TV-Kritik "Der Rote Schatten" Tatort "Der Rote Schatten": Ein fiktiver Fall mit verstörend echten Bildern

Der Fall
Marianne Heider ertrank angeblich bei einem Unfall in der Badewanne. Doch ihr Exmann war sicher, dass sie von ihrem aktuellen Partner Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) ermordet worden.
Als Heider die Leiche entführte, um sie im Ausland obduzieren zu lassen, hatte er einen Autounfall. Die Stuttgarter Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) waren ebenfalls skeptisch, was die Unfalltheorie anging, zumal der Oberstaatsanwalt den Fall erstaunlich schnell zu den Akten legen wollte. Es stellte sich heraus, dass Wilhelm Jordan in den 70er Jahren als V-Mann für den Verfassungsschutz gegen die RAF eingesetzt worden war. Wurde hier ein Mörder gedeckt, um brisante Fakten über den deutschen Herbst unter Verschluss zu halten?
Die Auflösung
Der fiktive Mordfall diente in „Der rote Schatten“ eigentlich nur dazu, die Ereignisse aus der RAF-Zeit mit der Gegenwart zu verbinden. Marianne Heiders Exmann hatte Recht, Jordan, der aufbrausend und gewalttätig war und zudem Schulden hatte, hatte seine Partnerin getötet.
Wer hingegen Jordan am Schluss tötete, beantwortete der Film nicht abschließend und schuf so eine Parallele zwischen der Todesnacht von Stammheim und der fiktiven Geschichte.
Die Erzähltechnik
Die Bilder haben sich ins Gedächtnis der Deutschen gebrannt. Rudi Dutschke, der mit erhobener Faust am Grab von Holger Meins „Der Kampf geht weiter!“ ruft. Ein entkräfteter Hanns Martin Schleyer vor dem RAF-Logo, die entführte Lufthansa-Maschine Landshut.
Es sind historische Aufnahmen, die fast jeder kennt. Doch dann waren da auf einmal Bilder, die zwar in der gleichen Super-8-Ästhetik gedreht sind, aber völlig Unbekanntes zeigten. Männer, die die Zellen von Andreas Baader, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Irmgard Möller in Stuttgart-Stammheim stürmten, Raspe und Baader erschossen, Ensslin mit einem Kabel erhängten und Möller ein Messer in den Körper rammten. Ihre scheinbare Echtheit ließ die Aufnahmen, die am Sonntagabend zu sehen waren, so verstörend wirkten.
Fazit
„Der Rote Schatten“ hieß Dominik Grafs Film und in der Tat ist der Schatten des RAF-Terrors und des Deutschen Herbstes vor genau 40 Jahren lang und reicht bis in die Gegenwart. Denn die Frage, was genau in jeder Oktobernacht in Stammheim passierte, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Wie kamen die Waffen ins Gefängnis? War es tatsächlich Selbstmord oder gar eine staatlich angeordnete Hinrichtung, wie es etwa die überlebende Irmgard Möller immer behauptete?
Rund um diesen nicht abschließend aufgeklärten Teil der deutschen Geschichte erzählte Graf seinen fiktiven Kriminalfall. Er vermischte Fakten, Fiktion und Zeitebenen virtuos und enthielt sich bewusst einer abschließenden Antwort, an welchen Hergang der Ereignisse er glaubt. Damit ließ er viel Raum für Spekulationen. Sein Ziel war ohnehin ein anderes: Der Regisseur wollte den Blick auf die mangelnde Aufarbeitung der damaligen Ereignisse lenken. Und das ist ihm eindrucksvoll gelungen.