deckt auf: Lisa und ein Betreuer
Nach Hinweisen einer Informantin bewirbt sich Caro Lobig zunächst bei der „Lebenshilfe Leverkusen“, wo sie im Dezember 2015 ein Praktikum bekommt. Dort wird sie vom ersten Tag an Zeugin, wie die geistig schwer behinderte und motorisch eingeschränkte Lisa von den Betreuern immer wieder regelrecht drangsaliert wird: Lisa wird durch Schnalzen und Pfeifen wie ein Hund gerufen; ein Betreuer lässt Lisa über sein Bein stolpern; gleich mehrere Betreuer machen sich mit scheinbar sexuell anzüglichen Bemerkungen lustig über Lisa, als sie sich um den Mund herum mit weißem Joghurt bekleckert hat; um sie ruhig zu stellen, setzt sich eine Betreuerin an anderer Stelle mehrmals auf die zierliche Lisa.
Team Wallraff: Gespräche mit der Geschäftsführung der Lebenshilfe-Werkstatt Leverkusen
Nachdem Caro Lobig ihr Praktikum beendet hat, beschließen sie und Günter Wallraff gemeinsam, dass der jungen Frau sofort geholfen werden muss. Die Reporterin ruft dazu anonym Lisas Vater an und schildert ihm, welchen Schikanen seine Tochter bei der „Lebenshilfe Leverkusen“ ausgesetzt ist. Als ein Jahr später eine weitere RTL-Reporterin Undercover dort arbeitet, muss sie feststellen, dass Lisa weiterhin abwertend behandelt wird - von denselben Betreuern.
In einer Wohngruppe f�r Senioren mit Behinderung der Lebenshilfe Speyer macht die RTL-Undercover-Reporterin ein Praktikum als Pflegepraktikantin Steffi. Weil sich Thomas in seinem Rollstuhl eingen�sst hat, darf er weder mit den anderen Kuchen essen, noch darf er sein abgedunkeltes Zimmer verlassen.
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RTL-Team Wallraff deckt auf: Pflegepraktikantin Steffi mit einer Bewohnerin
„Team Wallraff“ ist nun in Gesprächen mit der Geschäftsführung der Lebenshilfe-Werkstatt, die sich sehr betroffen zeigt. Dazu die Lebenshilfe-Werkstätten Leverkusen: „Es kann und darf nicht sein, dass das grobe Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter die seit Jahren erfolgreiche Arbeit eines ganzen Unternehmens zerstört und alle anderen MitarbeiterInnen in Misskredit bringt. Wir werden mit aller Konsequenz die Aufklärung vorantreiben und entsprechende Maßnahmen einleiten.“
Im Sommer 2016 absolviert Caro Lobig – ebenfalls nach Hinweisen auf Missstände - ein Pflege-Praktikum bei der „Lebenshilfe Speyer“. In der Wohngruppe für Senioren mit Behinderung beobachtet sie mehrmals, dass Aktivitäten, die den Bewohnern als Möglichkeit der Beschäftigung zustehen, offensichtlich auch als Erziehungs-Instrument missbraucht werden. Das bekommt z.B. der etwa 50-jährige Thomas zu spüren – mehrfach und fortgesetzt. Eine Betreuerin fährt ihn an: „Hast Du gestern nicht versprochen, Du benimmst dich? Jetzt hast Du wieder eingenässt? Der Kuchen ist gestrichen.“
Pflege-Experte Claus Fussek: „Das ist massive Form der Freiheitsberaubung“
Danach muss er sich auf einen Stuhl neben dem Bett setzen, obwohl jetzt eigentlich der Mittagsschlaf ansteht. Da er nicht sprechen kann, die Situation aber ungerecht findet, stampft er wieder. Wieder die Betreuerin: „Hör auf zu stampfen, sonst bleibst du im Zimmer. Okay, meist Du, ich mache Spaß? Gut, du wolltest es so.“ Der Pflege-Experte Claus Fussek, den „Team Wallraff“ für die Reportage beratend hinzuzieht, lässt keinen Zweifel zu: „Das ist massive Form der Freiheitsberaubung. Man kann es sich kaum vorstellen, was mit dem jeden Tag passiert, der diesen Mitarbeitern absolut ausgeliefert ist.“
Im Verlauf ihrer kurzen Praktikumszeit wird die RTL-Reporterin Zeugin weiterer Erniedrigungen der Bewohner seitens des Personals. Die Leitung der Einrichtung reagiert auf die Bitte um schriftliche Stellungnahme zu den Vorwürfen prompt und bestätigt, sofort alle gebotenen internen Schritte eingeleitet und die zuständige Prüfbehörde eingeschaltet zu haben. Aufgrund der „Team Wallraff“-Recherchen ermittelt jetzt auch die Kriminalpolizei Ludwigshafen wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen.
Rurtalwerkstätten droht Aberkennung als Träger der Maßnahme
Bei ihrem dritten Einsatz in den Rurtalwerkstätten in Düren – einer Werkstatt speziell für Menschen mit psychischen Erkrankungen – beobachtet die RTL-Reporterin, dass hier dem Förderauftrag offensichtlich nicht nachgekommen wird. Eigentlich sollte für die Beschäftigten des Berufsbildungsbereiches der Werkstatt weniger das Abarbeiten von Industrie-Aufträgen, sondern viel mehr Schulungen im Vordergrund stehen – schließlich wird diese Maßnahme von der Bundesagentur für Arbeit finanziert. Doch viele Beschäftigte klagen, die Arbeit sei viel zu eintönig und stupide – ein Eindruck, den selbst Betreuer gegenüber Caro Lobig bestätigen.
Die Rurtalwerkstätten (Träger ist die „Lebenshilfe“) beteuern auf Anfrage, dass u.a. auch durch praxisnahe Arbeit die Rückkehr in den ersten Arbeitsmerkt gefördert werden solle. Doch die Bundesagentur für Arbeit als Geldgeber des Berufsbildungsbereichs prüfte die Einrichtung Monate nach den Undercover-Recherchen und unabhängig davon. Danach stellte sie fest, … „dass die Rurtalwerkstätten in der Praxis die Grundsätze des Berufsbildungsbereichs nicht eingehalten haben.“ Sollte es bis Ende März nicht zu konzeptionell deutlichen Nachbesserungen kommen, droht demnach den Rurtalwerkstätten sogar die Aberkennung als Träger der Maßnahme. (red)